Hochschulreform:Welch großen Beitrag kleine Fächer leisten

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Sprachwissenschaftler Eduard Meusel fordert einen Aufschub der Reform. Der Umfang des Gesetzesvorhabens stehe in keiner Relation zu der Zeit, in der das Ganze umgesetzt werden solle. (Foto: Florian Peljak)

Sogenannte "Kleine Fächer" tragen maßgeblich zum Erhalt des kulturellen Erbes bei. An der LMU sehen sich ihre Vertreter durch das neue Hochschulgesetz bedroht.

Von Sabine Buchwald

Welchen gesellschaftlichen Einfluss hatten Derwische im Istanbul des 19. Jahrhunderts? Was können Mediziner im Himalaja aus dem Zustand eines Pferdehufs schließen? In welchen Zusammenhängen taucht das lateinische Wort "refragatio" in antiken Texten auf, oder welche Tierherden hielten die Menschen im alten Mesopotamien? Fragen, auf die Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Antworten geben können. Seit Jahren forschen sie dazu, und so unterschiedlich ihre Themen sein mögen, sie verbindet etwas Grundsätzliches: Alle sind Spezialisten in einem sogenannten kleinen Fach.

Diese Fächer sind in der Regel den Geistes- und Sozialwissenschaften zugeordnet und haben eine überschaubare Größe bezüglich Professoren- und Studierendenzahlen. Man nennt sie gemeinhin "Orchideenfächer", eine Bezeichnung, von der man in Wissenschaftskreisen seit Ende der Neunzigerjahre abgerückt ist.

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Laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gibt es knapp 160 solcher kleinen Fächer an deutschen Universitäten. Sie bauten Brücken zwischen Vergangenheit und Moderne, hielten frühere Sprachen und untergegangene Kulturen präsent, schreibt das Ministerium auf seiner Webseite. Damit leisteten sie einen wesentlichen Beitrag zu unserem kulturellen Gedächtnis - und das weit über den deutschen Tellerrand hinaus.

Viele Vertreter dieser Fächer, zu denen etwa die Ägyptologie, die Mongolistik, die Alt- und Neogräzistik oder die Nordistik zählen, sind in diesen Tagen in Alarmstimmung. Durch die anstehende Reform des bayerischen Hochschulgesetzes sehen sie ihre Institute und ihre Arbeit in Gefahr. Mit einer Demonstration hatte die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften (GUS) auf dem Odeonsplatz Anfang Dezember auf sich aufmerksam gemacht. Auch brachte GUS eine Petition für den "Erhalt und die Stärkung" eben jener Wissenschaften auf den Weg, die nicht als groß gelten. Knapp 7000 Unterstützer haben sie in den vergangenen sieben Wochen unterschrieben.

Was heißt "Mehrwert", wenn es darum geht, Wissen zu erhalten?

An der LMU, deren Geschichte im 15. Jahrhundert mit den Fakultäten Philosophie, Theologie, Medizin, Jura begann, kann man etwa 60 solcher Fächer belegen. Sie bieten sehr unterschiedliche Studienbedingungen. So ist es nicht in allen möglich, nach dem Bachelor-Abschluss mit einem Master-Studiengang fortzufahren. In manchen kann man gar nur noch promovieren, weil Studienanfänger nicht oder nicht mehr ausgebildet werden.

Christoph K. Neumann lehrt am Institut für den Nahen und Mittleren Osten. Kleines Fach? Den Begriff findet er wenig glücklich. Was er mache, sagt der Historiker, sei ganz und gar nicht klein. Demnächst wolle er den umfangreichen Briefwechsel der Augsburger Fugger mit Händlern aus dem Osmanischen Reich neu untersuchen. Für ihn "eine hochinteressante Quelle eines riesigen Netzwerkes, aus der viel über die Verbindungen zum Osmanischen Reich und letztlich zur Entstehung des heutigen Türkenbildes herauszulesen ist". Wie viele seiner Kollegen der Geistes- und Sozialwissenschaften fühlt er einen "Rechtfertigungsdruck" auf seiner Arbeit. "Man darf von Wissenschaftlern verlangen, dass sie sagen, warum sie was tun", sagt Neumann. Aber er wünschte sich, dass dies für alle gelte.

