Migration:Das Fachkräfte-Paradoxon

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Besorgt und verunsichert: Bolanle und Martins Dele Lawani wissen nicht, wie lange sie noch in Deutschland bleiben dürfen. (Foto: Max Weinhold)

Bolanle Elizabeth Lawani und ihr Mann Martins Dele sind 2022 vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. In Deutschland erhielten beide unbefristete Arbeitsverträge in der Altenpflege. Warum ihnen trotzdem die Abschiebung in ihre Heimat Nigeria droht.

Von Nina von Hardenberg und Max Weinhold, Forchheim

Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Deutschland ist auf Fachkräftezuwanderung angewiesen, besonders in der Pflege. Bolanle Elizabeth Lawani und ihr Ehemann Martins Dele, vor einem Jahr vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet, absolvieren gerade eine zweijährige schulische Ausbildung zu Sozialpflegern. Als es ihnen noch erlaubt war, arbeiteten sie sogar schon in einem Altenheim in Herzogenaurach. Und jetzt sollen sie zurück nach Nigeria, in ihr Heimatland, das sie vor 16 Jahren verlassen haben. Ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland endete am Dienstag, den Pflegekräften droht die Abschiebung, weil sie durch das Raster des Asylrechts fallen.

Aber zunächst die Vorgeschichte: Martins Dele Lawani wanderte nach eigener Aussage 2007 in die Ukraine aus, seine Frau Bolanle Elizabeth folgte ein Jahr später. Der 53-Jährige betrieb ein Bekleidungsgeschäft in Kiew, seine zwei Jahre jüngere Frau vertrieb afrikanische Lebensmittel. Bis sie 2022 flohen und nach Deutschland kamen - wie fast eine Million Menschen seit dem 24. Februar 2022. Für die Ukrainer hat die Europäische Union (EU) in diesem Zuge erstmals die Massenzustromrichtlinie aktiviert. Sie erhalten damit in jedem EU-Land einen Schutzstatus, ohne überhaupt ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Sie dürfen wohnen, wo sie wollen, sich Arbeit suchen, erhalten Sozialhilfe und Deutschkurse.

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Derzeit befinden sich in Deutschland aber auch etwa 38 000 Geflüchtete aus der Ukraine ohne ukrainischen Pass, in Bayern sind es 4353. Für sie gelten diese Rechte nur eingeschränkt, etwa wenn sie in der Ukraine als Flüchtlinge anerkannt waren oder über eine ukrainische Aufenthaltsgenehmigung verfügen und nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können.

Für die Lawanis gilt dieser Schutz nicht. Denn sie besaßen in der Ukraine seit Jahren keinen gültigen Aufenthaltstitel mehr. Immer wieder hätten sie versucht, ein neues Visum zu erhalten, sagt Martins Dele Lawani. Doch man habe ihm nur eine Option genannt: eine ukrainische Frau zu heiraten und auf diese Weise das Aufenthaltsrecht zu erwirken. Kam für den gläubigen Christen nicht infrage. Und für seine Frau genauso wenig.

Ändert das Ausländeramt Erlangen-Höchstadt seine Auffassung nicht, droht dem Paar die Abschiebung. Dabei sah die Welt noch vor zehn Monaten ganz anders aus. "Wir wurden noch nie in unserem Leben so gut behandelt wie hier", sagt Bolanle Elizabeth Lawani. Überall grüßten die Leute, man habe ihnen Essen zur Verfügung gestellt und sogar bei der Wohnungssuche geholfen. Anfang Mai 2022 stellte das Ausländeramt den Lawanis eine Duldung mit Arbeitserlaubnis aus. Ganz in der Nähe ihrer Wohnung fanden sie Arbeit in einem Altenheim, halfen den Senioren beim Essen, wuschen sie. "In dem Heim konnte ich tun, was ich bei meinen Eltern nicht konnte: mich um sie kümmern und sie pflegen", sagt Martins Dele Lawani. Als ihre Arbeitserlaubnis auslief, habe ein Bewohner sogar geweint. "Wir haben ihm versprochen, dass wir wiederkommen."

