Liste der Vorwürfe hat es in sich:Verrat an die Gestapo

Hermann Zilcher

Hermann Zilcher in einer Aufnahme um das Jahr 1942.

(Foto: Stadtarchiv Würzburg)

Seit Langem trägt eine Straße in Würzburg den Namen des hochgelobten Komponisten Hermann Zilcher. Neue Erkenntnisse von Historikern deuten darauf hin, dass er ein Nutznießer der Nazis war

Von Clara Lipkowski, Würzburg

Er gilt nach wie vor als bedeutender Würzburger Musiker und Komponist, doch die Liste der Vorwürfe gegen Hermann Zilcher hat es in sich: Schon vor 1933 aktiv im deutsch-völkischen Block, der den nationalsozialistischen Umsturz anstrebte. Während des Kriegs Ratsherr im Stadtrat für die NSDAP, auf ausdrücklichen Wunsch eines Gauleiters. Außerdem: Auftragskomposition für das Propagandaministerium und ein Musikvers, der dem "Führer" huldigt. Und dann hat kürzlich auch noch ein Historiker dargelegt, dass Zilcher einen Familienfreund an die Gestapo verriet und so bewusst dessen Leben in Gefahr brachte. Der hochgelobte Musiker Zilcher ein Nutznießer der Nazis? Nicht nur ein Mitläufer? Alles deutet darauf hin, doch in Würzburg sträuben sich einige gegen diese Auffassung.

Denn man wäre in Würzburg gerne uneingeschränkt stolz auf Zilcher. Er leitete und formte das Bayerische Staatskonservatorium Würzburg. 1921, vor genau 100 Jahren, gründete er das Mozartfest, das heute noch ein Spektakel für die Stadt ist, und man hätte sicherlich groß gefeiert, wäre nicht Corona dazwischen gekommen. Sein musikalisches Erbe wird kaum in Abrede gestellt. Und seit Jahrzehnten trägt eine Straße, Typ ruhige Wohngegend seinen Namen. Und genau darum wird nun gestritten, zwischen Stadtrat und Nachfahren, Musikfans und Wissenschaft. Kann man mit dem Wissen von heute eine derart umstrittene Person mit einer Straße ehren?

Mehrere Monate hat der Historiker Niels Weise vom Münchner Institut für Zeitgeschichte in Archiven und Bibliotheken zu Zilcher geforscht. Er ist einer von elf Köpfen einer Kommission, die die Stadt 2015 einberufen hat. Wissenschaftler, Politikerinnen und Verwaltungsmitarbeitende sollten die Historie für mehr als 120 Würzburger Straßenpatinnen und -paten prüfen. Es geht der Stadt auch darum, wie sie wahrgenommen werden will. In Zeiten erstarkender rechter Strömungen sei es wichtig, sich dem Thema zu stellen, sagt Kulturreferent Achim Könneke. Ende 2020 lag der Abschlussbericht vor. In acht Fällen empfahl die Kommission eine Straßenumbenennung oder Kontextualisierung, also eine Zusatzinfo etwa per QR-Code. In Zilchers Fall war das Votum mit einer Gegenstimme klar: pro Umbenennung. Die Kommission sieht Zilcher als Profiteur des NS-Regimes. Historiker Weise sagt: Zilcher sei ein besonders schwerwiegender Fall.

Seit der Bericht vorliegt, ist es unruhig im Stadtrat, der muss letztlich über die Umbenennung abstimmen. Die Grünen und die SPD sind grundsätzlich dafür, aber es gibt auch Zilcher-Anhänger. Wolfgang Baumann, Stadtrat der Fraktion "Zukunft für Würzburg" und zugleich Mitglied der Hermann-Zilcher-Gesellschaft (HZG) will noch Details geklärt haben. Es geht etwa um die Frage, ob Zilcher freiwillig oder unter Druck und schon 1933 oder erst später der NSDAP beitrat. Eine Aufarbeitung begrüßen alle Beteiligten, mit denen man spricht. Doch "leichtfertig" wolle man die Straße nicht umbenennen, sagt CSU-Fraktionschef Wolfgang Roth, und niemandem zu Unrecht im Nachhinein eine Ehrung entziehen. Man habe sich wegen unterschiedlicher Informationen noch kein letztes Urteil gebildet. Damit ist gemeint, dass auch Angehörige gehört werden sollen. Mit der unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung ist es also nicht getan. Auch, weil man noch um den "Fall Vinnai" ringt.

Historiker Weise widmet Eugen Vinnai eine eigene Stellungnahme: Jener Anhänger einer Freikirche, die auch bei schwerer Krankheit auf "göttliche Heilung" setzte, soll derart starken Einfluss auf Zilchers Frau und damit seine Ehe, und darüber hinaus seinen Schwager gehabt haben, dass Zilcher ihn letztlich 1940 bei der Gestapo denunzierte. Vinnais Einfluss sei "unheilvoll" und "schädigend", habe gar bewirkt, dass sein Schwager den Kriegsdienst verweigert, gab Zilcher demnach an. Auf einer Verweigerung konnte die Todesstrafe stehen, Zilcher habe wohl seinen Schwager schützen wollen, schreibt Weise. Zilcher ging aber noch weiter: Vinnais Einfluss sei "verderblich" für "das deutsche Volk". Zilcher, damals gut vernetzt, habe die "maximale Eskalationsstufe" gewählt, so Weise, er hätte sich auch an untere Parteifunktionäre wenden können. Vinnai kam später in die berüchtigte "Schutzhaft". Nach 18 Monaten wurde er entlassen, er hätte aber nach damaliger Praxis auch ins KZ kommen können, so Weise, Zilcher habe Vinnais Leben also bewusst gefährdet. Später wurde Vinnai als NS-Verfolgter anerkannt.

Nutzte also Zilcher Regimestrukturen, um sich eines familiären "Problems" zu entledigen? "Erschüttert" über die Einschätzungen der Kommission zeigt sich Tochter Helga Zilcher. Mit Blick auf Zilchers Ehe sieht sie "intimste Sorgen" der Familie offengelegt. Sohn Helmut Zilcher betont, gerade weil sein Vater zum Schutz des Schwagers gehandelt habe, könne man nicht von Denunziation sprechen. Auch die HZG spricht von einer Familienangelegenheit, keiner politischen, und nennt die Debatte ausgerechnet im 100. Jahr des Mozartfestes "eine Art politischer Schildbürgerstreich". Die Emotionen kochen die Debatte hoch. Doch am Ende bleibt die Frage: Wie entscheidet der Stadtrat?

Der will nun die Öffentlichkeit mit Veranstaltungen einbeziehen und sich mit der Kommission zu einer Fragerunde treffen. Zwischenzeitlich war deren Besetzung kritisiert worden, weil mit Peter Hoeres auch ein Würzburger Geschichtsprofessor darin sitzt, der in die Nähe zur Neuen Rechten gerückt wird. Ausgerechnet in einer Kommission, der es um die Aufarbeitung von NS-Verfehlungen geht? Referent Könneke hält dagegen: Ist die Kommission breit aufgestellt, seien deren Empfehlungen politisch weniger angreifbar.

Im Herbst, wenn der 100. Jahrestag des Zilcher'schen Mozartfests längst gefeiert ist, könnte die Entscheidung fallen. Käme die Umbenennung, ist man sich im Rat einig: Dann soll ein Opfer des Nazi-Regimes und in jedem Fall eine Frau Straßenpatin werden. Denn derzeit tragen nur etwa 15 Prozent der Würzburger Straßen, die nach Personen benannt sind, einen Frauennamen.

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