Übernahme von G + J:Ende eines stolzen Verlagshauses

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Zur Mediengruppe RTL Deutschland in Köln gehören demnächst auch Marken wie der "Stern". (Foto: Henning Kaiser/dpa)

RTL kauft Gruner + Jahr mit Magazinmarken wie "Stern", "Geo" und "Brigitte" - in der Hoffnung, so gegen Netflix und andere bestehen zu können. Kann das funktionieren?

Von Caspar Busse

Immerhin, Hamburg als Standort soll erhalten bleiben. Und auch den Firmennamen soll es weiter geben: Künftig wird unter dem Dach von RTL eine Gruner + Jahr Deutschland GmbH existieren. Ansonsten wird sich fast alles ändern bei Gruner + Jahr. Die Entscheidung, die Thomas Rabe, in Personalunion Vorstandschef von Bertelsmann und RTL, am Freitagmorgen verkündete, bedeutet die Zerschlagung, das Ende eines stolzen Verlagshauses.

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An diesem Freitag ist der spektakuläre Kauf von Gruner + Jahr durch RTL verkündet worden. Wie ist dieser Deal zu bewerten? Fünf Medienprofis sagen, was sie davon halten.

"Es entsteht ein journalistisches Powerhouse mit der Inhalte-Kompetenz von mehr als 1500 Journalistinnen und Journalisten", schwärmte Rabe. RTL Deutschland in Köln übernimmt demnach die deutschen Magazingeschäfte und -marken von G+J. Damit wechseln bekannte Zeitschriftentitel wie Brigitte, Geo, Capital, Schöner Wohnen, Eltern oder Art zu RTL.

Die Redaktionen von G+J und RTL sollen "organisatorisch zusammengeführt" werden, kündigte Rabe ab. Wie genau das ablaufe, werde nun geklärt. Das Chefredakteursprinzip bleibe "selbstverständlich" bestehen, sagte er - die Maxime also, dass jeder Chefredakteur über sein Produkt eigenständig bestimmt. Aber eine sehr intensive Zusammenarbeit aller Redaktionen sei künftig dann doch erwünscht. Offenbar ist geplant, eigene Zuständigkeiten für die drei Kanäle Video, Audio und Text zu installieren. Unklar ist, was das alles für die Unabhängigkeit der selbstbewussten Magazin-Redaktionen in Hamburg, beispielsweise der des Stern, bedeuten wird.

Julia Jäkel führte von 2013 bis 2021 Gruner + Jahr, für ihren Rückzug gab sie persönliche Gründe an. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Schon seit Jahresanfang treibt Bertelsmann-Lenker Rabe das Zusammengehen der beiden Unternehmen energisch voran - es sind ohnehin Geschäfte in einer Medienfamilie der besonderen Art. G+J mit Hauptsitz in Hamburg gehörte schon bislang zu 100 Prozent zu Bertelsmann, erst vor wenigen Wochen war die langjährige Unternehmenschefin Julia Jäkel ausgeschieden. Die RTL Group, Dachfirma von RTL Deutschland mit Hauptsitz in Luxemburg, ist börsennotiert und gehört ebenfalls mehrheitlich mit rund 75 Prozent zu Bertelsmann. Der Abschluss der Transaktion sei bereits für den 1. Januar 2022 vorgesehen, teilte RTL mit. Erstaunlich niedrig ist der Kaufpreis, den RTL für die Übernahme zahlen wird: 230 Millionen Euro sollen verrechnet werden - für Geschäfte mit einem Umsatz von einer halben Milliarde Euro und 1700 Mitarbeitern, davon 800 Journalisten.

Die Beteiligung am "Spiegel" wird künftig direkt bei Bertelsmann liegen

Eine Reihe von G+J-Geschäften sind allerdings nicht Teil der Transaktion und verbleiben künftig bei Bertelsmann. Dazu gehören unter anderem die DDV Mediengruppe, die die Sächsische Zeitung in Dresden verlegt, sowie die 25-Prozent-Beteiligung von G+J am Spiegel. Offen ist, wie es mit diesen Beteiligungen weitergeht, die nun irgendwie wie ein Fremdkörper im Bertelsmann-Reich wirken. An einen Verkauf sei nicht gedacht, betonte Rabe, die Aktivitäten sollen aber "weiterentwickelt" werden. Am Spiegel sind neben Bertelsmann mit 50 Prozent die Spiegel-Mitarbeiter und mit knapp einem Viertel die Erben von Gründer Rudolf Augstein beteiligt, der Einfluss von G+J war bislang sehr begrenzt. Ein Verkauf der Beteiligung könnte in dieser Konstellation schwierig sein.

Für das Hamburger Verlagshaus G+J ist die Zerschlagung so etwas wie das Ende einer Ära: Die Firma wurde 1965 bei Erdbeerkuchen mit Sahne im Garten einer Villa in der Hamburger Alsterkrugchaussee gegründet. Die beiden Verleger Gerd Bucerius ( Stern und Zeit) und John Jahr ( Constanze, Brigitte, Schöner Wohnen, Petra, Capital) gründeten nach jahrelangen Gesprächen zusammen mit dem Hamburger Druckereibesitzer Richard Gruner das Druck- und Verlagshaus Gruner + Jahr (Bucerius wollte ausdrücklich nicht im Firmennamen auftauchen). Das Unternehmen wurde bald zu Deutschlands - und später auch zu Europas - größtem Zeitschriftenverlag. Dort entstanden Titel wie Stern, Schöner Wohnen, Geo, Brigitte - Zeitschriften, die das Lebens-, Wohn- und Fernwehgefühl von Generationen prägten.

