Denkmal:Vom Verfall der Sitten

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Vermutlich um 1900 entstand diese Fotografie, die Gabriel von Max mit einem seiner Affen zeigt. (Foto: Privat)

Spaziergänger am Starnberger See kennen die frühere Villa des Malers Gabriel von Max in Ammerland, weil das Kulturdenkmal heute ein Bild des Jammers abgibt. Dabei steht das denkmalgeschützte Haus, in dem sich allerlei Prominenz einfand - und mit Séancen sowie Affen experimentiert wurde -, beispielhaft für das produktive Künstlerleben an Bayerns Seen.

Von Katja Sebald, Ammerland

Der Maler Gabriel von Max, 1840 in Prag geboren, wurde schon während seiner Akademiezeit in München als Newcomer der Kunstszene gehandelt. Ab 1863 war er Schüler von Karl Theodor von Piloty. Das Gemälde "Die Märtyrerin am Kreuze", das er 1867 zuerst im Münchner Kunstverein und im selben Jahr auf der Weltausstellung in Paris zeigte, begründete noch vor Abschluss des Studiums seinen geradezu kometenhaften Aufstieg zum Star unter den Münchner Malern. Mit seinen Bildern zu christlichen, literarischen und mythologischen Themen traf er den Nerv der Zeit. Kaum 30 Jahre alt, war er in ganz Europa berühmt. Die Presse bezeichnete ihn als "Sensationsmaler". Das Publikum, vor allem das weibliche Publikum, verehrte ihn als "Seelenmaler". Zu seinem 60. Geburtstag erhob ihn Prinzregent Luitpold in den persönlichen Adelsstand. Während jedoch die Münchner "Malerfürsten" wie Lenbach und Stuck heute noch einer breiten Öffentlichkeit bekannt sind, ist Gabriel von Max ein wenig in Vergessenheit geraten. Und wenn nicht bald etwas geschieht, dann wird auch seine Sommervilla in Ammerland, die exemplarisch für das Künstlerleben am Starnberger See im ausgehenden 19. Jahrhundert steht, bald verschwunden sein.

Die Eigentümer haben schon mehrere Abrissanträge für die Villa Max gestellt. (Foto: Arlet Ulfers)

Gabriel von Max konnte beinahe jeden Preis für seine düster-geheimnisvollen Gemälde aufrufen, so begehrt waren sie. Die Kutschen der Galeristen und Sammler sollen sich vor seinem Münchner Haus in der Heustraße, der heutigen Paul-Heyse-Straße, gestaut haben, wenn er sein Atelier öffnete, um ein neues Bild zu präsentieren. Rasch zu Geld gekommen, kaufte er sich 1875 in Ammerland, am Ostufer des Starnberger Sees, ein Sommerhaus und ließ es für seine Bedürfnisse erweitern. Es darf mittlerweile als gesichert gelten, dass der junge Emanuel von Seidl, auch er damals noch ohne Adelstitel, den Um- und Ausbau zur Künstlervilla plante. Colombo Max, der Sohn des Künstlers, wusste zu erzählen, dass die Renaissance-Holzdecke und andere wertvolle Ausstattungsstücke aus einem aufgelassenen Kloster in Tirol herbeigeschafft wurden. Überliefert ist außerdem, dass Gabriel von Max auf Vermittlung seines früheren Lehrers Piloty, der ebenfalls ein Haus am Ostufer besaß, nach Ammerland kam. Und ebenso sicher ist es, dass Gabriel von Max weitere bedeutende Persönlichkeiten nach Ammerland holte und sich rund um sein Haus eine kleine Kolonie der Sommerfrischler entwickelte.

