Die CSU spricht dieser Tage nur selten mit einer Stimme, aber auf ein Wort können sich noch alle verständigen: "Gesprächsbedarf." Fast sechs Stunden debattierte der Parteivorstand am Montag über das desaströse Bundestagswahlergebnis von 38,8 Prozent. Für diesen Mittwoch wurde die Sitzung der Landtagsfraktion deshalb gleich um eineinhalb Stunden vorgezogen. Fraktionschef Thomas Kreuzer will jedem Abgeordneten die Möglichkeit geben, sich zu Wort zu melden.
Einer hat das bereits getan - und die Stimmung in der CSU damit weiter angeheizt. Der Oberfranke Alexander König forderte in der Frankenpost den Rücktritt von Horst Seehofer. Mit dem "bestmöglichen Ministerpräsidenten-Kandidaten" und auch Parteichef müsse die CSU in die Landtagswahl 2018 ziehen. Ob das Markus Söder sei, der Finanzminister? "Ganz eindeutig." Hätte man wetten müssen, welcher Abgeordnete als erster offen aufbegehrt - die Gewinnquoten für König wären gering gewesen. Er gehört zu jenen in der CSU, die unter Seehofer nichts mehr zu verlieren haben und unter Söder viel zu gewinnen. Am Dienstag legte die nächste fränkische Abgeordnete nach. "Wir brauchen einen Neuanfang", verlangte die Fürtherin Petra Guttenberger in den Nürnberger Nachrichten. Der richtige Mann aus ihrer Sicht: Söder.
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Guttenberger kommt aus Söders Bezirksverband, genau wie einige lokale Mandatsträger, die sich schon am Montag ähnlich in der SZ eingelassen hatten. Das Söder-Lager will offenbar Zeichen setzen. Andererseits dürfte auch Söder kein Interesse daran haben, die Dinge zu überstürzen: Die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Berlin, finden Söder-Unterstützer, solle Seehofer ruhig noch führen. Danach müsse man sich für die Landtagswahl neu aufstellen. Es kursiert etwa das Szenario, dass Seehofer zwar wie geplant bis 2018 Ministerpräsident bleibt, Söder aber vorher Parteichef und Spitzenkandidat wird.
Söder selbst äußerte sich am Dienstag beim BR, er klang, als hätte er jedes Wort einzeln abgewogen: Seehofer persönlich habe die Bundestagswahl ja als besonders wichtig für die Landtagswahl ausgerufen, sagte Söder. Er sei deshalb im Nachhinein sehr besorgt. Wie eine Koalition mit Grünen und Gelben - die Seehofer in Berlin nun verhandeln muss - für die CSU funktionieren soll, wisse er auch nicht, so Söder. Und: Man müsse der Basis zeigen, dass nicht allein die da oben über die Zukunft der Partei entscheiden - die da oben im Vorstand, wo Seehofer seine mächtigsten Unterstützer an seiner Seite weiß.
Das Aufmucken ist jedenfalls kräftig genug, dass Seehofer darauf reagiert. Nach dem enttäuschenden Ergebnis gehörten Diskussionen zur demokratischen Normalität, sagt er. "Aber mit dem richtigen Stil und am richtigen Platz: Parteitag." Dort werde Mitte November der Vorstand gewählt, dies sei der Ort, solche Debatten zu führen. "Alles andere ist nicht hilfreich in dieser ungewöhnlich schwierigen Situation, die wir in Berlin zu bewältigen haben."
Seehofers Kalkül ist klar: Er will Söder in die offene Feldschlacht zwingen - wohlwissend, dass die Partei nicht mitten in Koalitionsverhandlungen den Verhandlungsführer aus dem Amt hebeln wird.
Am Montagabend tagten mehrere Bezirksverbände, auch Söders Nürnberger. Die Kampflinien wurden indes andernorts abgesteckt. In der Oberpfalz, dem zweitstärksten CSU-Verband unter Führung von Söders Intimus Albert Füracker, berichteten Teilnehmer von "tiefer Verunsicherung" und "Schockstarre". Füracker spricht von einer dreistündigen Diskussion "in großer Sachlichkeit": Sein Bezirk wolle keine unüberlegten Schnellschüsse, aber eine Antwort auf die Frage, wie die CSU sich für 2018 aufstellt. Es müsse über einen "geordneten personellen Übergang" debattiert werden.