Thomas Rabe ist Chef von Bertelsmann und von RTL, er hat die Übernahme vorangetrieben. (Foto: Hannibal Hanschke/REUTERS)

Seit Jahren schon schwinden bei G+J aber Umsatz und Bedeutung gleichermaßen. 2013 lagen die Erlöse noch bei mehr als zwei Milliarden Euro, jetzt ist es sehr viel weniger, zuletzt wurden alle Aktivitäten in Frankreich abgestoßen. Die Gründe für die Schrumpfkur: Anzeigen- und Auflagenschwund, Abwanderung ins Digitale, Verkäufe von Tochterunternehmen. Der andauernde Rückgang musste mit immer neuen Kostensenkungen aufgefangen werden - es war eine Abwärtsspirale. Rabe suchte nach einer Lösung und ersann in der Not die Übernahme durch RTL.

"Nicht ganz einfach": Die Kulturen sind sehr unterschiedlich

Das Problem: Die Kulturen beider Häuser sind sehr unterschiedlich. RTL stand bisher für seichte Unterhaltung, G+J für gehobene Zeitschriften. Die Magazinleute aus Hamburg haben auf die Fernsehkollegen in Köln immer belustigt hinuntergeschaut. Dabei ist seit Langem RTL der Ort, an dem Bertelsmann das Geld verdient. Der Deutsche Journalisten-Verband hatte schon vor Monaten vor radikalen Stellenstreichungen bei den Gruner-Titeln und einem "Tod auf Raten" gewarnt. Rabe räumte nun ein, dass die Zusammenführung "nicht ganz einfach" werden wird, sie solle "unter Wahrung der einzelnen Identitäten" erfolgen. Aber er betont: "RTL und Gruner und Jahr passen sehr gut zusammen." Wie es weitergeht, ist für ihn auch klar: "Wir laden die Marke RTL neu auf", sagt Rabe, durch Inspiration und unabhängigen Journalismus, der künftig auch aus Hamburg kommen soll.

Mit der Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" verdient RTL Geld. (Foto: Matthias Bein/dpa)

Offen ist noch, wer das neue Unternehmen führen wird. Ambitionen hat natürlich G+J-Chef Stephan Schäfer, er gilt intern als Vertrauter von Rabe und ist neben seinem G+J-Job bereits auch bei RTL tätig. Bislang führt aber Bernd Reichart RTL Deutschland, er ist seit Anfang 2019 im Amt und forciert gerade den Umbau und den Imagewandel der Fernsehsender - hin zu mehr inhaltlicher Bedeutung und Augenhöhe zu den Öffentlich-Rechtlichen. Über die Führung werde später entschieden, sagte Rabe, der aber selbst weiter sowohl Chef von Bertelsmann als auch der RTL-Gruppe bleiben will.

Aber kann die Ehe zwischen den ungleichen Partnern ein Erfolg werden? Mit dem Zusammenschluss will RTL den großen Tech-Plattformen und Streamingdiensten wie Netflix, Amazon, Google und Facebook Paroli bieten, die einen immer größeren Teil des Werbemarktes beherrschen. Die Hoffnung ist, mit den bekannten Magazin-Marken auch im Fernsehen mehr Relevanz zu erhalten und attraktiver für Zuschauern und Werbekunden zu werden. "Im wachsenden Wettbewerb mit den globalen Tech-Plattformen sind exklusive, lokale Inhalte der Schlüssel zum Erfolg", sagte Rabe.

Dazu kommen Synergien, also die positiven Effekte aus der Übernahme. Sie werden auf bis zu 100 Millionen Euro im Jahr geschätzt und sollen schrittweise bis zum Jahr 2025 steigen. Etwa ein Viertel davon entfalle auf Einsparungen, etwa von Personalkosten. Wie viele Jobs abgebaut werden sollen, stehe noch nicht fest. RTL und G+J haben derzeit in Deutschland zusammen gut 7600 Mitarbeiter.

Die Moderatoren Jan Hofer und Pinar Atalay sind von der ARD zu RTL gewechselt und sollen dort jetzt das Profil schärfen. (Foto: Pförtner; Kaiser/dpa)

RTL wiederum hatte in den vergangenen Monaten bereits Beteiligungen in anderen europäischen Märkten wie in Frankreich und den Niederlanden abgestoßen und will sich nun vornehmlich auf Deutschland konzentrieren, dort wurde zuletzt der Kinderkanal Super RTL vollständig übernommen. Auch das Image wird kräftig poliert, Krawallmoderator Dieter Bohlen ist weg, "Tagesschau"-Veteran Jan Hofer wurde engagiert. Demnächst soll es eine abendliche Nachrichtensendung geben, zeitlich zu den Tagesthemen im Ersten, dafür wurde die Journalistin Pinar Atalay vom Nachrichtenmagazin des Ersten abgeworben.

Fast als Beweis, wie stark man ist, verkündete die RTL-Gruppe am Freitag zugleich gute Zahlen: So wurde in der ersten Jahreshälfte ein Rekordergebnis verbucht und der Ausblick für 2021 angehoben. Der Konzernumsatz soll bei rund 6,5 Milliarden Euro liegen, 300 Millionen Euro mehr als bisher in Aussicht gestellt, 2022 kommt dann G+J dazu. Auch der größte Konkurrent von RTL in Deutschland, Pro Sieben Sat 1, hatte in dieser Woche von sehr guten Zahlen berichtet. Weitere Großprojekte hat Rabe bereits ausgemacht: "In zwei bis drei Jahren würde ich nicht ausschließen, das es zu einer Annäherung zwischen Pro Sieben Sat 1 und RTL kommen kann", sagte er. Was immer das bedeutet.

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