Wie die Villa Max einst aussah, das ist auf einem Gemälde im Münchner Lenbachhaus dokumentiert

Wie die Villa Max einst aussah, das ist auf einem Gemälde im Münchner Lenbachhaus dokumentiert. Bald nach dem Kauf malte der Künstler seinen neuen Besitz: Das weiß gestrichene Landhaus mit den grünen Fensterläden wird von der sommerlichen Nachmittagssonne beschienen. In den oberen beiden Etagen stehen die Fenster offen, man sieht die Köpfe von großen und kleinen Menschen. An den seeseitigen Fenstern werden die Betten gelüftet. Hell und freundlich sieht das Haus mit der üppig bewachsenen Veranda, dem sich zum See öffnenden Giebelrisalit und den hölzernen Balkonen in beiden Stockwerken aus. Die Tür des ebenfalls hell gestrichenen Bootshauses steht offen, denn der Maler ist auf den See hinaus gerudert, um von dort sein Haus zu malen. Links neben dem Bootshaus trocknet auf einer Leine die Wäsche in der Sonne. Rechts gibt es einen kleinen Steg und ein Badehüttchen. Die Kinder schauen dem Vater in seinem Kahn nach. Die Idylle ist perfekt.

Die Villa Max auf einer historischen Aufnahme, vermutlich um 1890. (Foto: privat)

Innerhalb weniger Jahre hatte Max den ursprünglich bescheidenen Besitz mehrmals durch Zukäufe vergrößert, auf dem zuletzt fast 30 000 Quadratmeter großen Grundstück mit dem schönen alten Baumbestand ließ er einen Park anlegen. Im Jahr 1890 lautet der Eintrag im Grundbuch: "Haus (Villa) mit Veranda und Sommerhäuschen, dann Blockhaus mit Keller und Waschküche, Holzlege und Hofraum." Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürften alle Umbauten abgeschlossen gewesen sein. Auf einem historischen Foto sind auch die Nebengebäude dokumentiert.

Ludmila, die Tochter des Künstlers, 1898 stehend vor dem Kachelofen in der Wohnstube. (Foto: privat)

Schon im Jahr 1882 hatte Gabriel von Max für seine Schwägerin die Ammerlander Wohnstube mit der alten Kassettendecke, der Wandvertäfelung, dem grünen Kachelofen und den schönen dunklen Möbeln gemalt. Am Tisch sitzen die Kinder Corneille, Ludmila und Colombo, auf dem Boden liegt der Hund der Familie, eine große graue Dogge. Als der Starnberger Kreisheimatpfleger Gerhard Schober die Villa Max Anfang der 1990er Jahre besuchte, staunte er: Das Zimmer sah bis ins Detail immer noch genauso aus wie auf dem Gemälde. Bis 1970 hatte Colombo Max, der jüngere Sohn des Künstlers, das Haus bewohnt. Und auch seine Nichte, die danach das Haus erbte, pflegte das Andenken ihres berühmten Großvaters und ihrer etwas weniger berühmten Onkels, die beide ebenfalls Maler waren.

Gabriel von Max besaß die größte Schädelsammlung seiner Zeit, außerdem mehrere Mumien

Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs war Gabriel von Max im Jahr 1878 zum ordentlichen Professor für Historienmalerei und religiöse Stoffe an die Akademie der Bildenden Künste in München berufen worden. Bereits fünf Jahre später gab er dieses Amt wieder auf, um sich ganz seinen Forschungen zu widmen, behielt aber den Titel eines "königlichen Professors". Mit dem Geld, das er mit seinen Gemälden und darüber hinaus mit Reproduktionen der Bilder verdiente, finanzierte er seine mehr als außergewöhnliche Sammelleidenschaft: Er besaß die größte Schädelsammlung seiner Zeit, außerdem mehrere Mumien, unter anderem die einer Inka-Frau mit ihren Kindern. Insgesamt trug er bis zu seinem Tod mehr als 60 000 Objekte zusammen.

Gabriel von Max dokumentierte die Wohnstube in Ammerland 1882 auf einem Gemälde, am Tisch sitzen die Kinder Colombo, Ludmila und Corneille. (Foto: privat)
Die Fotografie aus dem Jahr 1991 zeigt die Wohnstube, die zu diesem Zeitpunkt noch bis ins Detail erhalten war. (Foto: Gerhard Schober)

Ohnehin sah er sich immer weniger als Künstler denn als Wissenschaftler: Sein zentrales Interesse galt der Entwicklungsgeschichte des Menschen, seinem Ursprung, seinem Wesen und seinem Weiterleben. In späteren Jahren interessierte sich Gabriel von Max zunehmend auch für übersinnliche Phänomene und Okkultismus. Das Münchner Lenbachhaus würdigte ihn 2010 als "Malerstar, Darwinist, Spiritist", erstmals wurden auch Teile seiner naturwissenschaftlichen Sammlung gezeigt, die sich heute im Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim befinden.

