SPD, Grüne und FDP:"Wir haben unsere Politik an die Realitäten angepasst"

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Politiker mit Mission: Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages im vergangenen Jahr sendeten die Ampel-Politiker noch Botschaften des Aufbruchs. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

In Bayern sind sie in der Opposition, in Berlin stellen sie gemeinsam die Regierung: Können Grüne, SPD und FDP von ihrer Arbeit im Bund mit Blick auf die Landtagswahl 2023 profitieren?

Von Thomas Balbierer, Johann Osel und Olaf Przybilla

Was waren das für schillernde Bilder, was waren das für hoffnungsvolle Worte? Als SPD, Grüne und FDP im vergangenen Winter ihre erste gemeinsame Bundesregierung schmiedeten, sendeten sie Botschaften von Zuversicht und Wandel aus. Als Koalition würden die drei Partner nach den lähmenden Jahren der großen Koalition endlich "mehr Fortschritt wagen", so stand es groß über dem Koalitionsvertrag. Ein "Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit" werde das, in dem jede Partei zur Geltung komme und die Koalition mehr sei als die Summe ihrer Teile. Das Versprechen garnierten sie mit nächtlichen Selfies.

Die Lust auf gemeinsame Schnappschüsse ist den Spitzenpolitikern nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vergangen, vom Aufbruchsgeist der ersten Tage ist nach einem halben Jahr nicht mehr viel übrig. Statt rot-grün-gelber Fortschrittspolitik heißt es nun erst einmal: mehr Bundeswehr wagen. Wie kommt das bei den Mitgliedern der drei Parteien im Freistaat an - und welche Chance geben sie einem Ampelbündnis nach der Landtagswahl 2023? Ein Stimmungstest an der bayerischen Basis.

SPD

Als Parteilinker hatte man es mit dem Führungspersonal der SPD ja nie wirklich leicht, gaben doch meist Männer der Mitte den Ton an: Schmidt, Schröder, nun Scholz. Und so erleben linke Parteimitglieder wie Sepp Parzinger aus Traunstein derzeit nicht die angenehmsten Tage. Ausgerechnet ein SPD-Kanzler muss die Lieferung von Panzern und Raketenwerfern in ein Kriegsgebiet verkünden und mit der Tradition der militärischen Zurückhaltung brechen. Das schmerzt. "Ich ringe mit mir und meiner Haltung dazu", sagt Parzinger, ehemals Juso-Vize im Bund und heute Kreischef der SPD in Traunstein.

Man hört am Telefon, wie sehr der 28-Jährige zwischen der gebotenen Unterstützung der Ukraine und der Angst vor einer militärischen Eskalation schwankt. Am Ende hält er die abwägende Politik der Regierungskoalition aber für richtig - auch wenn sich seine Freude über das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr in Grenzen hält. "Das darf nicht zu Lasten der Sozialausgaben gehen", warnt der Gewerkschaftsmitarbeiter beim DGB.

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Auch Freya Altenhöner, SPD-Vorsitzende in Würzburg, unterstützt den aktuellen Kurs der Ampel. Sie kann das Gerede von der angeblich schlechten Kanzler-Kommunikation nicht nachvollziehen: "So viel wie Scholz sich zuletzt in Fernsehansprachen und Talkshows geäußert hat, so oft hat das Angela Merkel doch in 16 Jahren nicht getan." Sie findet, dass der Kanzler so handle, wie man es von einem Staatschef erwarten könne: "Nicht überstürzt, ernsthaft und überlegt." Auch gesellschaftspolitisch sieht sie die Ampel auf dem richtigen Weg, etwa mit der Cannabis-Legalisierung.

Sepp Parzinger wünscht sich, dass die Ampel neben der Mindestlohnerhöhung und dem Ende von Hartz IV noch mehr gegen die Spaltung zwischen Arm und Reich unternimmt. Zum Beispiel eine Vermögensteuer - was mit einem Finanzminister Christian Lindner, der konsequent gegen Steuererhöhungen ankämpft, eher unwahrscheinlich ist. "Die FDP steht einer noch sozialeren und gerechteren Politik im Weg", klagt Parzinger.

Christian De Lapuente, SPD-Fraktionschef in Ingolstadt, auch er Gewerkschafter, hebt indes hervor, dass in der Sozialpolitik schon einiges erreicht worden sei. Er erinnert an die beiden Entlastungspakete sowie die Rentenerhöhung - da gebe Berlin bereits Rückenwind für die SPD in Bayern. Ohnehin glaubt er, dass die klassisch sozialdemokratischen Themen im Landtagswahlkampf 2023 wichtig sein werden. Die stolzen Thesen der CSU über Bayern als "Familienland Nummer eins", in dem alles wunderbar laufe, werde man nicht so stehen lassen. Die Regierungsverantwortung im Bund präge zudem bis in die lokale Ebene hinein ein "Entscheider"-Image der SPD. Lapuente kennt das aus Ingolstadt, wo die SPD der CSU 2020 nach fast 40 Jahren das Rathaus abluchste.

