CSU:"Der ist fällig": Was CSU-Mitglieder über Seehofer sagen

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Der Wahlkampf ist vorbei, die Plakate werden abgebaut. Zurück bleibt nach der Niederlage eine schlechte Stimmung bei den CSU-Mitgliedern. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Wer ist schuld an der Wahlschlappe der CSU? Die Wankelmütigkeit des Ministerpräsidenten und der Umgang mit der Kanzlerin, glauben viele an der Basis. Sie wollen einen Neuanfang.

Von SZ-Autoren, Nürnberg/München

Am Tag nach der Wahlniederlage breitet sich Unruhe aus an der CSU-Basis. Parteichef Horst Seehofer steht in der Kritik, viele machen ihn für das schlechte Ergebnis verantwortlich und fordern seinen Rücktritt. So etwa maßgebliche Führungskräfte der Nürnberger CSU. Der Fraktionschef im mittelfränkischen Bezirkstag, Peter Daniel Forster, veröffentlicht seine Aufforderung sogar schriftlich: "Unser Parteivorsitzender wäre jetzt gut beraten, den Weg frei zu machen für einen neuen Parteichef und Ministerpräsidenten", schreibt Forster, der auch CSU-Kreischef im Nürnberger Süden ist. Die Basis der CSU sollte seiner Ansicht nach entscheiden, wer die Nachfolge antritt. Seine Einlassung dürfe "gerne als Rücktrittsforderungen verstanden werden", nachdem Seehofer am Montagfrüh gesagt habe: Wer den Rücktritt fordere, solle sich äußern. Leider sitze er, Forster, nicht im CSU-Landesvorstand, daher müsse er wohl den Weg über Facebook wählen.

Auch der CSU-Kreisvorsitzende im Nürnberger Westen, Jochen Kohler, fordert unverhohlen den Rücktritt Seehofers. Ebenfalls schriftlich. "Auch aufgrund der Wankelmütigkeit" des CSU-Parteivorsitzenden habe die Partei gerade eine "deftige Klatsche" einstecken müssen. Es müsse nun ein personeller "Cut" erfolgen. Auch wenn Seehofer gesagt habe, er denke keine Sekunde an Rücktritt - "wir tun dies", ergänzt er. Kohler will bei der nächsten Landtagswahl als Abgeordneter kandidieren. Womöglich wäre sein Ministerpräsident danach Seehofer. Das aber sei ihm egal, sagt Kohler im SZ-Gespräch: "Ich will noch in den Spiegel schauen können."

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Der Ortsvorsitzende im Nürnberger Stadtteil Erlenstegen, Marcus König, spricht ebenfalls davon, ein "Weiter so" dürfe es nicht geben. König wird als neuer CSU-Fraktionschef im Nürnberger Stadtrat gehandelt. "Wir müssen überlegen, ob wir mit diesen oder anderen Personen in die nächsten Wahl gehen", sagt er. Die Partei habe die Herzen der Wähler verloren. Sie habe zuletzt zu stark reagiert und zu wenig agiert. "Für das Agieren sehe ich in der CSU eine andere Besetzung." Es gebe genügend gute Leute, die "nicht jeden Tag was anderes" wollten. Ein Beispiel nennt König: Markus Söder.

Alle drei - Forster, Kohler und König - gelten als enge Vertraute Söders. Der CSU-Ortsvorsitzende in Großhabersdorf im Landkreis Fürth, Thomas Zehmeister - ebenfalls aus Söders Bezirksverband - schloss sich der Rücktrittsforderung an. "Von der Leistung unseres Parteivorsitzenden sind wir maßlos enttäuscht", formuliert er. Ebenfalls schriftlich.

"Das letzte, was wir jetzt brauchen, ist ein Pawlowscher Reflex in Richtung AfD oder rechts", sagt Elisabeth Koch, die in Garmisch-Partenkirchen die CSU-Ratsfraktion führt und zusammen mit der Kreisvorsitzenden der Grünen privat eine Kundgebung gegen einen Wahlkampf-Auftritt von Alexander Gauland organisiert hat. Die CSU müsse sich mit der AfD endlich inhaltlich auseinandersetzen, und zwar auf Basis ihrer eigenen christlichen und sozialen Werte. Diese Werte müsse die Partei wieder glaubwürdig und verlässlich vertreten. "Das ganze Hin und Her, dieses Wischiwaschi geht nicht mehr. Es kann nicht sein, dass ich am Montagfrüh nicht weiß, was am Montagmittag nach dem Parteivorstand die neue Position der CSU sein wird", schimpft Koch. Die Probleme der Partei liegen in ihren Augen "nicht bei uns an der Basis, ganz sicher nicht". Denn wer zuletzt wochenlang draußen gestanden sei und Wahlkampf gemacht habe, den habe der Erfolg der AfD auf Kosten der CSU kaum überraschen können.

