Almwirtschaft:Rudelbildung auf der Hauptalm

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Politikertreffen auf 1140 Metern Höhe: Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW), Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU), Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Josef Glatz, Vorsitzender des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Auf dem Sudelfeld treffen sich 600 Menschen zu der jährlichen Hauptalmbegehung - darunter auch Spitzenpolitiker. Doch ein wichtiger Darsteller lässt sich seit Wochen nicht mehr blicken - was für Gerüchte sorgt.

Von Andreas Glas und Christian Sebald

Markus Söder steht am Hang, im Regen. Er sagt: "Der Wolf gehört nicht nach Bayern." Er spricht über "Rudelbildungen" und irgendwie ist das, was hier oben stattfindet, ja auch so etwas wie eine Rudelbildung. Etwa 600 Menschen nehmen an der Hauptalmbegehung des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern teil. "Die da oben" sind an diesem Mittwochmorgen ausnahmsweise nicht Ministerpräsident Söder (CSU) oder Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), die auf die Sattelalm bei Brannenburg gewandert sind, 1140 Meter Höhe. Es sind die Almbauern, die ihre Chance nutzen, mit der Politik ins Gespräch zu kommen.

War das eine Aufregung im Frühjahr, als Söder und die Staatsregierung ihre neue Wolfsverordnung in Kraft setzten. Experten rechneten fest damit, dass den Wölfen in Bayern ein blutiger Sommer bevorsteht. Und nun? Vor drei Tagen gab es im Kreis Eichstätt mal wieder Berichte über Wolfsrisse. Sonst? Herrscht Ruhe, im Grunde seit Erlass der Verordnung, die einen schnelleren Abschuss ermöglichen soll.

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Trotzdem sagt Söder: "Der Wolf ist eine Herausforderung schlechthin." Auch Bundesminister Özdemir will sich dem Abschuss nicht in den Weg stellen, wenn Wölfe Probleme machen. "Ich werde sie nicht daran hindern", ruft er den Almbäuerinnen und Almbauern zu. Er sagt, dass die Gesetze jenseits der bayerischen Abschussverordnung zuließen, nicht nur einzelne Wölfe zu entnehmen, die Nutztiere reißen und Zäune überspringen, sondern ganze Rudel.

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sieht das in der Praxis anders. Auf der Sattelalm sagt er, dass Abschussgenehmigungen meist von Gerichten gestoppt würden. Vom Bund erwarte er, "dass endlich der günstige Erhaltungszustand für den Wolf festgestellt wird, dann haben es nämlich die Juristen nicht mehr so leicht, den Wolfsabschuss zu verhindern". Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) findet: "Der Wolf ist nicht mehr gefährdet, aber unsere Almbäuerinnen und Almbauern stehen auf der Roten Liste."

Am für das Monitoring der Raubtiere zuständigen Landesamt für Umwelt (LFU) wundert man sich derweil, dass die Wölfe in Bayern zuletzt so selten in Erscheinung traten. Und mancher Naturschützer reagiert bereits ironisch-sarkastisch. "Die Wölfe in den bayerischen Bergen halten sich freundlicherweise an die Rehe", sagt Andreas von Lindeiner, oberster Artenschützer beim Landesbund für Vogelschutz. "Jetzt zeigt sich, dass die Angst der Almbauern größer ist als die Gefahr."

Natürlich hat sich auch in diesem Frühjahr und Sommer einiges getan bei den Wölfen in Bayern. Bei Eichstätt im Altmühltal und auf dem oberpfälzischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr hat sich je ein Wolfsrudel etabliert. Das Rudel im ebenfalls oberpfälzischen Manteler Forst hat Nachwuchs bekommen, bei den anderen Rudeln im nahen Veldensteiner Forst, im Bayerischen Wald und auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken ist das noch unklar. Erstaunlich ist allerdings, dass das LFU für das letzte Vierteljahr vergleichsweise wenige Wolfsübergriffe auf Nutztiere listet - davon nur einen in den oberbayerischen Bergen.

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Zuwanderung aus dem Trentino

Anruf bei Wolfgang Schröder. Der 82 Jahre alte Wissenschaftler war lange Professor für Wildbiologie und Wildtiermanagement an der Technischen Universität München. Heute ist er internationaler Berater bei Konflikten zwischen Menschen und Wildtieren. Warum ist es so ruhig um den Wolf in Bayern, vor allem in den Bergen, wo Furcht und Proteste der Almbauern so groß sind? "Die bayerischen Berge sind einfach nicht das Hauptausbreitungsgebiet der Wölfe in den Alpen", sagt Schröder. "Zumindest noch nicht."

Dann holt Schröder ein wenig aus. Die nächste große Population, von der aus Wölfe wohl früher oder später in die bayerische Berge kommen werden, lebt im Trentino. Ihr Zentrum sind die Monti Lessini östlich des Gardasees. "Diese Population zählt aktuell 29 Rudel", sagt Schröder. "Aus ihr wandern jedes Jahr zig Jungwölfe ab." Allerdings nicht direkt nach Norden über den Alpenhauptkamm nach Tirol und Bayern. "Sondern ein wenig nach Nordosten nach Kärnten", sagt Schröder. "Da sind die Berge nicht so schroff, sie tun sich leichter."

Gerüchte über Wilderei

Anders als in Bayern sind deshalb in Kärnten die Wolfszahlen im ersten Halbjahr 2023 förmlich explodiert. "Dort haben sich binnen kurzer Zeit drei Rudel etabliert", sagt Schröder. "Dazu sind 20 Einzelwölfe dokumentiert worden." Die meisten stammen aus der Trentiner Population. "Kärnten ist derzeit der Hotspot der Wolfsausbreitung in den Ostalpen", sagt Schröder denn auch. "In Tirol ist es ebenfalls relativ ruhig, dort ist wie in den bayerischen Bergen noch kein Rudel nachgewiesen." Das ist deshalb wichtig, weil die hiesigen Alpen nach Schröders fester Überzeugung einmal von Wölfen besiedelt werden, die vom Trentino aus über Tirol zuwandern. Und wie lange wird es noch bis zum ersten Rudel in den bayerischen Bergen dauern? "Das kann keiner seriös vorhersagen, keiner" sagt Schröder. "Fest steht nur, es wird passieren."

Wenig überraschend hat am Mittwoch auch Sepp Glatz seine Forderung wiederholt, dass verhaltensauffällige Wölfe "sofort reguliert" werden müssten, also: abgeschossen. Der strenge Schutz sei nicht mehr zeitgemäß und bedrohe die Almwirtschaft, findet der Vorsitzende des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern. Der Wolf sei immer noch da, nur "momentan macht er keinen Schaden". Immer wieder gibt es auch Gerüchte über Wilderei, dass Almbauern den Abschuss selbst in die Hand nehmen, im Geheimen. Und dass es deshalb so still ist. Ist da was dran? "Da mag ich mich nicht äußern", sagt Glatz.

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