Grüne

Apropos abluchsen: Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben die Grünen ihren Ampel-Partnern SPD und FDP einiges an Stimmenanteilen abgenommen. Während Rot und Gelb enttäuschende Ergebnisse einsammelten, können die gestärkten Grünen in beiden Ländern auf eine Koalitionsbeteiligung hoffen. Grünen-Minister führen zudem die Beliebtheitsrankings an. Sabrina Harper glaubt nicht, dass das zu Missgunst und Instabilität in der Berliner Ampel führt. Die Vorsitzende der Augsburger Grünen freut sich, dass es für ihre Partei gerade gut läuft, warnt aber vor Euphorie. Bis zur Landtagswahl in Bayern im Herbst 2023 sei noch sehr viel Zeit. "Früher oder später können auch wir irgendwo stolpern." Sie hofft, dass die Regierung die Energiewende trotz aller aktuellen Herausforderungen nicht aus den Augen verliert - das könnte dem Image als Ökopartei schaden.

Dass ausgerechnet die Grünen in Kriegszeiten so gut dastehen, ist eine kleine Sensation. Schließlich hat die Partei eine pazifistische Vergangenheit, viele Mitglieder haben den Wehrdienst verweigert, in den Parteiprogrammen ging es nie um Auf-, sondern stets um Abrüstung. Doch plötzlich drängen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock zwei Grüne auf unbequeme Entscheidungen wie die Lieferung von schweren Waffen. Kritiker werfen der Partei schon Kriegstreiberei vor. "Ich würde nicht sagen, dass die Grünen ihre Werte über Bord geworfen haben", sagt Sabrina Harper. "Wir haben unsere Politik stattdessen an die Realitäten angepasst und nicht starr an Prinzipien festgehalten."

Das sieht auch ihre niederbayerische Kollegin Nicole Herzog so. Der Vorsitzenden des Regener Kreisverbandes imponiert der Auftritt der grünen Spitzenleute, vor allem Robert Habeck kommuniziere sein Vorgehen und seine Zweifel vorbildlich. Ob es nicht trotzdem an der Basis rumort - schließlich hatten sich die Grünen vor der Beteiligung am Kosovo-Krieg Ende der Neunziger fast über den Einsatz der Bundeswehr überworfen? "Überhaupt nicht", sagt Herzog. Im Gegenteil: Selbst "Altgrüne" mit Hippie-Vergangenheit stünden heute hinter den Entscheidungen im Bund. Man erhalte sogar aus anderen politischen Lagern Anerkennung für das politische Handeln der Grünen.

FDP

Zum Beispiel vom Nürnberger FDP-Stadtrat Ümit Sormaz. Er sagt, er habe sich mit Grünen-Lob nicht leicht getan all die Jahre, aber was der frühere Konkurrent da in der Regierung abliefere, nötige ihm gehörigen Respekt ab. "Das muss man neidlos anerkennen", sagt Sormaz. Die Grünen erwiesen sich als "anpassungsfähig" und fern jeder Ideologie.

Weniger begeistert äußert sich Gabriele Opitz, FDP-Stadträtin in Regensburg. Die 73-Jährige wirbt für mehr Zurückhaltung in der Kriegsfrage und findet sich politisch eher bei dem vorsichtigen Kurs von Olaf Scholz wieder. "Ich finde jemanden, der in so einer Situation nicht so eine große Klappe hat, nicht verkehrt." Innenpolitisch erhofft sich die Regensburgerin von der Ampel liberalere Gesetze, zum Beispiel bei der Sterbehilfe. Ebenso bei dem Streit um Paragraf 219a im Strafgesetzbuch, der Ärzten bislang verbietet, zum Beispiel auf einer Internetseite über das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen zu informieren. "Ich erwarte, dass von der Ampel ein gesellschaftlicher Modernisierungsschub ausgeht", sagt Opitz. "Momentan wird leider vieles vom Krieg überlagert."

Ihr Nürnberger Parteifreund Ümit Sormaz findet das Gesamtergebnis der Regierung bislang durchwachsen und macht es exemplarisch am Neun-Euro-Ticket fest: Dass verkehrspolitisch etwas geschehen müsse, sei ja keine Frage. Aber dieses Ticket könne sich im schlechtesten Fall als "Booster-Programm für die Inzidenz" erweisen und Menschen in ihren Vorurteilen über Bus und Bahn womöglich noch bestätigen: "schmutzig, überfüllt, zu spät".

Eine Ampel für Bayern? Halten Sormaz und Opitz für eine interessante Option, auch wenn die Umfragen das bislang nicht hergeben. "Aber wir sind ja auch auf dem Mond gelandet", sagt Opitz. "Also ist auch eine Regierung in Bayern ohne CSU möglich."

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