NS-Geschichte in Bayern:Die Anti-Idylle auf Hitlers Obersalzberg

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Das Gebäude am Obersalzberg ist wuchtig und dezidiert anti-idyllisch mit Sichtbeton und schmalen, dunklen Glasbändern. (Foto: Matthias Köpf)

Bombenfund, Lieferschwierigkeiten, Kostenverdopplung: Die neue Dauerausstellung am ehemaligen Berghof des NS-Diktators ist fertig. Besuch an einem Ort, an dem die Ermordung von Millionen Menschen geplant wurde.

Von Matthias Köpf, Berchtesgaden

Schon Adolf Hitler hat die Idylle hier oben lange genug vorgetäuscht. Vielleicht hat er sie anfangs sogar selbst gesucht, als er 1923 zum ersten Mal in das kleine Bauerndorf Obersalzberg oberhalb von Berchtesgaden kam, wo er 1928 das Haus Wachenfeld gemietet und es 1933 gekauft hat. Haus Wachenfeld musste bald Hitlers neuem "Berghof" weichen und das ganze Dorf einem weitläufigen "Führersperrgebiet" mit zahlreichen Neubauten für die Nazi-Größen. Hitler ließ trotzdem noch Propagandafotos vom Führer in der guten Bauernstube verbreiten, während er und seine Generäle in den hallenartigen Räumen des Berghofs die Menschheitsverbrechen des Zweiten Weltkriegs und der Ermordung von Millionen Menschen geplant und teils auch dort angeordnet haben. Dazwischen gab es Tee auf der Terrasse und Tischtennis für die Entourage.

Die neue Dauerausstellung der Dokumentation Obersalzberg, die an diesem Mittwoch feierlich eröffnet wurde und von Donnerstag an allgemein zugänglich ist, fasst diese Dualität unter dem Titel "Idyll und Verbrechen" zusammen. Hier am Obersalzberg, dem zweiten Regierungssitz neben Berlin, hat Hitler etwa ein Viertel seiner gesamten Regierungszeit verbracht. Hier ließ er sich von seinem Leibfotografen Heinrich Hoffmann als volksnaher Führer inszenieren, in scheinbar trautem Gespräch mit Kindern in Tracht oder inmitten der Massen, die tatsächlich auf den Obersalzberg pilgerten, um ihm dort zuzujubeln.

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Die Menschen kamen auch noch, nachdem die Alliierten am 25. April 1945 doch noch das Führersperrgebiet bombardiert und wenig später dem "Dritten Reich" und seinem schon längst verlorenen Krieg ein endgültiges Ende bereitet hatten. In den Jahrzehnten danach waren nicht wenige dieser Gäste am Obersalzberg immer noch auf der Suche nach dem vermeintlichen Nazi-Idyll. Andere wollten der dunklen Faszination nachspüren, die von Hitler und seinen Hinterlassenschaften immer noch auf sie ausging, und ließen sich von mancherlei Geschäftemachern in die Reste der ausgedehnten Bunkeranlagen führen.

Dem oft allzu wohligen Nazi-Grusel, aus dem auch drunten in Berchtesgaden mancher gerne Umsatz generierte, wollte der Freistaat nach dem Abzug der letzten US-Soldaten schließlich die erste, 1999 eröffnete Dokumentation Obersalzberg entgegensetzen. Die war viel erfolgreicher als gedacht: Geplant war sie für maximal 40 000 Gäste im Jahr, doch es kamen bis zu 170 000, weitaus die meisten davon geballt von Frühjahr bis Herbst. Also fiel 2012 die Entscheidung für einen Neubau. Nicht gleich der erste Spatenstich, aber doch bald stieß eine Baggerschaufel 2017 auf eine einst nicht explodierte Bombe, und auch sonst zog sich das Projekt in die Länge. 2020 kündigte der Freistaat den federführenden Planern, und noch immer ist offen, ob es deswegen zu einem Gerichtsprozess kommen wird.

Den vom Landtag mehrmals und am Ende mit deutlichem Unmut auf 30,1 Millionen Euro und damit auf mehr als das Doppelte der ursprünglichen Summe erweiterten Kostenrahmen werde man aber wohl halten können, heißt es inzwischen aus dem Bau- und dem Finanzministerium. Dem für die Ausstellung verantwortlichen Institut für Zeitgeschichte (IfZ) hat der Freistaat vor zwei Jahren ein durchaus wuchtiges und dezidiert anti-idyllisches Gebäude aus Sichtbeton und schmalen, dunklen Glasbändern übergeben, das sich gleichwohl bis tief in den Berghang hinein zurücknimmt. Das IfZ hat dann wegen der Corona-Pandemie, des Ukraine-Kriegs und wegen Lieferengpässen selbst bei Vitrinenglas, Beleuchtungssteuerungen und sogar beim Holz der maßgefertigten Ausstellungsmöbel noch fast zwei Jahre gebraucht, ehe es in dem Neubau sein schon 2018 präsentiertes Ausstellungskonzept verwirklichen konnte.