Gänzlich überrascht von dem Ergebnis zeigt sich auch Bernhard Neuner nicht, der CSU-Ortsvorsitzender und Gastwirt in dem kleinen Ort Wallgau in der Nähe der österreichischen Grenze ist. Hier kam die CSU am Sonntag immer noch auf vergleichsweise stolze 54,9 Prozent der Zweitstimmen, doch vom Ergebnis von 2013 mit fast 72 Prozent ist sie weit entfernt. Dafür haben 15,4 Prozent der Wallgauer nun AfD gewählt. Im Ort habe man vielleicht zwei oder drei AfD-Plakate gesehen, aber an den Stammtischen in seinem Wirtshaus habe sich schon abgezeichnet, dass es eine Menge Protestwähler geben werde, sagt Neuner. "Das haben sich viele gesagt, die CSU haben wir mit der Erststimme sicher, da wählen wir mit der Zweitstimme AfD."

Für diesen Effekt macht Neuner auch und vor allem Parteichef Seehofer verantwortlich. Der habe ein paar Monate vor der Wahl begonnen, "einen Kuschelkurs zu fahren mit der Merkel" und dabei die Forderung nach einer Obergrenze für Asylbewerber praktisch fallen gelassen. Neuner stört generell "das Softe in der Union. Wir wollen einfach die Merkel nicht mehr mit ihrem 'Wir schaffen das'". Doch auch Horst Seehofer kann in Neuners Augen nicht CSU-Chef bleiben. "Der ist fällig. Die Kurve kriegt der nicht mehr", sagt Neuner über den Parteivorsitzenden, zu dem er aber auch keine rechte Alternative sieht.

Willi Dietl, 64, Bürgermeister der kleinen Bayerwald-Gemeinde Patersdorf und seit mehr als 30 Jahren in der Kommunalpolitik redet nicht lange herum. "Wenn's nach mir ginge, muss Seehofer die Konsequenzen ziehen und den Platz frei machen", sagt Dietl. "Zum Glück haben wir ja mehrere Alternativen - Söder zum Beispiel oder die Ilse Aigner." Selbst in seiner kleinen 1700-Einwohner-Gemeinde hat Dietl es schon seit geraumer Zeit kommen sehen, dass die AfD der CSU Wähler abziehen wird. "Ich hab nur nicht damit gerechnet, dass es so viele sind!", sagt er. Der einzige Grund der massiven Verluste ist für Dietl die Flüchtlingspolitik. "Die AfD hat ja sonst kein anderes Thema, damit hat sie die Protestwähler richtig an sich ziehen können."

Im nahen Mauth sieht Bürgermeister Ernst Kandlbinder das ganz ähnlich. "Bei uns sind Leute wählen gegangen, die habe ich noch nie in einem Wahllokal gesehen", sagt er. "Die wollten alle zeigen, dass sie mit Merkels Flüchtlingspolitik nicht einverstanden sind. Sonst nichts." Kandlbinder zitiert in dem Zusammenhang Franz Josef Strauß. "Der hat einmal gesagt: ,Es ist wichtig, den Leuten aus Maul zu schauen, aber man darf ihnen nicht nach dem Mund reden'", sagt Kandlbinder. "Das hat heute noch Gültigkeit." Er wünscht sich deshalb, dass seine CSU die Sorgen, Nöte und Ängste der Leute ernst nimmt, gerade in der Flüchtlingspolitik. "Denn sie wird auch die Landtagswahl 2018 entscheiden", sagt Kandlbinder - auch wenn er natürlich weiß, dass der Landtag in der Flüchtlingspolitik nichts entscheiden kann.