In die Kunstgeschichte ist Gabriel von Max vor allem als "Affenmaler" eingegangen. Im Jahr 1869 hatte er sich für seine naturwissenschaftlichen Studien ein Affenpärchen angeschafft, bald war daraus eine Herde von 14 Tieren geworden, die er im Gartenhaus hielt. Die lebenden, aber auch die toten oder sterbenden Affen dienten ihm als Modelle. Nach dem Tod sezierte er sie und dokumentierte seine Untersuchungen. Das bekannteste seiner Affenbilder ist das Gemälde " Affen als Kunstrichter" aus dem Jahr 1889, das in Neuen Pinakothek in München einen festen Platz hat, und jüngst wegen deren Sanierung in der Alten Pinakothek ausgestellt war. Es zeigt eine Gruppe von zwölf Affen, die sich vor einem Gemälde in einem prunkvollen Goldrahmen drängen. Das Bild selbst ist nicht zu sehen, sondern nur die Affen, die es anschauen, anfassen, beschnüffeln. Die "Kunstsachverständigen" sitzen auf einer hölzernen Transportkiste. Der Aufkleber "München" und die Aufschrift "Vorsicht" sind wohl als beißender Kommentar zum Kunstgeschehen der Stadt zu verstehen.

Der berühmte Affenmaler war auch ein großer Freund von Geisterbeschwörungen

Gabriel von Max war seit 1873 mit Emma Kitzing verheiratet, die Tochter und die beiden Söhne waren 1874, 1875 und 1877 zur Welt gekommen. Von Ostern bis Allerheiligen lebte die Familie am Starnberger See. Die Kinder wurden von einem Hauslehrer unterrichtet und führten ansonsten ein Leben in großer Freiheit. Auch die Affenherde zog in den Sommermonaten mit nach Ammerland und machte die umliegenden Gärten unsicher. Man muss sich die Villa Max aber auch als Schauplatz von Séancen und spiritistischen Sitzungen vorstellen, an denen zuweilen die ganze Familie teilnahm.

Die drei Kinder des Künstler, vermutlich um 1885 aufgenommen. (Foto: privat)

Am 9. August 1884 tagte die "Loge Germania" der Theosophischen Gesellschaft in Ammerland und das Who-is-Who der Geisterbeschwörer fand sich unter der altehrwürdigen Holzdecke im Speisezimmer ein. Zu den regelmäßigen Gästen dürften die Schriftsteller Carl du Prel und Gustav Meyrink gehört haben. Um das Jahr 1890 war der Arzt Albert von Schrenck-Notzing, der kurz zuvor mit einer aufsehenerregenden Untersuchung zur "Therapeutischen Verwerthung von Hypnotismus" promoviert worden war und gerade seine Praxis in München eröffnet hatte, zu Gast in der Villa Max. Eingeladen waren auch die Nachbarn, unter ihnen die drei hübschen Töchter des BASF-Mitgründers Gustav Siegle, die den Sommer in Ammerland verbrachten. Es sollte nicht lange dauern, da hielt der junge Mediziner um die Hand von Gabriele Siegle an. Im Jahr 1892 fand die Hochzeit statt. Der "Geisterbaron" und der "Affenmaler" blieben einander lebenslang freundschaftlich verbunden. Ein paar Jahre zuvor hatte Max auch seinen Freund Emanuel Seidl an den Nachbarn vermittelt. Nur so ist es zu erklären, dass der schwerreiche Industrielle Siegle den 1884 noch völlig unbekannten jungen Architekten mit dem Umbau und der Innenausstattung seines Hauses beauftragte.

Gabriel von Max, der in seinen letzten Lebensjahren sehr zurückgezogen lebte und wohl recht kauzig geworden war, starb in der Nacht zum 24. November 1915 in München.

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