Der Bunker, der bei der alten Dokumentation nur als schummrig illuminierte Sackgasse zugänglich war, ist jetzt hell ausgeleuchtet. (Foto: Matthias Köpf)

Dessen größtes Ausstellungsstück ist der Bunker, der von der nebenan gelegenen und nun für begleitende Bildungsangebote genutzten alten Dokumentation nur als schummrig illuminierte Sackgasse zugänglich war. Jetzt bildet das Faszinosum, das laut Befragungen mindestens ein Mitgrund für etwa die Hälfte aller Besuche im Dokuzentrum war, den letzten Teil eines Rundgangs. Ganz an dessen Ende haben an drei Stellen überlebende Zeitzeugen das letzte Wort. Zudem ist der Bunker jetzt hell ausgeleuchtet, wodurch auch noch allerlei Inschriften zutage traten aus allen seinen Zeitschichten von den Zwangsarbeitern, die ihn bauen mussten, über die lange in Berchtesgaden stationierten alliierten Soldaten bis zu manchen Besuchern der bisherigen Dokumentation. Auch die 2017 auf der Baustelle gefundene Bombe ist in dem Bunker ausgestellt.

Die entscheidende Idee der Ausstellungsmacher um Doku-Leiter Sven Keller, dessen bis 2018 amtierenden Vorgänger Axel Drecoll und Stellvertreter Albert Feiber erschließt sich in den Räumen darüber. Da geht es in insgesamt fünf Zonen und Kapiteln etwa um den Obersalzberg als Bühne für Hitlers Propaganda. Hoffmanns inszenierte und vielfach retuschierte Fotos vom Führer lassen sich an einem großen Medientisch mit Touchscreen selbst im Detail auseinandernehmen und analysieren. Es geht um die "Volksgemeinschaft" und darum, wer auch gerade hier rund um Berchtesgaden zu ihr gehören durfte und wer aus ihr ausgestoßen und ermordet wurde, es geht um Hitlers Kriegs- und Expansionspolitik und um den Umgang mit dem vermeintlichen Idyll Obersalzberg in der Nachkriegszeit.

Für die neue Dauerausstellung ist das Institut für Zeitgeschichte verantwortlich. Auf Touchscreens wird unter anderem der Obersalzberg als Bühne für Hitlers Propaganda gezeigt. (Foto: Matthias Köpf)

Zentral, entsprechend mittig angeordnet und von allen anderen Zonen mit deutlich markierten Durchblicken zu sehen ist jedoch das Kapitel "Täterort und Tatorte" und damit der Versuch, eben auch jene epochalen Verbrechen zu zeigen, die hier im vermeintlichen Idyll ihren Ausgang nahmen. Denn damit, am Obersalzberg vor allem wieder die Täter zu zeigen, wollten es Keller und seine Kollegen nicht bewenden lassen. Die neue Dokumentation möchte viel mehr als davor auch die Opfer in den Blick nehmen - auch angesichts von zwar leisen, aber vernehmlichen Debatten darüber, ob der Staat so viel Geld in einen Täterort wie den Obersalzberg stecken müsse, obwohl es doch ausgewiesenen Opferorten wie den KZ-Gedenkstätten an so vielem fehle.

Das Kapitel "Täterort und Tatorte" verknüpft den Obersalzberg nun exemplarisch mit Auschwitz, Leningrad, Kaunas, Treblinka und Warschau sowie der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Hier endeten die Leben und Lebensgeschichten von Abertausenden Menschen - darunter von einigen, die die Ausstellung ihren Besuchern nun als Personen näher bringt wie den jüdischen Kurarzt Gustav Ortenau aus Bad Reichenhall, den die sogenannte Volksgemeinschaft nicht mehr in den Hütten auf seinen geliebten Bergen haben wollte. Wie Dora Reiner aus Schönau am Königssee, deren Hausrat die interessierte Nachbarschaft nach ihrer Deportation und Ermordung günstig ersteigern konnte. Wie die Familien Winter und Herzenberger, die als Angehörige der Sinti und Roma schnell im nahen Salzburg-Maxglan interniert wurden und - ehe auch sie umgebracht wurden - noch Hitler liebster Filmemacherin Leni Riefenstahl als Statisten Spanier darstellen mussten. Die neue Dokumentation entreißt sie beispielhaft dem Vergessen. Das Idyll der Täter war selbst ein Tatort.

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