Im Söder-freundlichen München sind noch deutlichere Töne zu vernehmen. Nach der Europawahl habe Seehofer die zweite Schlappe kassiert, die CSU brauche wieder klares Profil, motzt einer. Ein anderer fordert personelle Konsequenzen. Markus Blume, Seehofers Vize-Generalsekretär, verteidigt seinen Chef.
In Oberbayern kann sich Seehofer auf seine Truppen verlassen. "Wir stehen ein Jahr vor der Landtagswahl, ich erinnere nur an 2007", warnt Bezirkschefin Ilse Aigner. "Damals haben wir das Spitzenpersonal ausgetauscht. Wir wissen, wie das ausgegangen ist." Mit dem Verlust der Alleinregierung 2008. Wer jetzt eine Personaldebatte anzettele, schwäche die CSU. Seehofer sei der richtige Mann am richtigen Platz, das werde sie auch in der Fraktion so sagen. Auch Bildungsstaatssekretär Bernd Sibler aus Niederbayern sieht das so.
Während in Bayern das Spiel der Kräfte seinen Lauf nimmt, befindet sich Seehofer am Dienstag auf sicherem Boden - ausgerechnet in Berlin. Der frisch gewählte Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagt: "Es gibt keine Personaldebatte in der CSU-Landesgruppe." Auch weitere Parteigranden wie Entwicklungsminister Gerd Müller senden Unterstützung: "Horst, auf uns kannst du dich verlassen. Wir gewinnen gemeinsam, wir verlieren gemeinsam", sagt Müller.
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Der ehemalige Verkehrsminister Peter Ramsauer, nicht als Seehofer-Freund bekannt, legt sich so ins Zeug, dass man sich fast fragt, welches Amt ihm auf seine alten Tage noch versprochen wurde. "Das Allerdümmste, was man jetzt machen könnte, wäre eine Personaldebatte", sagt er. Und: "Wir haben mit Horst Seehofer das stärkste Kampfross. Wer uns schwächen will, soll diese Diskussion führen."
So sieht der Stellvertreterkrieg in der CSU also aus: Söders Bataillone feuern auf Seehofer, dessen Unterstützer feuern zurück. Und Söder? Er hat für Donnerstag seinen traditionellen Wiesn-Stammtisch mit Journalisten kurzfristig abgesagt. Zu sensibel sind die Zeiten, oder anders formuliert: So viel Hendl kann der Finanzminister gar nicht essen, als dass ihm nicht doch ein falsches Wort aus dem Mund rutscht.
Im Münchner Merkur meldete sich mit dem Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter ein erfahrener CSU-Deuter zu Wort, dessen Einschätzungen Seehofer gelegentlich auf den Senkel gehen. Das dürfte diesmal nicht anders sein. "Ich bin nicht sicher, ob Horst Seehofer nach dieser Wahl die Souveränität hat, die bayerische und die CSU-Welt weiter nach seinen Vorstellungen zu gestalten", sagte Oberreuter. Er denke da eher an Markus Söder.
Aber auch für Söder ist die Lage nicht allzu bequem. Wie reizvoll ist es für ihn, mit Merkel über die Obergrenze zu verhandeln? Jetzt legt er die Messlatte für Seehofer hoch - und müsste sie womöglich nach einem Putsch selbst reißen. Andererseits läuft er Gefahr, dass er das Zeitfenster für den Sprung an die Macht verpasst.
Was, wenn Seehofer sich wieder stabilisiert? Wenn all das Horst Seehofer nervös machen sollte, verbirgt er das gut. Bei seinen Auftritten seit Sonntag, auch am Dienstag in Berlin, zeigte er sich abgebrüht. Beinahe hatte man den Eindruck: Der alte Spieler freut sich über die neue Herausforderung. Nach der Vorstandssitzung am Montag versicherte er, er fühle sich "pudelwohl", und weil das vielleicht noch nicht kräftig genug war, schob er nach: "sauwohl". Alle, die jetzt an Seehofers Stuhl sägen, dürften das durchaus als Kampfansage verstehen.