"Anne Will" zur US-Wahl und Trump:"Kindisch, bockig, launisch" 

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Lobt die Beharrlichkeit von Joe Biden. Womöglich eine Tugend, die NRW-Ministerpräsident Armin Laschet auch bei sich selbst sieht? (Foto: Wolfgang Borrs/NDR)

Bei "Anne Will" wendet sich ein Republikaner gegen den abgewählten US-Präsidenten Trump. NRW-Ministerpräsident Laschet positioniert sich als deutscher Joe Biden.  

TV-Kritik von Thomas Hummel

Heiko Maas sitzt in seinem Haus in Brandenburg vor einem Computer und ist live zugeschaltet bei der Talkshow "Anne Will" in Berlin. Der Außenminister sieht leicht blass aus um die Nase, die Augen sind etwas gerötet und der Gedanke drängt sich auf, dass Maas sich wegen eines Kontakts mit einem Corona-Infizierten in Quarantäne begeben musste. Maas wurde allerdings bereits negativ getestet und der SPD-Politiker wirkt auch ganz fidel. Vermutlich ist die Beleuchtung ungünstig im Haus. Genauso wie die Internetverbindung, denn Maas ist in der Sendung zunächst kaum zu verstehen. Anne Will unterbricht den Außenminister deshalb kurzerhand und bittet ihn: "Könnten Sie irgendwie an Ihrem Rechner was schieben, zur nächsten Milchkanne laufen, keine Ahnung, um das besser zu machen."

Außenminister Maas soll zu einer Milchkanne laufen, damit seine Internetverbindung besser wird? Sicher nur ein kleiner Scherz von Anne Will. Oder sind das Brandenburger Spezialtricks, solange die Digitalisierung nicht vorankommt? Maas jedenfalls ist fortan gut zu hören, wenn auch nicht so deutlich wie später in der Sendung der aus einem New Yorker Auto zugeschaltete Pastor und Bürgerrechtler Al Sharpton.

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:Der Kampf geht weiter

Solange ihn seine Parteifreunde im Kongress nicht fallen lassen, wird Trump weiter gegen das Wahlergebnis vorgehen - egal wie wenig erfolgversprechend seine Klagen auch sein mögen.

Von Reymer Klüver

Insofern überbringt die Talksendung am Sonntagabend eine beruhigende Nachricht: In den USA gibt es Dinge, die wirklich gut laufen. Besser als in vielen anderen Ländern. Auch wenn Deutschland und die Welt in den vergangenen Tagen auf diese zähe, kaum enden wollende Wahl gestarrt hat. Auf einen Noch-Präsidenten Donald Trump, der wie ein handelsüblicher Autokrat den Wahlvorgang anzweifelt, seine Unterstützer zum Kampf aufruft und sich selbst zum Sieger erklärt. Obwohl er nach allem, was man derzeit weiß, verloren hat. Und so lautet das Thema bei "Anne Will": "Machtwechsel im Weißen Haus - können Biden und Harris die USA wieder vereinigen?"

Trump-Versteher im deutschen Fernsehen

Um diese Frage zu beantworten, ist Peter Rough in der Sendung der interessanteste Gast. Geht es um Trump und die USA, ist Rough für deutsche Talksendungen pures Gold. Sie brauchen jemanden, der glaubhaft im Trump-Lager steht, um eine unterhaltsame Debatte zu liefern. Dieser jemand soll zudem Deutsch sprechen, was die Auswahl fast schon auf die Person Rough reduziert. Er ist Amerikaner mit österreichischen Wurzeln, dazu Politikberater am konservativen Hudson Institute in Washington und Mitglied der Republikanischen Partei. Er ist so etwas wie der Trump-Versteher im deutschen Fernsehen. Roughs Loyalität hat allerdings Grenzen.

Zu Trumps Auftritt am Donnerstagabend (Ortszeit) im Weißen Haus, wo der Präsident von Wahlbetrug am amerikanischen Volk sprach, sagt Rough: "Es war kindisch, es war etwas bockig, es war launisch." Er pocht darauf, dass die Republikaner jedes Recht hätten, die Wahl juristisch prüfen zu lassen. Er wiederholt die Legende, wonach in Pennsylvania Beobachter der Partei aus den Wahllokalen verwiesen worden seien - was aber bislang unbestätigt ist. Und findet, dass Briefwahl die Ausnahme bleiben sollte (vermutlich, weil Briefwähler sehr stark die Demokraten gewählt haben). Doch er zweifelt nicht daran, dass am Ende des Prozesses im Januar ein geordneter Übergang stehen werde. "Dann wird sich das Land auf eine Präsidentschaft Biden/Harris einstellen müssen."

