NS-Geschichte in Bayern:Streiten über Straßen

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Das Mozartfest ist das kulturelle Aushängeschild der Stadt Würzburg. Begründet wurde es von dem umstrittenen Komponisten Hermann Zilcher. (Foto: Clara Lipkowski)

Regensburg debattiert noch, Würzburg hat nun abgestimmt - nach sieben Jahren heftiger Auseinandersetzungen. Über den schwierigen Umgang mit historisch belasteten Namen.

Von Deniz Aykanat, Regensburg, und Clara Lipkowski, Würzburg, Regensburg, Würzburg

Die Hermann-Zilcher-Straße im eher ruhigen Würzburger Stadtteil Frauenland wird es bald nicht mehr geben. So hat es der Stadtrat am Donnerstag entschieden - nach heftigem Streit. Sie wird umbenannt, ausgerechnet, sagen manche, hatte doch der Namensgeber und Komponist Zilcher der Stadt so große musikalische Dienste erwiesen. Zeit wurde es, finden andere, seit eine Untersuchung eines Historikers gezeigt hatte, dass der Künstler Nutznießer der Nationalsozialisten war. Ihn in Ehren halten mit einem eigenen Straßennamen? Man könnte meinen: natürlich nicht. Doch so einfach war es nicht. Und glaubt man dem härtesten Widersacher in der Sache, könnte die letzte Runde - trotz Ratsentscheid - noch nicht gedreht sein.

In vielen Städten Bayerns wird mittlerweile geprüft, ob Straßen noch vertretbare, zeitgemäße Namenspaten und -patinnen haben. Oft rücken Menschen in den Fokus, die während des Nationalsozialismus wirkten. So auch in Regensburg. Aber dass es so persönlich wird wie in Würzburg, einschließlich heftiger gegenseitiger Vorwürfe, ist doch eher selten.

Das Urteil war eindeutig: Der Komponist Hermann Zilcher war kein einfacher Mitläufer, sondern Nutznießer der Nazis. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung)

Es fing 2015 mit einer Kommission an, die der Rat damit beauftragte, gut 120 Straßennamen näher zu prüfen. Bei manchen Straßen war man sich zügig einig, hier winkte die Stadt nun eine Umbenennung mehr oder weniger durch. Bei Zilcher (1881-1948) war es schwieriger, obwohl die Kommission die Umbenennung empfahl. Zilcher ist bis heute in Würzburg ein angesehener Komponist, leitete das Bayerische Staatskonservatorium Würzburg und begründete schon 1921 das Mozartfest, bis heute Aushängeschild für die Stadt. Doch Zilcher begrüßte 1934 die Etablierung einer Diktatur, war Mitglied im Nazi-Stadtrat von 1939 bis 1945, auf Vorschlag eines Gauleiters. Er hatte Hitler mit einem Musikvers gehuldigt und einen Anhänger einer Freikirche bei der Gestapo angezeigt, ihn damit in Lebensgefahr gebracht - offenbar, um dessen Einfluss auf seine eigene Familie zu verhindern. Das arbeitete der Münchner Historiker Niels Weise für die Kommission auf und sein Urteil war eindeutig: Ein einfacher Mitläufer sei Zilcher nicht gewesen, sondern Nutznießer der Nazis.

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Wissenschaftliche Zweifel und Nebelkerzen in Würzburg

Doch besonders einem Mann im Stadtrat missfiel das. Wolfgang Baumann (Zukunft für Würzburg) hielt dem Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) methodische Mängel vor. Weise wies das zurück, er habe transparent, nach wissenschaftlichen Standards belegt, woher seine Informationen stammten. Der Sohn des Komponisten, Helmut Zilcher, äußerte Zweifel, irgendwann stellte sich die Leitung des IfZ sehr deutlich per Stellungnahme hinter ihren Historiker. Im Stadtrat war zu hören, Baumann passe schlicht das Ergebnis der Untersuchung nicht, also lenke er auf die Methodik. Das Pikante: Baumann selbst ist Mitglied der Würzburger Hermann-Zilcher-Gesellschaft und steht mit Nachkommen Zilchers in Kontakt. Er legte ein 90-seitiges "Memorandum" vor, gewissermaßen sein eigenes Gutachten.

Nur ist Baumann kein Historiker, sondern Jurist, bemerkten mehrere Stadträte spitz. Sein Memorandum strotze vor Fehlern, kritisierte der Kulturreferatsleiter. Beide warfen einander Lügen vor. Baumann versuchte bis zuletzt, die Abstimmung vertagen zu lassen, sprach von "neuen Erkenntnissen", erntete dafür Kopfschütteln im Plenum, "Nebelkerzen" seien das. Zuspruch kam aus der CSU. Die Grünen, stärkste Fraktion im Stadtrat, positionierten sich pro Umbenennung, die FDP bezweifelte Zilchers Vorbildcharakter.

