Silvester:Kuhglocken statt Raketen

Lesezeit: 4 min

Feuerwerk gibt es nicht nur zum Jahreswechsel - das 175. Jubiläum der Walhalla bei Donaustauf wurde 2017 im Oktober gefeiert. An Silvester allerdings verbieten immer mehr Städte und Orte das Abfeuern von Raketen. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Viele Städte richten Sperrzonen für Silvester-Böller ein, mancherorts gibt es Licht- und Lasershows. Im Allgäu wollen sie Kuhglocken läuten statt Raketen abschießen - allerdings bislang mit überschaubarem Erfolg.

Von Florian Fuchs, Matthias Köpf und Lisa Schnell, München

Die Fenster und Türen von Adventskalendern kennt jedes Kind. Die Existenz von Oberstdorfer Silvestertüren dagegen dürfte den Menschen in Bayern nicht so vertraut sein. Sechs davon gibt es dieses Jahr im sogenannten Oberstdorf Haus, dem örtlichen Veranstaltungshaus, wobei sich dahinter weniger Überraschungen als Informationen entdecken lassen: Hinter jeder Tür finden Besucher Gründe zum Verzicht auf Silvesterfeuerwerk. Die Verletzungsgefahr durch die Böller, die Folgen für die Tierwelt, all das hat Oberstdorf, einen der besucherstärksten Ferienorte Deutschlands, schon länger veranlasst, selbst kein Feuerwerk mehr anzubieten - und auch Einheimische wie Gäste zu bitten, auf Kuhschellen umzusteigen.

"S' Allgäu schealled" heißt die Aktion, die auch die Allgäu GmbH, die regionale Organisation für Tourismus- und Standortmanagement, in diesem Jahr wieder bewirbt. Die Leute sollen zum Jahreswechsel große Kuhglocken und kleine Kuhschellen läuten, statt Raketen abzuschießen und Böller zu zünden. Seit ein paar Jahren versuchen Orte und Verwaltungen ihre Bürger zum Umstieg auf Glocken zu bewegen, durchschlagenden Erfolg haben sie damit bislang nicht. Das Allgäu liegt allerdings im Trend: Verbieten will Böller niemand, aber viele große und kleine Städte weisen auch dieses Jahr wieder Sperrzonen für Feuerwerke aus oder bieten Alternativen an, etwa Licht- und Lasershows - oder debattieren zumindest darüber, wie in Regensburg.

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Wie schon vergangenes Jahr wird es in Regensburg ein Böllerverbot in der Altstadt geben, das auch in Stadtamhof und am Oberen und Unteren Wöhrd gilt. Die Steinerne Brücke wird gesperrt. Eine Ausweitung des Verbots auf andere Stadtteile, wie es etwa ein Stadtrat der ÖDP forderte, ist nicht möglich, da dazu eine "nachweisbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" vorliegen müsse. So teilte es der Rechtsreferent mit.

Eigentlich stand mal im Raum, dass die Stadt ein Ersatzevent wie eine Lichtshow anbietet, das Kulturamt aber hat laut Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) dafür gerade keine Kapazitäten. Nicht etwa, weil die Mitarbeiter dort nicht arbeiten wollten, sondern weil sie so viel arbeiteten und die Winterzeit bräuchten, um die Überstunden abzubauen. Solch eine Lichtshow gibt es dafür unter anderem in der Gemeinde Kreuth, die für ihren vergleichsweise sanften Tourismus 2018 vom Alpenverein zum "Bergsteigerdorf" erklärt worden ist und gleich den nächsten Jahreswechsel statt eines Feuerwerks mit einer kommunalen Lasershow gefeiert hat und das auch dieses Mal wieder tut.

Sperrzonen wie in Regensburg gibt es inzwischen auch in Augsburg oder Nürnberg. In Lindau teilt die Stadtverwaltung mit, dass Verstöße mit bis zu 50 000 Euro Geldbuße geahndet werden. Grundsätzlich dürfen Raketen oder Böller nicht in der Nähe von Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen, Fachwerkhäusern oder Kirchen abgebrannt werden. Nürnberg hat zudem eine spezielle Verbotszone: Rund um die Kaiserburg dürfen keine Feuerwerkskörper abgebrannt werden, selbst "das Mitführen von Raketen oder Böllern ist dort zwischen 21 und 2 Uhr verboten", heißt es vonseiten der Stadt. Wer um Mitternacht den Blick von der sogenannten Freiung, der Aussichtsplattform der Burg, auf die Stadt genießen möchte, muss auch Gläser und Flaschen zu Hause lassen - ein Sicherheitsdienst kontrolliert die Taschen.