Auch die beiden Professorinnen Lora Anne Viola (Freie Universität Berlin) und Hedwig Richter (Universität der Bundeswehr München) beschwichtigen bei der Frage, ob sich Donald Trump mit Tricks und Tücke irgendwie im Weißen Haus halten könnte. Der Glaube daran, dass die amerikanische Demokratie stärker ist als Donald Trump, zieht sich durch alle Beobachter und Analysten. Peter Rough zitiert dazu einen polnischen Soziologen namens Stanislav Andreski. Der hatte in den 1970er Jahren die USA mit einem Gummiblock beschrieben, die Sowjetunion mit einem Betonblock. Kriegt der Beton einen Riss, gehe gleich die ganze Struktur kaputt. Gummi sei zwar weicher, aber am Ende beständiger. Oder wie es Heiko Maas in Brandenburg formuliert: "In einer Demokratie sind anständige Verlierer systemrelevant. Es ist das Wesen einer Demokratie, dass es Sieger und Verlierer gibt. Das ist bei Herrn Trump vielleicht noch nicht angekommen." Damit könnte er recht haben.

Peter Rough liefert weitere, interessante Einblicke in das Denken vieler Republikaner. Diese Partei, einst dominiert von der weißen Ober- und Mittelschicht, entwickle sich jetzt zu einer "multiethnischen Arbeiterpartei". Sie inszeniere sich als Bollwerk gegen nicht demokratisch legitimierte Machtkonzentrationen wie Hollywood, Silicon Valley, Universitäten, große Medienhäuser und die Finanzwelt. Gegen die sogenannten Eliten also, die angeblich im Hintergrund die Welt steuern und auch die Moral vorgeben.

Das ginge dann in Deutschland schon in Richtung AfD. In den USA gräbt die Grand Old Party (GOP), wie die Republikaner genannt werden, mit diesem Narrativ der einstigen Arbeiterpartei der Demokraten Wählerinnen und Wähler ab. Die Demokraten teilen gewissermaßen das Schicksal der SPD.

Pressestimmen zu Bidens Wahlsieg
:"Ein Moment der Demut und der Besinnung"

Viele internationale Medien setzen große Hoffnungen in Joe Biden. Sie sehen aber auch die Herausforderungen, vor denen er als künftiger US-Präsident stehen wird.

Klaus Brinkbäumer, ehemaliger Chefredakteur des Spiegels und heutiger Autor mit USA-Bezug, sagt, das Land sei gespalten und polarisiert. "Die Menschen können kaum noch miteinander reden. Sie verständigen sich nicht mehr über Wirklichkeit. Sie wissen nicht mehr, ist Covid jetzt eine Bedrohung oder ist es eine Erfindung des politischen Gegners?" Schuld daran seien auch die Medien, sowohl die Fernsehsender wie die Internetmedien, wo sich Hass sehr gut verkaufe.

Was macht Laschet in der Runde?

Warum der Talkshow-Dauergast Armin Laschet selbst beim Thema USA in der Runde sitzt, ist zunächst ein Rätsel. Doch bald weiß man es, denn er offenbart unterschwellig seine Strategie im Kampf um den Vorsitz in der CDU. Laschet erinnert daran, wie Joe Biden Präsidentschaftskandidat der Demokraten wurde. "Das war ein mühsamer Weg in der eigenen Partei, mit Ruhe und Sachlichkeit gegen die eigenen Heißsporne aufgestellt zu werden."

Wie bestellt kommt einem beim Wort Heißsporn Gegenkandidat Friedrich Merz in den Sinn. Laschet wird sich also von nun an als der deutsche Joe Biden präsentieren. Ob dabei sein Adjutant Jens Spahn die deutsche Kamala Harris (Vize von Biden) sein will, ist nicht bekannt.

Neben diesen Episoden ist vor allem die Schalte nach New York beeindruckend. Der schwarze Bürgerrechtler Al Sharpton macht aus dem Auto heraus klar, was für einige in den USA auf dem Spiel stand bei dieser Wahl. Der Sieg Bidens habe bei ihm ein Gefühl der Erleichterung und der Freude ausgelöst. Donald Trump sei die rassistischste und vorurteilsbeladenste Person im Weißen Haus, die er je erlebt habe. "Trump hat uns die Luft genommen und jetzt haben wir ausgeatmet."

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