Es war nicht einmal knapp. Eine überraschend klare Mehrheit der Europaabgeordneten hat am Mittwoch den Weg frei gemacht für das umstrittene Taxonomie-Gesetz - leider. Der unheilvolle Rechtsakt erklärt Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke unter gewissen Umständen als nachhaltig. Damit könnten deutsche Stadtwerke oder Frankreichs Atomkonzern EDF von 2023 an Öko-Anleihen herausgeben, um die Milliarden für neue Kern- und Gaskraftwerke aufzutreiben. Zudem dürfen Ökofonds Aktien der Betreiberfirmen halten.
Die große Frage ist nur: Werden Anleger, die sich für nachhaltige Finanzprodukte interessieren, tatsächlich grüne Fonds kaufen, in denen auch Anleihen oder Aktien aus der Atom- und Gaswirtschaft stecken? Die Antwort wird in Deutschland und vielen anderen Staaten meistens "Nein" lauten. Daher werden Fondsgesellschaften ihre Öko-Angebote kern- und gaskraftfrei halten. Denn das EU-Gesetz erlaubt zwar die Aufnahme solcher Branchen in nachhaltige Fonds, was verrückt genug ist, erzwingt das jedoch nicht. Zugleich hat die Kommission in Brüssel festgelegt, dass Ökofonds darauf hinweisen müssen, wenn sie neben Papieren klassisch grüner Konzerne Atom- oder Gasaktien besitzen. Damit entscheiden letztlich die Anleger, wie viel Geld aus nachhaltigen Finanzprodukten in Kern- und Gaskraftwerke fließt. Es dürfte sehr, sehr wenig sein.
Dies bedeutet aber nicht, dass das Gesetz keinen Schaden anrichtet. Schaden nimmt die gesamte Taxonomie, ihre Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Die Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem, das bestimmt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Das soll Greenwashing unterbinden, also die Unsitte, dass Firmen oder Investmentfonds sich als grüner verkaufen, als sie es wirklich sind. Ärger wie gerade bei der Fondsgesellschaft DWS soll vermieden werden. So will die EU-Kommission das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen: ein ebenso wichtiges wie überfälliges Vorhaben.
Das Regelwerk sollte ein Goldstandard werden - von wegen
Die Behörde hat schon Kriterien für viele Branchen und Güter festgelegt; seit Jahreswechsel bieten diese Regeln Investoren Orientierung. Aber die heikle Frage, was für Kern- und Gaskraftwerke gilt, wurde zunächst aufgeschoben - und nun falsch beantwortet. Die Kommission hat eigentlich gehofft, dass die Taxonomie ein globaler Goldstandard für nachhaltige Finanzprodukte wird: Konzerne und Investoren weltweit sollen das ausgefeilte Regelwerk freiwillig nutzen, da die EU Vorreiter ist. Doch das kann sich Brüssel jetzt abschminken. Denn die Aufnahme von Kern- und Gaskraftwerken in Ökofonds zu erlauben, verschreckt und verunsichert umweltbewusste Anleger. Und das macht das System unattraktiv für Unternehmen und Fondsgesellschaften, die es ja auf das Geld der Anleger abgesehen haben. Die Konzerne werden im Zweifel andere Kriterienkataloge verwenden.
Dieses Gesetz zu Kernenergie und Gas ist daher ein fulminantes Eigentor. Die Kommission hat sich hier dem politischen Druck von atom- und gasfreundlichen Regierungen gebeugt, etwa aus Paris und Berlin. Einwände eines wissenschaftlichen Beratergremiums wurden weggewischt. Das Ergebnis ist eine Orientierungshilfe, die mehr Rücksicht auf politische Befindlichkeiten nimmt als auf die Interessen umweltbewusster Anleger. Eine große Chance wurde vertan.