Andrea Lang, Zweite Bürgermeisterin im oberpfälzischen Pleystein, ist "geschockt, tief geschockt". "15 Prozent AfD hier bei uns, das hatten wir nicht auf dem Schirm", sagt die Rechtsanwältin. Besonders entsetzt hat sie, "dass viele ihre Erststimme gar nicht genutzt haben, sondern nur die AfD angekreuzt haben - die sind offenbar schon komplett weg von uns". Auf die CSU sieht sie jetzt sehr schwierige Zeiten zukommen. "Seehofer hat versäumt, seine Nachfolge zu regeln, deshalb wird er jetzt wohl die Koalitionsverhandlungen machen müssen", sagt sie. Aber dann müsse der Parteichef den Weg frei machen für die nächste Generation - für den Europaparlamentarier Manfred Weber zum Beispiel oder Söder. Auch Innenminister Joachim Herrmann habe einen hervorragenden Wahlkampf gemacht.

Der Amberger Bürgermeister Michael Cerny kann den Moment benennen, in dem ihm mulmig wurde. "Das war, als uns am Infotisch treue Stammwähler gesagt haben, wir wissen nicht so recht, wir werden erst in der Wahlkabine entscheiden, wo wir unser Kreuz machen", sagt er. Von da an sei ihm klar gewesen, wie immens der Vertrauensverlust seiner CSU bei den Wählern ist. Der geht für Cerny weit über die Asylpolitik hinaus. "Der dreht sich um die entscheidende Frage, wie konservativ seid ihr eigentlich noch?", sagt er und nennt als Beispiel die Ehe für alle. Cerny hat keine Antwort parat, wie seine Partei jetzt die "vielen Protestwähler zurückgewinnen kann", er weiß nur, dass es für die Landtagswahl entscheidend sein wird, ob sie sie noch erreichen wird.

Es war allein "das Migrationsthema, auf dem die derben Verluste beruhen", sagt Holm Putzke, Chef der CSU in Passau und Juraprofessor an der Uni dort. "Die CSU befand sich zwischen Skylla und Charybdis: Sie hat Wähler verloren, weil sie einerseits im Wahlkampf auf Merkel gesetzt und andererseits ihre Flüchtlingspolitik deutlich kritisiert hat." In der Sache sei das zweifellos richtig gewesen, aus taktischen Gründen aber alles andere als optimal. "Dabei konnte die CSU nur verlieren." Den Parteivorsitz freilich werde Seehofer so schnell niemand streitig machen, allein schon wegen des nun drohenden Debakels bei der Landtagswahl 2018. Allerdings müsse sich Seehofer dann auch an deren Ergebnis messen lassen. Zunächst müsse Seehofer "endlich aufhören, seine Energie damit zu verschwenden, zu versuchen Markus Söder kaltzustellen".

Martin Wende, Kreisvorsitzender der JU in Bad Kissingen, hofft, dass sich die Partei die Frage stellt, ob es sinnvoll ist, nach außen ein Bild zu vermitteln, "dass die Schwesterpartei der größte politische Gegner ist". Für sich selbst hat er die Antwort schon gefunden: "Ich glaube, dass es gescheiter ist, sich mit dem echten politischen Gegner zu beschäftigen."

"Die Menschen sind verprellt", sagt der CSU-Kreisvorsitzende in Augsburg zum schlechten Abschneiden seiner Partei. Aus der Sicht von Leo Dietz war die CSU mit Rücksicht auf die CDU im Wahlkampf mit angezogener Handbremse unterwegs. Für viele Wähler sei das "nicht ihre CSU gewesen". Nun müsse man das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen, und da sei vor allem die Basis am Ort gefordert, sagt Dietz. Was der Wahlausgang für die Parteispitze bedeutet, will er nicht beurteilen. "In der Haut des Vorsitzenden möchte ich aber nicht stecken."

Steffen Höhn war im Wahlkampf viel auf dem Land unterwegs, um für die CSU zu werben. Dabei bekam der Vorsitzende des Ortsverbands in Nördlingen "deutlich zu spüren, dass die AfD gewählt werden wird". In den Gesprächen mit den Wählern, die nach rechts tendierten, hörte er eine gefühlte Benachteiligung gegenüber Flüchtlingen heraus. Konkret hätten die Leute nicht benennen können, wo sie im Nachteil seien. "Die Zahlen bestätigen das ja auch nicht. Ein Deutscher bekommt nach wie vor mehr Sozialhilfe als ein Flüchtling Unterstützung." Doch solchen Argumenten seien die AfD-Wähler nicht mehr zugänglich gewesen, weshalb das Ergebnis der CSU "absehbar" gewesen sei, so Höhn. Trotz des Wahlausgangs werden die Christsozialen sich am Ende der Regierungsverantwortung stellen, ist sich der Chef des Ortsverbandes sicher.

© SZ vom 26.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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