Nürnberg:Ungewohnte Harmonie zwischen CSU und Grünen

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Im Presseclub Nürnberg diskutierten Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Ludwig Hartmann (rechts), der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Grünen im Landtag, am Montagabend über aktuelle Wahlkampfthemen. Das SZ-Gespräch moderierte Katja Auer, Teamleiterin der SZ-Bayernredaktion. (Foto: Daniel Karmann/SZ)

Beim SZ-Gespräch diskutieren Innenminister Joachim Herrmann und Spitzenkandidat Ludwig Hartmann über Migration, verrohte Sprache - und sogar über eine mögliche Koalition nach der Landtagswahl.

Von Max Weinhold, Nürnberg

Die Konstellation versprach Kontroversen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), 66, traf auf Ludwig Hartmann, 45. Und damit auf den Spitzenkandidaten der Partei, die für die CSU der Grund vielen Übels ist: die Grünen. Erstaunlicherweise waren sich die beiden Politiker am Montagabend im Nürnberger Presseclub anlässlich der SZ-Veranstaltung mit dem Titel "CSU und Grüne - Das Duell der großen Widersacher" dann aber doch in vielem einig.

Wenn auch nicht beim Thema Migration. Herrmann verteidigte die Forderung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer Obergrenze von 200 000 Geflüchteten pro Jahr in Deutschland. "Wir haben immer sehr klar gesagt, dass es zu viele sind", sagte Herrmann. Man habe sich mit großem Engagement um die geflüchteten Ukrainer gekümmert, alleine in Bayern mehr als 150 000. Es sei aber "a weng schwierig", wenn jetzt noch mehr Menschen aus allen Teilen der Welt kämen. Herrmann forderte abermals mehr finanzielle Unterstützung vom Bund.

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Hartmann kritisierte Söders Vorstoß derweil als "Griff in die Mottenkiste". Schon 2018 hatte die CSU das Thema Migration als zentrales im Wahlkampf erkoren. Kurz vor der diesjährigen Wahl setzt sie es erneut auf ihre Agenda - Herrmann betonte, dies geschehe nicht aus strategischen Gründen, sondern, weil das Thema gerade EU-weit akut sei. Hartmann nahm ihm diese Erklärung nicht ab und sagte, er wolle keinen Wahlkampf "auf Kosten von Geflüchteten" führen. Stattdessen wünsche er sich, und da waren sich der CSU-Mann und der Grüne dann einig, dass mehr über Erfolgsgeschichten von Geflüchteten in Bayern gesprochen würde. Beide sprachen sich zudem für Pragmatismus beim Umgang mit Geflüchteten aus, etwa beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Und dafür, dass abgelehnte Asylbewerber in ihre Herkunftsländer zurückkehren müssten.

Kritik übte Hartmann dagegen an den von der Staatsregierung geplanten Chipkarten zum Bezahlen, die bei abgelehnten Asylbewerbern die Ausgabe von Bargeld ersetzen sollen - und zwar laut Herrmann nicht, "um die Menschen zu ärgern". Sondern, um Missbrauch zu verhindern. Manche Geflüchtete würden mit dem Geld Drogen und Alkohol kaufen oder Schulden bei Schleusern begleichen.

Ob die CSU mit diesen Plänen ihre Zustimmung in der Bevölkerung verbessern kann, wird sich am 8. Oktober zeigen. Zuletzt kam die Partei im BR-Bayerntrend nur auf 36 Prozent. Hermann gab sich trotzdem zuversichtlich. Die Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit sei groß. "Jetzt müssen wir es nur schaffen, dass uns all die Menschen wählen, die mit uns zufrieden sind", sagte er. Eine Prognose wollte er aber nicht abgeben.

Die hielt dafür Kontrahent Hartmann bereit, der zwar auch keine genauen Zahlen nannte. Aber ankündigte, es werde eines der schlechtesten Ergebnisse für die CSU geben und eines der besten für die Grünen in Bayern. Zurzeit hinken diese ihren Ansprüchen von mehr als 20 Prozent allerdings auch hinterher, kamen im Bayerntrend nur auf 15 Prozent.

"Es geht nicht mehr ums Machen, sondern ums Niedermachen"

Während Herrmann gewohnt staatsmännisch auftrat, gab sich Hartmann angriffslustiger. Seiner Beobachtung zufolge herrsche zwischen Söder und seinem Vize Hubert Aiwanger (Freie Wähler) eine "eiserne Frostkälte". Söder habe sich mit seiner frühen Festlegung auf die FW als Koalitionspartner eine "Zwangsjacke" angezogen, aus der er nicht herauskomme. Aiwanger könne der CSU in Sondierungen die Bedingungen diktieren. "Ein ziemliches Dilemma" nannte Hartmann Söders Situation. Der Grünen-Politiker riet ihm, er solle sich neben den FW Optionen offen halten, den Wahltermin abwarten und abwägen, was für das Land, die Menschen und die CSU das Beste sei. "Es ist nicht meine Aufgabe, die CSU zu stärken. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die CSU sich mit fünf weiteren Jahren mit Hubert Aiwanger an der Seite keinen Gefallen tut", sagte Hartmann.

Herrmann betonte, dass die Mehrheit der Menschen in Bayern es für richtig halte, den Vize-Ministerpräsidenten trotz des in dessen Schultasche gefundenen "fürchterlichen" Flugblatts nicht zu entlassen. Er sprach von der "klaren Zielsetzung", mit den FW weiterzumachen. Zugleich erinnerte Herrmann an die 2017 schon weit gediehenen, am Ende aber doch gescheiterten Sondierungen zu einer Jamaika-Regierung im Bund. Subtext: Garantien gibt es in der Politik keine. Öffnete er da die Tür zu den Grünen einen klitzekleinen Spalt weit? Hartmann würde es freuen. "Vielleicht haben wir ja doch mehr Gemeinsamkeiten", sagte er.

Überhaupt auffällig war im prächtigen Marmorsaal des Presseclubs die sachliche und konstruktive Gesprächsatmosphäre unter der Leitung von Katja Auer, Teamleiterin der SZ-Bayernredaktion. Auch dann, als Hartmann die Tonalität rügte, in der auch Mitglieder der Staatsregierung sprächen. "Es geht nicht mehr ums Machen, sondern ums Niedermachen", sagte er an die Adresse von Aiwanger - aber auch von Markus Söder angesichts dessen regelmäßiger Verbalattacken auf die Grünen. "Ich muss nicht den Stil meines Ministerpräsidenten kommentieren", erwiderte Herrmann. Er stellte aber genau wie Hartmann eine aufgeheizte Stimmung und eine Verrohung der Sprache fest. Dies beginne auf Social Media. "Und irgendwann meint einer, er müsse vom Wort zur Tat schreiten", sagte Herrmann. Hartmann musste dies erst am Sonntag selbst erleben, als ein Mann bei einer Veranstaltung in Neu-Ulm einen Stein auf ihn und die Co-Spitzenkandidaten Katharina Schulze warf.

Eines stand nach diesem Abend fest: Selbst wenn es mit den von den Grünen erhofften Koalitionsverhandlungen nichts werden sollte, werden die Spitzen der beiden Parteien in diesem Jahr wohl nicht zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Hartmann lud Herrmann und Söder nämlich zum gemeinsamen Rehrücken-Essen ein. Der Innenminister zeigte sich zumindest nicht abgeneigt.

Bei der ersten Ankündigung der Veranstaltung kam es bei der Adresse zu einem Fehler. Wir bitten dafür um Entschuldigung.

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