Bereits in den vergangenen Jahren läuteten Einheimische und Touristen das neue Jahr im Allgäu mit Kuhglocken und Kuhschellen ein. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Ein Knaller-Verbot für Privathaushalte, wie es zum Beispiel der bayerische Naturschutzbund LBV fordert, stößt in Verwaltungen bayerischer Kommunen dagegen auf wenig Gegenliebe. Stattdessen sollten laut LBV zentral organisierte Feuerwerke ausreichen. Städte und Gemeinden könnten sich darum kümmern, die nächtliche Störung der Natur wäre dann auf einen Ort beschränkt."Bei Wildtieren löst der heftige Lärm den Fluchtreflex aus. Anschließend brauchen sie sehr lange, bis sie wieder zur Ruhe kommen. Diese nächtliche Flucht kostet sie wertvolle Energie, die sie gerade in langen, kalten Winternächten zum Überleben brauchen", sagt LBV-Biologin Angelika Nelson. Deshalb bittet etwa auch die Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald Besucher, auf Feuerwerk im Nationalpark zu verzichten.

Am Tegernsee böllern sie zwar im Sommer, aber nicht mehr an Silvester

Die Strategie der Kommunen ist eher, zum Verzicht aufzurufen und selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Am Tegernsee haben es nicht nur Einheimische immer gerne krachen lassen und diejenigen, die den Jahreswechsel dort in ihrer Zweitwohnung zubringen. Auch die teuren Hotels am See sahen sich lange Zeit praktisch in der Pflicht, ihren Silvestergästen ein entsprechend prächtiges Feuerwerk zu bieten. Doch seit einigen Jahren verzichten die Gemeinden im Tal zwar nicht zu all ihren sommerlichen Seefesten, aber auf jeden Fall zu Silvester auf jedes Feuerwerk und rufen auch alle Bürger, Gäste, Veranstalter und Hotels dazu auf - dies allerdings bisher mit überschaubarem Erfolg. Angestoßen hatte das die Gemeinde Kreuth. Bayerns allererstes Bergsteigerdorf, Ramsau bei Berchtesgaden, lässt das Böllern schon seit 2016 bleiben, und auch die beiden anderen Bergsteigerdörfer Schleching und Sachrang sehen sich beim Thema Feuerwerk dem Verzicht verpflichtet.

Allein im 10 000-Einwohner-Ort Oberstdorf fallen an Silvester im öffentlichen Bereich 1,5 Tonnen Müll an. In Regensburg waren es im vergangenen Jahr 7,5 Tonnen. Die kommunalen Dienste Oberstdorf müssen 42 Personal- und 22 Maschinenstunden aufwenden, um den Müll zu beseitigen. In Deutschland, warnt die Verwaltung, würden jährlich etwa 5000 Tonnen Feinstaub durch das Abbrennen von Feuerwerkskörpern freigesetzt. Das entspreche 17 Prozent der Feinstaubmenge, die pro Jahr durch den Straßenverkehr produziert wird. Der Markt Oberstdorf hält Feuerwerkskörper deshalb für eine Gefährdung der Umwelt, ein Gesundheitsrisiko und einen "immensen Stressfaktor" für Haus- und Wildtiere. Seit einigen Jahren wächst laut Tourismusamt der Wunsch im heilklimatischen Kurort, die schützenswerte Natur, die Tiere und den Ort vom Stress und der Verschmutzung eines Silvesterfeuerwerks zu befreien und den Blick auf den winterlichen Sternenhimmel freizugeben.

Dass sich der noch relativ junge Brauch des Läutens von Kuhschellen durchsetzt, ist allerdings ungewiss. Einige Gastgeber in Hotels und Pensionen in Oberstdorf haben in den vergangenen Jahren trotz des Aufrufs der Gemeinde, darauf zu verzichten, weiterhin Feuerwerkskörper für ihre Gäste abgebrannt - ähnlich wie am Tegernsee. Wer keine eigene Schelle besitzt, durfte sich im vergangenen Jahr kurz vor dem Jahreswechsel an der Tourist-Information im Oberstdorf Haus sogar eine kleine, kostenlose Allgäuer Schelle abholen, um aktiv mitzuläuten. Diesen Service will Oberstdorf dieses Jahr jedoch nicht mehr anbieten. Es haben sich zwar viele Touristen eine solche Schelle abgeholt. Allerdings weniger für den Einsatz zum Jahreswechsel. Eher als Andenken an den schönen Winterurlaub.

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