Max Beckmann in der Pinakothek der Moderne:Abfahrt

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Max Beckmanns Triptychon "Departure" entstand noch in Deutschland zwischen 1932 und 1935. (Foto: Museum of Modern Art, New York © 2022 /Scala, Florenz)

Die Pinakothek der Moderne komponiert eine große Max-Beckmann-Ausstellung um dessen unfreiwilliges Lebensthema: die Abreise.

Von Kia Vahland

Max Beckmann und seine Frau Quappi, Mathilde Kaulbach, posieren für die Kamera am Strand. Laufen ins Wasser und wieder heraus. Machen Wintersport. Bereisen mit viel Gepäck, das andere für sie tragen, schöne Hotels. Aus den privaten Fotografien und Filmaufnahmen der Beckmanns der Zwischenkriegszeit spricht Unbeschwertheit und Freude am mondänen Leben. Also nicht unbedingt das, was man gemeinhin mit Max Beckmann verbindet - dessen spätexpressive Kunst doch eher für schwarzkonturierte Schwere, ein Ringen mit existenziellen Nöten und eine melancholisch grundierte Erzählung alter Mythen bekannt ist. Was Teil ihrer Erfolgsgeschichte auch in den USA sein dürfte: so deutsch eben, rätselhaft, dunkel, gründelnd in metaphysischen Tiefen. An dieser Erzählung hatte der 1950 gestorbene Maler einigen Anteil, er orientierte sich an dem Schriftsteller Gottfried Benn und dem Philosophen Arthur Schopenhauer und nannte seine eigenen Bilder einmal "die abgeworfenen Häute meiner Selbst".

"Max Beckmann. Departure" heißt eine Ausstellung in der Pinakothek der Moderne. Das Foto zeigt Max und Quappi Beckmann in den Ferien (1934). (Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Max Beckmann Archiv, Max Beckmann Nachlässe)

Diesem düsteren Pfad folgt die Herbstausstellung der Pinakothek der Moderne ausdrücklich nicht, sondern sie setzt neben den Kunstwerken Beckmanns auf dessen durchaus heitere biografische Spuren, auf Postkarten, Fotoalben, Tagebücher, Urlaubsfilme oder den Impfnachweis für den Hund Butchy. Die Ausstellungsarchitektur präsentiert die kleinformatigen Dokumente aus dem umfangreichen, in München ansässigen Beckmann-Archiv in Einbauten, die sich zum Saal hin öffnen wie Schiffskabinen mit Ausblick.

Die Schau, die sich dem Reisen widmet, kommt erstaunlich leichtfüßig daher, bedenkt man, dass die Reisen Max Beckmanns nicht alle so lustvoll waren wie die Strandausflüge der frühen Dreißigerjahre. 1937 ließen die Nationalsozialisten Hunderte seiner Werke aus deutschen Museen beschlagnahmen und zeigten seine Arbeiten in der Münchner Schandausstellung "Entartete Kunst". Beckmann emigrierte umgehend mit seiner Frau und etlichen Gemälden nach Amsterdam. Seine Professur an der Frankfurter Städelschule hatte er schon 1933 verloren.

Wie tief dieser Einschnitt gewesen muss, lässt sich tatsächlich am besten im Kontrast mit Beckmanns unbeschwertem Leben während der Weimarer Republik nachvollziehen. Der erfolgsverwöhnte Maler war bestens vernetzt, seine Werke verkauften sich und waren in zahlreichen Museen prominent zu sehen. Seine zweite Heirat mit Quappi aus der großbürgerlichen Münchner Kaulbachfamilie sicherte ihn zudem ab.

