Extremwetter im Oberland:"Als wäre der Krieg ausgebrochen"

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Glashäuser wurden zu einem einzigen Scherbenhaufen. (Foto: Manfred Neubauer)

Ein Hagelsturm am Samstag zerstört Dörfer und beschädigt das historische Kloster Benediktbeuern stark. Einsatzkräfte sprechen von mindestens sechs Verletzten, toten Tieren und Schäden in unbestimmter Millionenhöhe.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Vorhersagen hatten ein Unwetter für Samstagnachmittag angekündigt. Was dann im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, insbesondere aber im südlichen Teil passiert ist, war einer der heftigsten Hagel- und Gewitterstürme, die die Region je gesehen hat: Die Polizei berichtet von zahlreichen Verkehrsunfällen mit mindestens sechs verletzten Personen. Mehrere Kommunen wurden so stark verwüstet, dass an die 80 Prozent aller Gebäude teils stark beschädigt wurden und keine Scheibe ganz blieb. "Es ist der Wahnsinn. Als sei der Krieg ausgebrochen", brachte es Bürgermeister Anton Ortlieb (Benediktbeurer Bürgervereinigung) auf den Punkt.

Fenster wurden notdürftig mit Folien gesichert, auch die des berühmten Barocksaals (im Bild). (Foto: Claudia Koestler)
Die Wucht der Hagelkörner hat Autoscheiben zertrümmert. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Im Klosterdorf Benediktbeuern hat so gut wie kein Haus mehr ein intaktes Dach, in den Außenfassaden haben die teils mehr als tennisballgroßen Hagelkörner zahllose Löcher hinterlassen. Jäger berichten von Rehen, die den Niederschlag nicht überlebt haben, andere Tiere, darunter Störche, blieben teils schwer verletzt auf den Feldern liegen. Bäche liefen über und Brücken waren nicht mehr passierbar. Autos haben keine Scheiben mehr, und die nahegelegene Garmischer Autobahn musste für Stunden komplett gesperrt werden.

Zahlreiche Bäume knickten um - und begruben manchmal auch Autos unter sich. (Foto: Claudia Koestler/oh)
...keine Scheibe blieb ganz. (Foto: Claudia Koestler/oh)

Ganz besonders getroffen hat es auch das historische Kloster Benediktbeuern: Sämtliche Fenster der Westfronten an der weitläufigen Anlage sind geborsten, Ziegel flogen vom Dach, Wasser lief in die Gebäude aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Ein bisher nicht bezifferbarer Schaden - mit der Sorge, dass das Wasser, das nun in die Ebenen und Räume dringt, die Stabilität gefährden könnte. Das alles zu beheben könnte Jahre dauern, befürchtet das Kloster.

Die Feuerwehr arbeitete unermüdlich daran, Dächer notdürftig abzudecken - denn es ist Dauerregen vorhergesagt. (Foto: Manfred Neubauer)
Die Böden sind mit Dachziegelscherben übersäht. (Foto: Manfred Neubauer)
Der Sturm wehte die Dachziegel wie Schneeflocken umher. (Foto: Manfred Neubauer)

Das Ausmaß des Schadens sei "noch gar nicht wirklich abzusehen", berichtete auch Kreisbrandrat Erich Zengerle am Sonntag im Rahmen einer eilends anberaumten Pressekonferenz. Nicht einmal zehn Minuten habe der Sturm gedauert, "jetzt schauen die Häuser aus wie mit einem Maschinengewehr beschossen, Bilder aus der Ukraine sind nicht anders", entsetzte sich auch Landrat Josef Niedermaier (FW).

Landrat Josef Niedermaier (Mitte) bei der Pressekonferenz in Benediktbeuern. (Foto: Claudia Koestler/oh)

Von etwa 16 Uhr an liefen am Samstag die Einsätze für die Feuerwehren "im Minutentakt ein", erklärte Kreisfeuerwehrsprecher Stefan Kießkalt. Gegen 16.30 Uhr wiederum gingen bei der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd und bei der Integrierten Leitstelle Oberland die ersten Mitteilungen über Bäume auf der Garmischer Autobahn ein. Schnell folgten daraufhin weitere Anrufe über verletzte Fahrzeuginsassen, weil Hagel die Windschutzscheiben von Fahrzeugen zertrümmert hatte. Gegen 17 Uhr musste deshalb eine Vollsperrung der Autobahn zwischen der Abfahrt Iffeldorf und der Abfahrt Eschenlohe angeordnet werden.

Ein Marienaltar hielt dem Sturm nicht Stand. (Foto: Manfred Neubauer)
Bäume wurden entwurzelt. (Foto: Manfred Neubauer)

Zengerle berichtete später von 565 Gesamteinsätzen, davon 238 alleine im besonders betroffenen Benediktbeuern. An die 390 Einsatzkräfte waren gefordert, die aus dem gesamten Landkreis, sowie umliegenden Nachbarlandkreises zu Hilfe geeilt waren. Benediktbeuerns Feuerwehrkommandant Daniel Sliva erklärte, in der Kommune gebe es etwa 1000 Gebäude, von denen mindestens 800 betroffen seien.