Neumann hat sich in den vergangenen Wochen intensiv mit der Hochschulreform auseinandergesetzt, die er grundsätzlich für wünschenswert hält, weil es einiges zu verbessern gebe. Was ihm bei dem vorab veröffentlichten Eckpunktepapier des Wissenschaftsministeriums unter anderem bitter aufstößt, ist die Frage nach dem Mehrwert eines Faches. "Wenn man direkt danach fragt, dann können wir das nicht leisten", bekennt er. Sein Institut sei zwar auch eine Stelle, wo künftige Türkisch-Dolmetscher Veranstaltungen besuchten, aber ihre Ausbildung sei nicht die Hauptaufgabe. Die Aufgabe der Geisteswissenschaften sei vielmehr, Wissen zu bewahren, Erkenntnisse zu erlangen und neue Perspektiven zu eröffnen.

Zusammen mit Kollegen, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden hat er soeben eine sieben Seiten lange Stellungnahme zu dem Eckpunktepapier erarbeitet. Der Titel: "Die Universität, die wir wollen und die wir brauchen". Bemängelt werden darin die vielen befristeten Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern des sogenannten Mittelbaus. Ferner wird eine Verbesserung der ungenügenden Grundausstattung der Universitäten gefordert, mehr Mitbestimmung aller Hochschulangehörigen sowie eine ergebnisoffene Forschung, die sich nicht an Marktmechanismen orientieren müsse. Wäre sonst die "Identifikation des Klimawandels" gelungen? Neumann bezweifelt dies.

Er und Kollegen aus den Geisteswissenschaften fühlen sich überrannt und wollen an der Reform mitgestalten. Vor allem lehnen sie den straffen Zeitplan des Vorhabens ab, das laut Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) im Sommer abgeschlossen sein soll. Sie verlangen eine offene Diskussion darüber, die derzeit wegen der Corona-Pandemie nicht in Präsenzveranstaltungen möglich ist.

Dass bei der Anhörung über seine "Nützlichkeit" geredet wird, stößt dem Keilschriftforscher auf

Deshalb fordert etwa der Sprachwissenschaftler Eduard Meusel dringend einen Aufschub. Er findet, der Umfang des Gesetzes stehe in keiner Relation zu der Kürze der Zeit, in der das Gesetzesvorhaben umgesetzt werden solle. Vergangene Woche war er in einem virtuellen Vernetzungstreffen mit Kollegen und Studierenden der Allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaften (AVL), einem weiteren kleinen Fach. Es habe eine sehr kritische Grundstimmung unter den Teilnehmenden geherrscht, berichtet Meusel, der am Thesaurus Linguae Latinae mitarbeitet und Lehraufträge hat. In der AVL-Fachschaft überlege man, unter Hygieneauflagen eine Menschenkette zu organisieren. Außerdem soll im Januar eine Vortragsreihe über Zoom und Youtube zu den unterschiedlichen Aspekten der Hochschulreform starten.

Genährt wird der Unmut in den Geisteswissenschaften durch Äußerungen über "Orchideenfächer", wie sie etwa bei der Expertenanhörung im Landtag Mitte Oktober fielen. Dort kam die "Nützlichkeit" des Keilschriftforschers zur Sprache. Walther Sallaberger, Professur für Assyriologie an der LMU und als solcher mit alten Schriften befasst, hält diese "Nützlichkeitsdebatte" für engstirnig. "Wenn man missbilligend über Keilschriftforschung spricht, so missbilligt man damit einen essenziellen Teil des kulturellen Erbes der Menschheit", sagt er. Insbesondere missachte man in eurozentrischer Perspektive die großen alten Kulturen von Irak, Syrien, Iran oder Türkei, die die Menschheit geprägt haben.

Es liege in der Natur eines kleinen Faches, dass man nicht so erfolgreich für sich werben könne, obwohl man sich bemühe, in vielen unterschiedlichen Kontexten präsent zu sein. Die Frage sei, was sich ein Staat leisten möchte, sagt Petra Maurer, Professorin für Tibetologie. Im Zeitalter der Globalisierung sei es wichtig, die kulturellen Eigenheiten anderer zu verstehen. Tibet sei mehr als Achtsamkeit und der Dalai Lama. Das Wörterbuch der tibetischen Schrift, an dem sie arbeite, könne man niemals wirtschaftlich hochrechnen.

© SZ vom 21.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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