"Maybrit Illner":"Wir wollen ganz normal in Urlaub fahren"

Maybrit Illner - "Corona trifft nicht alle gleich â€" schwindet die Solidarität?"

Zum eigentlichen Thema Solidarität in der Krise wird bei Maybrit Illner nicht viel gesagt. Stattdessen geht es viel um Urlaub.

(Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

Es soll um Solidarität in der Corona-Krise gehen, doch alle sprechen über Urlaub. Oder welches Bundesland mehr Tests machen will. Die Talksendung "Maybrit Illner" zeigt, wie gut es Deutschland derzeit geht.

TV-Kritik von Thomas Hummel

Wenn einige Debatten in dieser Maybrit-Illner-Sendung repräsentativ für die deutsche Bevölkerung sind - und man muss annehmen, dass es so ist -, dann wäre es gut, diese Deutschen würden erkennen, wie gut es ihnen geht. Das Thema heißt "Corona trifft nicht alle gleich - schwindet die Solidarität?" Viel Sendezeit wird damit verbracht, über Urlaub zu sprechen.

Manuela Schwesig (SPD) und Markus Söder (CSU) bieten wieder einmal einen Wettbewerb, welche Ministerpräsidentin und welcher Ministerpräsident sich nun stärker ins Zeug wirft, um sein Bundesland als Urlaubsparadies zu preisen. Als ob gerade Mecklenburg-Vorpommern und Bayern das nötig hätten. Schwesig meint, am besten sollten in diesem Jahr alle im Land bleiben, sie preist "fast schwedische Verhältnisse" im Hinterland von Meck-Pomm an, so viel Einsamkeit und Fläche gebe es. "Wir können uns alle verteilen." Und natürlich können alle ihr Geld hier ausgeben.

Dabei muss Schwesig auf Vorwürfe eingehen, es gebe in ihrem Bundesland Menschen zweiter Klasse. Nämlich die, die aus einem Hotspot des Coronavirus kommen, derzeit aus den Landkreisen Gütersloh und Warendorf in Nordrhein-Westfalen. Diese Menschen dürfen nur an die Ostsee, wenn sie einen negativen Corona-Test vorweisen können oder an Ort und Stelle sogleich einen Test machen lassen. Bayern handelt ähnlich.

Die Fernreise als aktive Sozialpolitik?

Schwesig erklärt, dass dieses Vorgehen zwischen den Bundesländern verabredet sei, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten. Da sich beim Fleischfabrikanten Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mehr als 1500 Mitarbeiter infiziert hatten, wurden wieder schärfere Beschränkungen in der Gegend verhängt. Die Reaktion der anderen Länder kann also niemanden überraschen. Der zugeschaltete Bürgermeister der Stadt Verl im Landkreis Gütersloh ist dennoch sauer.

Michael Esken (CDU) beklagt, es seien Leute aus seiner Stadt heimgeschickt worden. Seine Region werde stigmatisiert. Dann sagt er den entscheidenden Satz: "Wir sind ganz normale Menschen, wir wollen ganz normal in Urlaub fahren." Urlaub als Grundrecht?

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg macht dabei die soziale Frage auf. Solle man denn wirklich alle zum Urlaub im eigenen Land verpflichten? Schließlich, so Schmidt-Chanasit, können sich manche einen Urlaub in Deutschland nicht leisten. Diese "können eben nur nach Spanien, oder nach Bulgarien oder nach Rumänien an den Goldstrand fahren." Die Fernreise als aktive Sozialpolitik? Diese Corona-Zeiten haben schon vieles neu hervorgebracht. Aber das hat man so auch noch nicht gehört.

Der große Markus hat es wieder allen gezeigt

In dem kuriosen Hin und Her zum Thema Urlaub gibt es in der Sendung nur einen Hinweis, der aufhorchen lässt. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes und als solche zuständig für die Gesundheitsämter des Landes, verweist auf die Gefahren durch Urlaubsrückkehrer. Sollte sich der Urlaubsort als Corona-Risikogebiet entpuppen, dann "kann ich nicht am Ende der Sommerferien zurückkommen, und am nächsten Tag in die Schule und zur Arbeit gehen". Dann ist Quarantäne angesagt, bis ein Test vorliegt. So wie das Mecklenburg-Vorpommern aktuell mit allen Reisenden aus Schweden macht. Das bedeutet: Augen auf bei der Urlaubswahl!