Max Beckmann: "Junge Männer am Meer", 1905 (Foto: © Klassik Stiftung Weimar, Museen, Inv.-Nr.: G 543)

Hatte er früher einen spätimpressionistischen Stil mit hellen Farben und weichen Formen gepflegt (wie in der großen Leinwand "Junge Männer am Meer" von 1905), so wurden seine Werke mit der Zeit immer kantiger, klarer, farbintensiver; schließlich konturierte er die meisten Figuren schwarz, was sie voneinander und von der Welt hart abgrenzt. Die moderne Unverbundenheit und Einsamkeit zog so noch offenkundiger in seine Kunst ein. Gleichzeitig aber verabschiedete er sich nie vom figürlichen und erzählerischen Denken, sondern rang darum, die alten Heldengeschichten und Mythen, insbesondere der Antike, in die Gegenwart zu übersetzen. Das machte seine Kunst früh anschlussfähig auch für all jene, die mit der neuen Zeit noch fremdelten.

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Beispielhaft dafür steht das 1932 bis 1935 entstandene Triptychon "Departure", das seit 1942 dem New Yorker MoMA gehört und den Deutschen in Amerika berühmt machte. Die Schau in München eröffnet mit den drei Bildern und zeigt sie leicht versetzt, wodurch die beiden äußeren Gemälde den Besuchern besonders nahe rücken. In erdigen Farben zeigen sie Unterdrückung, Folter, Unfreiheit. Gefesselte Menschen werden traktiert, ein Obstteller bleibt ihnen unerreichbar, ein Trommler schlägt dumpf den Takt der Hoffnungslosigkeit.

In der Mitte aber bricht eine kleine Gruppe im Fischerboot auf strahlend blauem Meer zu neuen Horizonten auf, darunter ein Kämpfer, ein König, seine Frau und ihr Kind. Später erklärte der Maler das blonde Kind im Bildzentrum zur Verkörperung der Freiheit und schrieb: "Die Freiheit ist das, worauf es ankommt, sie ist die Abfahrt, der neue Beginn."

In Amsterdam schreibt er Tagebuch, malt, trinkt ein bisschen und hält sich so am Leben

Die Freiheit aber bleibt bei Max Beckmann nicht nur in diesem Bild eine vage Hoffnung. Etwas, das sich aus alten Idealen nährt, ohne schon im Hier und Jetzt angekommen zu sein. Seine Experimentierfreude ging weder inhaltlich noch formal je so weit wie bei Pablo Picasso, mit dem er sich gerne verglich und auch im Katalog der Ausstellung wieder auf eine Ebene gestellt wird.

Die beiden verbindet ihr lustvoller Bruch mit den gerade erst entstandenen Konventionen der Moderne; Picasso jedoch erfindet sich und die Malerei als Ganzes immer wieder komplett neu, fliegt ins Offene, zelebriert seine künstlerische Freiheit - Beckmann dagegen fährt seine schwarze Karosserie bisweilen lieber mit angezogener Handbremse. Zu sehr steht der Fahrer selbst im Mittelpunkt dieser Kunst, mit seinen Möglichkeiten und Grenzen. Weswegen Beckmanns Selbstbildnisse, die ein zwischen Wut, Zweifel und Verzagtheit hin- und hergerissenes Ich zeigen, besonders eindrucksvoll sind.

Max Beckmann: "Blick aus der Schiffsluke", 1934. (Foto: Privatsammlung)

Zeigt die Münchner Schau also nur eine Figur der Kunstgeschichte, einen modernen Maler von vielen? Nein, sie verortet Max Beckmann erstmals in seinem - unfreiwilligen - Lebensthema, dem Abreisen. Das ist eine Geschichte des Verlusts, wie sie aktueller kaum sein könnte: Jemand, der sich seines erarbeiteten Status sicher war, wird ins Nichts geworfen und kann in seiner Zweizimmerwohnung von Amsterdam, bald auch unter deutscher Besatzung, vom Meer nur noch träumen. Er schreibt Tagebuch, malt, trinkt ein bisschen und hält sich so am Leben. Irgendwann verkauft er wieder Bilder und kann schließlich, nach der Befreiung, in den USA ein neues Leben beginnen.

Ob ihm dabei der König und das blonde Kind halfen? Wohl eher das Wissen um Abgründe, die im 20. Jahrhundert keineswegs eine metaphysische Angelegenheit blieben, sondern Realität wurden. Und in die dieser Künstler blickte.

Max Beckmann: Departure. Pinakothek der Moderne, München. Bis 12. März.

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