Allen gegenteiligen Ankündigungen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) zum Trotz ist der Ausbau der Windkraft in Bayern auch im ersten Halbjahr 2023 kaum vorangekommen. Das zeigt eine Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Martin Stümpfig. Demnach sind zwischen Januar und Juni diesen Jahres bayernweit nur sechs neue Windräder in Betrieb genommen worden. Im Vergleichszeitraum 2013 - also unmittelbar vor dem kurzen Ausbauboom im Freistaat - waren es mit 20 Anlagen mehr als drei Mal so viele. Noch sehr viel größer ist die Diskrepanz bei den Genehmigungen von Windrädern. Ihre Zahl belief sich in den ersten sechs Monaten 2023 auf vier. Im Vergleichszeitraum 2013 waren es 72 Stück.
Stümpfigs Urteil fällt denn auch vernichtend aus: "Die neuen Zahlen des Wirtschaftsministeriums zeigen deutlich, dass der Schaden durch 10H nach wie vor immens ist", sagt der Grünen-Politiker. 10H ist die Abstandsregel, nach der ein neues Windrad das Zehnfache seiner Höhe von der nächsten Ortschaft entfernt sein muss. Mit ihr wollte die Staatsregierung den Kritikern der Windkraft entgegen kommen. Faktisch hat sie damit den Ausbau zehn Jahre lang blockiert. Erst auf massiven Druck des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck hat sie Ausnahmen davon zugelassen. Nach den Vorgaben des Bundes muss der Freistaat bis 2027 einen Anteil von 1,1 Prozent der Landesfläche für Windräder zur Verfügung stellen. Bis 2032 müssen es 1,8 Prozent sein.
Der Stillstand wird auch noch eine Weile andauern. Bis die Baugenehmigung für ein Windrad erteilt wird, vergeht mindestens ein Jahr, in der Regel sind es bis zu drei Jahre. Mit einem Baubeginn der 23 Windräder, für die in den ersten sechs Monaten 2023 die Bauanträge bei den jeweiligen Landratsämtern eingegangen sind, ist also zwischen 2024 und 2026 zu rechnen - wenn sie denn alle genehmigt werden. Damit langt der Freistaat auch in näherer Zukunft nicht an die Zahlen vor zehn Jahren heran: Von Januar bis Juni 2013 wurden bayernweit 135 Anträge auf neue Windräder bei den Kreisbehörden eingereicht.
Diese 135 Bauanträge waren Teil des Ausbaubooms in den Folgejahren. 2014, das Jahr, in dem die 10-H-Regel in Kraft getreten ist, gingen 161 Windräder ans Netz, 2015 waren es 141. Auch 2016 (106 Anlagen) und 2017 (111 Anlagen) setzte sich dieser Boom noch fort. Erst 2018 zeigte sich die Ausbau-Blockade durch die 10-H-Regel. In diesem Jahr ging die Zahl der neuen Anlagen auf einen Schlag auf acht Stück zurück. "Seither wurden nur noch durchschnittlich neun Windräder pro Jahr in Betrieb genommen", sagt Stümpfig. "Das ist ein Einbruch um den Faktor 15 zu der Zeit vor 10H."
Anders als im Bundesvergleich wird die Windkraft deshalb auch noch längere Zeit kaum eine Rolle im bayerischen Strommix spielen. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums deckte sie 2021 nur 4,8 Prozent des Stromverbrauchs in Bayern. Mit einer installierten Leistung von nur 35 Kilowatt je Quadratkilometer Landesfläche war der Freistaat im Bundesvergleich Schlusslicht. Deutschlandweit leistete die Windkraft dagegen mit 22 Prozent Anteil den zweitgrößten Anteil bei der Stromerzeugung.