Wenn Menschen im Winter im eiskalten Wasser schwimmen, klingt das verrückt. Nur: Das Bad im Eiswasser macht womöglich schlank. Denn Kälte, das haben Studien an Mäusen gezeigt, kurbelt über Botenstoffe im Körper die Fettverbrennung an. Wissenschaftler sind hellhörig geworden: Wenn Kälte die Verbrennung von Kalorien bewirkt, könnte das auch eine Pille schaffen? Ein Medikament, das es erlaubt, so viel zu essen wie man will - und dann beim Abnehmen hilft?
Seit Jahrzehnten forschen Wissenschaftler zu der Frage, wie man Menschen von Übergewicht befreien kann. Doch so richtig fangen sie erst heute an zu verstehen, wie genau der Körper Fettpolster anlegt. Dazu mussten sie zuallererst lernen, dass es das eine Fett gar nicht gibt, wie die Kälteversuche gezeigt haben.
Der vielen Menschen aus der eigenen Bauch- und Hüftregion bekannte Speck besteht aus sogenannten weißen Fettzellen, sie geben bei anhaltender Mangelernährung Energie frei. In Zeiten, in denen der Mensch durch Wälder streifen und Nahrung finden musste, waren diese Reserven eine Überlebensversicherung gegen das Verhungern.
Das braune Fett wurde erst bei Nagern, dann bei Säuglingen entdeckt
Doch der Körper kennt noch eine weitere Art, das braune Fett. Es wurde bereits im 16. Jahrhundert bei der Obduktion von Nagern gefunden, später dann auch bei Säuglingen, und doch in der medizinischen Forschung lange Zeit vernachlässigt. Neugeborene können noch nicht richtig mit den Muskeln zittern, um Wärme zu produzieren. Um den kleinen Körper vor Unterkühlung zu schützen, hat die Natur braunes Fettgewebe vorgesehen, das im Notfall schnell verbrannt werden kann.
Lange dachte man, dass dieses braune Fettgewebe kurz nach der Geburt wieder verschwindet. Um die Jahrtausendwende aber wurde braunes Fett auch bei Erwachsenen entdeckt - und plötzlich Wissenschaftler auf der ganzen Welt neugierig. Die große Frage der Forschung lautet seitdem: Wenn es dem Säugling gelingt, zügig Fett zu verbrennen, warum nicht auch dem Erwachsenen? Statt also lästigen Hüftspeck anzulegen, könnte man überschüssige Kalorien schlicht zum Verdampfen bringen?
Auf der Suche nach einer Antwort wurde schließlich noch eine weitere, dritte Fettart entdeckt. Deren Zellen enthalten deutlich mehr Mitochondrien (die Kraftwerke einer Zelle) als weißes Fett, weshalb sie etwas trüber erscheinen. Ihr neuer Name: brite fat, eine Wortneuschöpfung aus "brown-in-white", also braun-weiße Zellen. Zu Deutsch: beiges Fett.
Diese Zellen erweisen sich als besonders wandelbar. In Ruhezeiten ahmen sie weißes Fett nach, bei Kälte jedoch schalten sie auf Wärmeproduktion um, in der Medizin als Thermogenese bezeichnet. Verschiedene Messungen haben gezeigt, dass schlanke Menschen weniger weißes und mehr beiges Fett in sich tragen. Würde es also gelingen, weißes in beiges Fett zu verwandeln, zum Beispiel durch ein Medikament, könnte dies vielen Menschen das Abnehmen erleichtern.
Und hier kommt wieder die Kälte ins Spiel: Versuche mit Mäusen konnten zeigen, dass die Tiere in frostiger Umgebung tatsächlich vermehrt beiges Fett produzieren. Kälte scheint also ein Reiz zu sein, der diese Umwandlung bewirkt. Skifahren in der Badehose würde möglicherweise beim Menschen einen ähnlichen Effekt erzielen, scheint aber als Abnehmstrategie nicht massentauglich zu sein.
Noradrenalin löst die Produktion beiger Fettzellen aus
Gegenwärtige Forschungsprojekte konzentrieren sich daher auf die Frage, wie man den Kälteeffekt nachahmen kann - also: Welche Botenstoffe im Körper lösen die Produktion beiger Fettzellen aus? Diskutiert werden beispielsweise Stresshormone wie Noradrenalin, das Peptidhormon Irisin oder der Viagra-Wirkstoff Sildenafil. Alexander Pfeifer, Leiter der Pharmakologie an der Universität Bonn sieht Chancen, dass einer dieser Signalwege irgendwann einmal in Form eines Medikaments zur Anwendung kommen könnte.
Er warnt gleichwohl vor zu hohen Erwartungen: Noradrenalin zum Beispiel wirkt auf den gesamten Kreislauf und steigert bei hohen Dosen den Blutdruck. Erleidet der Patient während seiner Diät aber einen Herzinfarkt, ist diese Strategie medizinisch sicherlich nicht gerechtfertigt. Für eine Abnehmpille im klassischen Sinne also - Packung auf, Wasserglas, Schluck, schlank - bedarf es noch Jahre an Forschung.
Ziel der Untersuchungen ist übrigens keineswegs nur eine Pille als kleines Hilfsmittel für die ideale Strandfigur zum Sommerurlaub. Stimmen die Berechnungen, und daran bestehen im Moment wenig Zweifel, könnten bis zum Jahr 2025 mehr als eine Milliarde Menschen fettleibig sein. Schon heute ist Übergewicht einer der entscheidendsten Risikofaktoren für Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Die Folgeerkrankungen sind Nervenleiden und Nierenversagen, letztlich ein körperlicher Totalschaden.
In der Wissenschaft ist die Rede ist von einer weltweiten Adipositaspandemie, deren Folgekosten die Gesundheitssysteme ganzer Staaten in die Knie zwingen könnten. Allerdings ist das weltweite Adipositasproblem vielschichtig; hier spielen Armut, geringe Bildung und auch psychische Krankheiten weitere entscheidende Faktoren. Dass eine Abnehmpille diese gewaltigen Probleme lösen wird, darf bezweifelt werden.