So sehen die Dächer in Benediktbeuern nach dem verheerenden Hagelsturm aus... (Foto: Claudia Koestler/oh)
...und so die Hauswände. Die Hagelkörner peitschten teils quer gegen die Fassaden, weshalb auch kaum eine Scheibe standhielt. (Foto: Harry Wolfsbauer)
So manches Gebäude wurde fast komplett abgedeckt. (Foto: Manfred Neubauer)

"Ganz ehrlich, ich bin jetzt seit 1989 bei der Feuerwehr, aber so etwas habe ich noch nie gesehen", sagte Christian Abt aus dem benachbarten Penzberg, der in Benediktbeuern half. "Solche Katastrophen-Szenen sieht man sonst nur im TV."

Gewächshäuser am Kloster sind nun ohne Glas... (Foto: Harry Wolfsbauer)
...alles ist mit Scherben übersäht. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Hagel hat auch das historische Kloster nicht verschont, in dem sich das Zentrum für Umwelt und Kultur (ZUK) befindet. Bilder, die das Kloster in den sozialen Medien postete, geben einen Eindruck von den Verwüstungen. "Wir wissen nicht, wie wir das bewältigen sollen", sagte ein sichtlich erschütterter Pater Claudius Amann, früherer Direktor des Hauses. Gäste habe man heimschicken müssen, Teile der Anlage seien nicht mehr gefahrlos betretbar. Nun gehe es darum, alles erst einmal zu sichern, um den Schaden nicht noch zu vergrößern. Allerdings sprechen Wettervorhersagen von Dauerregen, was die provisorischen Abdeckungen mit Planen gefährlich und auch nicht komplett wasserdicht machen könnte. Auf unbestimmte Zeit ist das Kloster deshalb aus Sicherheitsgründen nicht mehr öffentlich zugänglich.

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Besonders stark wütete das Unwetter auch in Bichl, wo es unter anderem die Schule traf. "Die gesamte Westseite hat kein Glas mehr", fasste Bürgermeister Benedikt Pössenbacher (Unabhängige Bichler Bürger) zusammen. Der Regen habe Computer, Tische und Klassenzimmer unter Wasser gesetzt, die Aula sei mit Scherben übersäht. "Der Schulbeginn ist in Frage gestellt", sagte er.

Auch in Kochel und Lenggries wütete das Unwetter extrem, deckte Dächer ab und zerschmetterte Fenster. In Wackersberg zerstörte der Hagel sogar die Feuerwehrsirenen.

"Kochel war zweigeteilt", berichtete Bürgermeister Thomas Holz (CSU). Walchensee und Kochel selbst seien halbwegs verschont geblieben, die Ortsteile Ried, Ort und Pessenbach aber seien verwüstet. Holz nannte den Anblick dort "ein Schlachtfeld": "Teilweise liegen ganze Dächer am Boden, die Landwirtschaft ist am Ende, weil die Ernten vernichtet sind und die Tennen vollgelaufen sind mit Wasser", so der Rathauschef. Der Hagel erwischte ihn und seine Kinder während einer Fahrt, als die tennisballgroßen Hagelkörner die Scheiben durchschlugen. In dieser Katastrophe gebe es aber einen positiven Punkt, nämlich die Hilfsbereitschaft der Betroffenen und der Einsatzkräfte: "Was die leisten, das ist gigantisch."

In Arzbach wiederum musste unter anderem der Campingplatz evakuiert werden. "Die dort befindlichen Campingfahrzeuge wurden stark beschädigt", berichtete Kießkalt. Die betroffenen Personen kamen in der Turnhalle in Arzbach unter, wo eine Notunterkunft eingerichtet wurde.

In Arzbach hat es neben den vielen Häusern auch den Campingplatz getroffen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch in Lenggries zerschlugen die Hagelkörner mehrere Scheiben, darunter die der Pfarrkirche St. Jakob. Damit hat es die Brauneckgemeinde zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage heftig erwischt: Erst Ende vergangener Woche waren hier mit 31 Litern pro Stunde die meisten Regengüsse bayernweit niedergeprasselt.

Hunderte Helfer sind seit Samstagnachmittag im Einsatz, um notdürftig Abdichtungen vorzunehmen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Frage aber, ob der Landkreis ob dieses Extremereignisses den Katastrophenfall ausrufe, verneinte Landrat Niedermaier indes. ( Die ausführliche Begründung lesen Sie hier.) Er wollte es allerdings nicht gänzlich für die Zukunft ausschließen, schließlich wisse man nicht, ob das Wetter weiter verrückt spielt.

Bis zum Abend rollte indes die Welle der Hilfsbereitschaft für die besonders stark betroffenen Dörfer weiter: Baustoffhändler in der Region öffneten am Sonntag ihre Geschäfte, damit sich die Helfer mit Material eindecken konnten, lokale Handwerksbetriebe boten ebenfalls ihre Hilfe an. Die Gemeinde Benediktbeuern bittet zudem, dass sich Zimmerer, Dachdecker, Glaser und weitere Handwerker, die helfen können, unter der Rufnummer 08857/691334 oder per E-Mail an stadler@benediktbeuern.de melden.

Ob für Betroffene ein Härtefallfond oder ein Spendenkonto eingerichtet wird, will Landrat Niedermaier in Kürze besprechen und bekanntgeben.

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