"The Tender Bar" auf Amazon:Weisheiten am Tresen

Lesezeit: 4 min

George Clooney als Regisseur am Set von "The Tender Bar" (Foto: Claire Folger/Amazon)

George Clooney erzählt in seiner Regiearbeit "The Tender Bar" eine Coming-of-Age-Geschichte aus einer Zeit, als der amerikanische Traum noch kein Witz war.

Von Susan Vahabzadeh

Mit der Milde ist es so eine Sache. Als Charakterzug ist sie ausgesprochen angenehm, als Motor für ein Drama aber eher untauglich. Dass George Clooney es bei seiner neuen Regiearbeit "The Tender Bar" mit der Milde übertrieben hat, hätte man schon ahnen können, wenn man im Trailer sieht, wie Ben Affleck den kleinen Daniel Ranieri an sich drückt, als wäre er ein Kuscheltier. Süß. Sieht ein bisschen so aus, als habe man Clooney für seinen letzten Film, das End- und Eiszeitdrama "The Midnight Sky", zu viel Pessimismus für eine Pandemie vorgeworfen, und jetzt versucht er mal, die Dinge in einem lieblicheren Licht zu zeichnen. Das ist durchaus gelungen - man kann mit "The Tender Bar" anderthalb wunderbare Stunden verbringen. Viel mehr aber nicht, und man möchte sagen: Clooneys beste Arbeit ist das nicht.

Der Drehbuchautor William Monahan, der unter anderem auch Martin Scorseses "The Departed" geschrieben hat, hat für Clooneys Film die Kindheitserinnerungen des amerikanischen Journalisten und Schriftstellers J. R. Moehringer adaptiert. Moehringer, Jahrgang 1964, erzählt in "The Tender Bar", wie er als kleiner Junge in den Siebzigerjahren mit seiner Mutter nach Long Island zu seinem Großvater zog. Für ihn selbst ist das wunderbar, für die Mutter das Eingeständnis, dass sie es draußen in der Welt nicht geschafft hat. Für J. R. wird sein Onkel Charlie ein besserer Vater, als sein eigener je hätte sein können, denn Onkel Charlie hat ganz klare Vorstellungen davon, wie Männer sein sollten. Unter anderem kommen sie ihren Unterhaltspflichten nach und lassen ihre Kinder nicht im Stich.

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Ihr werdet dem Teufel begegnen, sagt der Professor den Studenten im Hörsaal

Der Titel ist ein Wortspiel: Es geht nicht etwa um eine zärtliche Bar, der liebliche Bar-Tender ist Charlie, gespielt von Ben Affleck, und der ist eine wirklich bezaubernde Figur: Er hat eine Kneipe auf Long Island, in der sich alle wohlfühlen, obwohl der Job so gar nicht zu Charlie passt. Charlie ist belesen, in allem ein Autodidakt, und einer, der Bildung über alle Maßen wertschätzt. Aber eigentlich geht es nicht um Onkel Charlie, sondern um J. R., als Kind von Daniel Ranieri gespielt und als junger Mann von Tye Sheridan. Das Kind muss nach Yale, findet seine Mutter, es ist das einzige Gegengift zu ihrem eigenen verpfuschten Leben, das ihr einfällt.

Ihr werdet dem Teufel begegnen, sagt der Professor den Studenten im Hörsaal, aber wahrscheinlich weiß J. R. nicht, was er damit meint, jedenfalls fühlt er sich ziemlich überfordert bei seiner Ankunft in Yale. Eigentlich sollte er wissen, was Homer so alles geschrieben hat und wann, einstweilen weiß er aber nicht einmal, wer das sein soll.

Tye Sheridan und Lily Rabe in "The Tender Bar". (Foto: Claire Folger/Amazon)

Die Geschichte mit dem Teufel fällt da durch den Rost. Sie stammt von F. Scott Fitzgerald. Amory, der Held seines Romans "Diesseits vom Paradies" sieht seine Fratze im Fenster während seiner Zeit in Princeton, und man kann diese diabolische Begegnung auf unterschiedliche Arten interpretieren. Amory will alles hinter sich lassen, aber was er auch tut, und wohin er auch geht, der Teufel ist ihm immer auf den Fersen. J. R. ist wie einer von Fitzgeralds Helden, er hechtet einer diffusen Selbstoptimierung hinterher, um einer Frau zu gefallen, Amory liebt Isabelle, Gatsby versucht, seine Daisy zu beeindrucken, und J. R. hat jahrelang auf Yale hingearbeitet, nur um dort sein Herz an eine Studentin aus wohlhabenderem Umfeld zu hängen, die sich einen Teufel um ihn schert. Und dann braucht er eine ganze Weile, bis er wieder weiß, dass er nicht für andere studiert, sondern vor allem, um der Mensch zu werden, der er sein will.

Der Film ist ein bisschen süßlich, aber vielleicht ist das eben die derzeit bevorzugte Geschmacksrichtung

Onkel Charlies Männlichkeits-Analysen sind dabei hilfreich - und ausgesprochen zeitgemäß, obwohl sie ja aus den feministisch nicht gerade einwandfreien Siebzigern stammen. Das Ergebnis ist ein bisschen süßlich, aber vielleicht ist das eben einfach die derzeit bevorzugte Geschmacksrichtung. Es ist jedenfalls vollkommen klar, was Clooney sonst noch an Moehringers Bestseller interessiert hat: Es wirft einen Blick in eine Welt, die so nicht mehr existiert. Die Referenzen ans Kino der Siebziger haben ihn schon immer fasziniert, das Herumspielen mit Splitscreens, der Gelbstich der Bilder, das verwunschene Kaff auf Long Island stehen hier aber tatsächlich für ein verlorenes Paradies. "The Tender Bar" spielt zu Beginn der Reagan-Ära in den Achtzigern, im letzten Ausläufer einer kurzen Epoche, in der sich Menschen, deren Eltern keine Millionäre sind, eine Ausbildung an einer Ivy-League-Uni leisten konnten, ohne sich zu verschulden. Du könntest der Erste sein, der es aus eigener Kraft hier rausschafft, sagt Opa Christopher Lloyd zu J. R. Aber das stimmt nicht ganz: Die amerikanische Gesellschaft war damals durchlässiger, und mit einer guten Ausbildung konnte auch aus einem Jungen wie J. R., Spross einer Dynastie gescheiterter Existenzen, noch etwas werden.

Trailer zum Film:

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Der Geschichte fehlt der Halt, irgendwo zwischen der Nostalgie, der Feier des familiären Zusammenhalts, dem Teufel Sehnsucht und Onkel Charlies Männerwissenschaften verliert Clooney den Faden, der Moehringers Erinnerungen zusammenhält. "The Tender Bar" ist wie ein endloser Trailer für einen Film mit wundervollen und wundervoll gespielten Figuren, den man dann aber doch nie sieht. Im Abspann gibt es einen Strandausflug unter Männern, und da kann einem der Gedanke kommen, dass es nicht die Lieblichkeit ist, die "The Tender Bar" zu schaffen macht, sondern ein falscher Fokus. Weniger J. R., mehr Onkel Charlie. Clooney hätte dann immer noch ein Feelgood-Movie gemacht. Aber eines mit ein wenig mehr Biss.

The Tender Bar , USA 2021 - Regie: George Clooney. Drehbuch: William Monahan, basierend auf den Memoiren von J. R. Moehringer. Kamera: Martin Ruhe. Mit: Tye Sheridan, Ben Affleck, Daniel Ranieri, Lily Rabe, Christopher Lloyd. 104 Minuten, erhältlich auf Prime Video.

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