Ginge es nach Ute Schulenberg, dann sofort. Sie war Direktorin des Kursana Domizils Herzogenaurach, als die beiden dort arbeiteten und diejenige, die sie mit unbefristeten Vollzeit-Arbeitsverträgen ausstattete. Inzwischen arbeitet Schulenberg an einem anderen Standort. Verstehen könne sie aber immer noch nicht, warum es den Lawanis so schwer gemacht werde. "Sie wollen dem Staat ja nicht auf der Tasche liegen. Sie wollen in einem Beruf arbeiten, in dem viele nicht mehr arbeiten wollen und sich sogar dafür qualifizieren", sagt sie. Außerdem verfügten die beiden über eine Empathie für alte Menschen, die sie selten erlebe. "Sie waren bei den Bewohnern unheimlich beliebt, trotz Sprachbarriere unheimlich zuverlässig und fleißig." Für die Zeit nach ihrer schulischen Ausbildung hat ihnen die Einrichtung in Herzogenaurach bereits die Möglichkeit einer betrieblichen Ausbildung zugesichert.

Es wäre allen geholfen, wenn sie einfach bleiben dürften"

Das Landratsamt Erlangen-Höchstadt, das dem Ausländeramt übergeordnet ist, äußert sich aus Datenschutzgründen nicht konkret zum Fall Lawani, sondern nur allgemein. Bei den Vorgaben für eine Aufenthaltserlaubnis nach der Flucht aus der Ukraine gebe es ebenso wenig Ermessen wie bei den Voraussetzungen für eine Duldung zum Zwecke der Ausbildung. Heißt: Ohne Nachweis über legalen Aufenthalt in der Ukraine ist nichts zu machen.

Das Landratsamt betont aber, grundsätzlich regelmäßig Ausländern in Fällen wie dem der Lawanis die Rückkehr nach Deutschland durch ein vereinfachtes Visumsverfahren im Ausland zu erleichtern und somit die Strategie von Bundesregierung und Freistaat zur Anwerbung von Fachkräften umzusetzen.

Auf so etwas wie eine Erleichterung des Verfahrens hofft auch Rainer Spenger von der Flüchtlingsbetreuung Herzogenaurach. Er betreut die Lawanis seit einem Jahr und nennt den Umgang mit ihnen "unfair und inhuman. Es wäre allen geholfen, wenn sie einfach bleiben dürften", sagt Spenger.

Vorerst sieht es danach aus - nur weiß niemand, wie lange. Das bayerische Innenministerium teilt mit, dass die Abschiebung des Ehepaares nicht unmittelbar bevorstehe. Sein Schutzantrag sei zwar abgelehnt worden. Zu der Frage, ob sie dennoch eine Duldung erhalten und damit in der Pflege arbeiten könnten, würden die Lawanis aber derzeit noch vom Ausländeramt des Landkreises Erlangen-Höchstadt angehört. Auch bliebe den beiden die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, sollte die Rückkehr in ihre Heimat für sie lebensgefährlich sein. Das Ehepaar sieht dies als gegeben an.

Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, gilt nicht als sicherer Herkunftsstaat, das Auswärtige Amt hat für Teile des Landes eine Reisewarnung ausgesprochen, in vielen Regionen herrscht Terrorgefahr unter anderem durch die Islamisten von Boko Haram. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Angriffen auf Christen. So wurden im vergangenen Jahr Medienberichten zufolge gleich mehrere katholische Priester entführt. "Die Rückkehr nach Nigeria wäre gefährlich für uns", sagt Martins Dele Lawani.

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Wie ernst ihre Situation ist, sieht man Martins Dele und Bolanle Elizabeth Lawani nicht an, als sie nach dem Schulunterricht in einem Bahnhofsbistro in Forchheim sitzen und ihre Geschichte erzählen. "I don't put my worries on my face", sagt Martins Dele Lawani: Die Sorgen lasse er sich nicht ansehen. Innerlich weine er, "aber nach außen lache ich", sagt er und tut das wirklich in weiten Teilen des Gesprächs.

In Wahrheit aber seien sie nervös, sagt Bolanle Elizabeth Lawani. "Wir können uns kaum auf den Unterricht konzentrieren. Man hat uns gesagt, dass die Polizei uns auch aus dem Klassenzimmer abholen könnte. Auch wenn wir zu Hause sind, haben wir Angst. Jedes Türklingeln könnte das Ende sein." Vor lauter Nervosität habe er im letzten Test nur eine 4 geschrieben, ergänzt ihr Mann. Am Donnerstag stand für die beiden der nächste Test an, Thema Selbstpflege. Vielleicht war es ihr letzter. Damit dem nicht so ist, hat die Flüchtlingsbetreuung Herzogenaurach einen Anwalt eingeschaltet. "Wir werden beten, dass alles gut ausgeht", sagt Martins Dele Lawani. "Dass wir unsere Ausbildung beenden können. Und, dass wir uns wieder um die alten Menschen kümmern dürfen."

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