Beim zweiten großen Thema bekommen die Zuschauer vorgeführt, was die SPD vor allem von der Union lernen muss. Nicht, bessere Politik zu machen. Sondern sie besser zu verkaufen. Was war das wieder für ein Echo, das Markus Söder mit seinen Corona-Tests für alle in Bayern ausgelöst hat. Sogar der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kritisierte ihn dafür, auch die Weltgesundheitsorganisation hält das nicht für zielführend. Doch die Menschen fanden es gut, der große Markus hat es wieder allen gezeigt.

Bei Maybrit Illner stellt Manuela Schwesig fest, dass die bayerische Strategie sich nicht von ihrer eigenen unterscheidet. Wer Symptome hat, wird getestet. Ebenso, wer Kontakte zu Infizierten hatte oder wer mit Risikogruppen zusammenarbeitet wie Pflegekräfte. Dazu gibt es Tests an Schulen und Kindergärten. Markus Söder selbst löst auf, dass es sich wohl um einen PR-Coup handelt, denn: "Nicht jeder geht ja zum Test, nicht jeder fühlt sich krank, nicht jeder ist mit Kontaktpersonen zusammen gewesen, deshalb ist das hervorragend handlebar." Man kann leicht ankündigen, was ohnehin nie eintritt. Hauptsache das Scheinwerferlicht strahlt nach Bayern. Ute Teichert klärt auf, dass man sich auch anderswo symptomlos testen lassen könne.

Söder wirkt durch die Pandemie und die steigenden Umfragewerte noch selbstbewusster als früher. Vor allem noch souveräner, staatsmännischer. Andere Meinungen? Perlen an ihm ab. Kritik? Wird umgedeutet als Kritik an bayerischen Bürgern, welche Söder natürlich zurückweist als sorgender Landesvater.

Die entscheidende Debatte zum Thema der Sendung kommt kurz

Jagoda Marinić, Schriftstellerin und Autorin (in Gastbeiträgen auch für die Süddeutsche Zeitung), findet, das Vorgehen der CSU klinge wie eine Werbekampagne, wie toll Bayern alles meistere. "Wir sind die besten, mia san mia." Die Frage komme auf, ob ein bayerisches Leben mehr wert sei als etwa ein schwäbisches. Stattdessen solle Söder doch mal in die Alten- und Pflegeheime in seinem Land gucken, wo die Sterberate die höchste in Deutschland sei. Woher Marinić ihre Zahlen hat, bleibt unklar. Klar ist jedoch Söders Antwort: Er findet es schade, dass Frau Marinić die Mitarbeiter in den bayerischen Heimen derart angreife. Dabei hätten diese hervorragende Arbeit geleistet.

Von Schmidt-Chanasit erhält Söder für sein Vorgehen viel Lob. Gleich mehrmals. Söder darf in seinem Studio in Nürnberg einige Male zufrieden nicken. Auch Marinić tut dem Bayern noch einen Gefallen: Sie wiederholt die Kritik an einer Äußerung von Armin Laschet, möglicher Konkurrent Söders um die Kanzlerkandidatur im kommenden Jahr, als dieser sagte, das Virus bei Tönnies hätten Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien mitgebracht. Laschet hat das längst zurückgenommen, doch für Marinić hat sich Laschet mit dieser Art von Rassismus "entkanzlert". Man hätte an dieser Stelle gerne Söders Gesicht gesehen.

Die entscheidende Debatte zum Thema der Sendung, wer nun schwerer von dem Virus getroffen wird als andere, kam relativ kurz. Die beengten Wohnverhältnisse etwa der osteuropäischen Arbeiter in der Fleischindustrie wollen nun alle abschaffen. Schmidt-Chanasit weist darauf hin, dass sozial Schwächere auch von anderen Krankheiten stärker betroffen seien. Immerhin ein Problem haben viele der schlecht bezahlten Rumänen, Bulgaren, Polen, Serben oder Kroaten in Deutschland nicht: Mit der Frage, wohin wohl der nächste Urlaub geht, müssen sie sich nicht herumschlagen.

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