Mitten in Erlangen:Eine Stadt dreht am Rad

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In Würzburg haben sie sich gerade einigermaßen beruhigt, da fängt die nächste fränkische Unistadt mit dem Hyperventilieren an. Hier wie dort geht es ums Auto. Und da droht auch an Hochschulorten die Ratio schnell mal flöten zu gehen.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Kürzlich war an dieser Stelle von Würzburg die Rede, einer Stadt, die sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr zum Guten entwickelt hat. Als tolerante, hilfsbereite Kommune hat man sich gerade in der sogenannten Flüchtlingskrise gezeigt, mithilfe der Hochschulen scheint man am Main den Kampf gegen das Enge und Bornierte gewonnen zu haben. Und dann das: Mitten in der Pandemie gerät die Stadt in einen extensiven Erregungszustand. Weil das Corona-Management nicht klappt? Nein, weil das Autoabstellen auf einem Großparkplatz ("Talavera") künftig kosten soll. War seit dem Dreißigjährigen Krieg schließlich noch nie so, geißeln die Kritiker - ja dann.

Ein paar Wochen und einen Kriegsbeginn in Europa später zieht nun die zweite große fränkische Universitätsstadt nach. Würzburg und Erlangen, das ist, was den Hochschulgeist betrifft, eine Konkurrenz auf ziemlich hohen Niveau: Erlangen hat die größere Universität, Würzburg mehr Studierende pro Kopf (weil mehrere Hochschulen). Liberaler und aufgeklärter aber wirkte stets Erlangen. Hier die Machtvollkommenheit katholischer Fürstbischöfe, dort der Einfluss hugenottischer Einwanderer - das prägt ein Stadtklima natürlich schon. Jedenfalls hat die Ratio, die praktische Vernunft (manche klagen auch: die Nüchternheit) in Erlangen eine feste Heimstatt, da mag kommen, was wolle. Oder?

Nein, wohl nicht ganz. Wenn's ums Auto geht, drehen sie offenbar auch in Erlangen am Rad. Die Universitätsstraße, der hübsche und wie überall in Erlangen-City übrigens schnurgerade Hochschulboulevard, wird dort zur Fahrradstraße umgewidmet. Kann ja kaum einer ernstlich dagegen sein? Oh, doch. Wer dieser Tage die Leserbriefspalten der Erlanger Nachrichten studiert, wird - das ist sozusagen die gute Nachricht - den Krieg in Europa ganz schnell mal vergessen können. Gift und Galle wider den Pedalenwahn! Und natürlich: "Wir Bürger" seien bei alledem mal wieder überhaupt nicht gefragt worden. (Wenn man nur endlich mal wüsste, wer immer dieses "wir" ist.)

So schlimm wie in Würzburg, das muss zur Ehrenrettung Erlangens gesagt werden, ist die Wallung nicht. Dafür scheinen sie sich am Main zwischenzeitlich wieder halbwegs eingekriegt zu haben, obwohl die Parkgebühren dort nicht vom Tisch sind. Der Fortschritt ist eben eine Schnecke. Gerne auch aus dem Weinberg.

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