Das finale Votum am Donnerstag fiel schließlich mit 29 von 48 Stimmen pro Umbenennung deutlich aus. Aufmerken ließ, dass Oberbürgermeister Christian Schuchardt nicht dafür stimmte. Er sprach sich wie die CSU für eine Kontextualisierung der Straße aus, also eine einordnende Infotafel oder einen QR-Code. Für Beobachter ein Zeichen dafür, dass er es sich mit der Zilcher-Gesellschaft nicht verscherzen wolle. Im Saal war man dennoch erleichtert, einige Stadtratsmitglieder atmeten sichtlich auf, ein Ende nach sieben Jahren.

Was nicht heißt, dass Baumann aufgeben würde. Am Tag danach zeigte er sich enttäuscht und sagte, ein Bürgerbegehren sei "in Vorbereitung". Eine weitere Nebelkerze? Fest steht aber: Kommt die Umbenennung, soll die Straße einen Frauennamen erhalten, weil dies bislang bei nur etwa 15 Prozent der nach Personen benannten Straßen in Würzburg der Fall ist. Eine Liste mit Dutzenden Vorschlägen liegt bereits beim Stadtrat.

Salamitaktik in Regensburg

Gut 200 Kilometer südöstlich, in Regensburg, läuft eine ähnliche Debatte, ebenfalls nach Jahren des Streits. Dabei ist sich eine Mehrheit eigentlich einig, was zu tun ist - nur ist es die falsche Mehrheit. Im Juli 2020 hatte der Stadtrat einstimmig beschlossen, sämtliche Straßen, Plätze und Gebäude auf einen Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus oder einen anderen antidemokratischen Hintergrund hin zu überprüfen. Von 1300 Straßennamen konnten bereits mehr als 400 aussortiert werden, die unbedenklich sind. Etwa 900 müssen noch überprüft werden.

Das will man laut Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) und ihrem Bildungsreferenten Hermann Hage gründlich tun - und vor allem in Gänze. Ein Expertengremium soll unter Einbeziehung der Bürger alle bedenklichen Namen herausfiltern und Änderungsvorschläge dem Stadtrat zur Abstimmung vorlegen. So empfehlen es Wissenschaftler, das Vorgehen hat sich in anderen Städten bewährt und auch Grüne, Linke und alle anderen Fraktionen im Stadtrat sind dafür.

Jahrelang verhinderte die Regensburger CSU die Umbenennung der Florian-Seidl-Straße. Beim Karl-Freitag-Park kann es der Stadtratsfraktion nun gar nicht schnell genug gehen. (Foto: Stefan Kiefer/dpa)

Also das Gegenteil von "Salamitaktik", wie Bildungsreferent Hage sagt. Genau dieser Taktik aber hat sich offenbar die CSU verschrieben. Die Partei ist die größte Fraktion im Stadtrat, sie regiert in einer Koalition mit SPD und drei weiteren Parteien. Und sie ist in der Stadt nicht gerade dafür bekannt, bei der Umbenennung von Straßen vorzupreschen. Jahrelang verhinderte die CSU-Mehrheit die Umbenennung der Florian-Seidl-Straße, einem glühenden Anhänger der NS-Ideologie.

Beim Karl-Freitag-Park kann es ihr nun aber gar nicht schnell genug gehen. Die Schreibweise des Namens ist schon mal falsch, aber das ist nicht das größte Problem. Karl Freytag war NS-Funktionär, dass man ihn nicht mit einem Park ehren sollte, da sind sich ausnahmsweise alle einig. Die CSU will die Grünfläche nun nach der früheren Regensburger Sozialbürgermeisterin und Parteikollegin Hildegard Anke umbenennen. Die lebt aber noch. Eine Benennung ist laut einer Handreichung des Deutschen Städtetags aber nur nach Verstorbenen zulässig. Ansonsten sehen die Christsozialen nicht so viel Handlungsbedarf. Eine Umbenennung etwa der Drei-Mohren-Straße findet nach Ansicht der CSU bei den Bürgern keine Mehrheit. Einbeziehen will man die Öffentlichkeit aber ohnehin nicht, obwohl das Experten einhellig empfehlen.

Vom Beschluss zur Aufarbeitung und Einsetzung eines Gremiums bis zur tatsächlichen Abstimmung über eine Straßenumbenennung vergehen im Schnitt vier Jahre, sagte Bildungsreferent Hage am Ende einer hitzigen Stadtratssitzung. Oder auch mal mehr, wie das Beispiel in Würzburg zeigt. "So lange wird die Stadt Regensburg definitiv nicht brauchen." Ob er Recht behalten wird, hängt wohl nicht so sehr von Art und Weise der derzeitigen Erinnerungskultur ab, sondern wohl auch davon, wie lange es SPD und CSU noch in einer gemeinsamen Koalition aushalten.

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