Sicherheitsbehörden:"Wir als Polizei gehen da langsam in die Knie"

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Smartphones ermöglichen die massenhafte Verbreitung kinderpornografischer Inhalte, etwa in Gruppen-Chats. Nicht selten passiert das unbewusst, wie auch beim Phänomen der "Schulhof-Kinderpornografie". (Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Die Fälle von Kinderpornografie steigen in Bayern fast explosionsartig. Dahinter steckt oft unbedarftes Verbreiten über Smartphones. Aber auch eine Welle von Hinweisen aus den USA, auf die die Ermittler reagieren.

Von Johann Osel

Die Zahlen der "Operation Weckruf" im vergangenen Sommer sprechen für sich: In einer gemeinsamen Aktion gegen Kinderpornografie haben Polizei und Justiz in allen bayerischen Regierungsbezirken mehr als 50 Durchsuchungsbeschlüsse an einem Tag vollzogen. Allein 270 Polizeikräfte waren im Einsatz, zudem spezielle Spürhunde für Datenträger. Gut 2500 Computer, Smartphones und sonstige Speichermedien wurden aufgefunden. Von einem "empfindlichen Schlag" gegen die Szene sprach Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Es war nicht die erste Massendurchsuchung dieser Art und wird auch nicht die letzte gewesen sein. Koordiniert wurde die Aktion vom Landeskriminalamt und dem Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch im Internet, angesiedelt bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg. Man werde solche "Action-Days" 2024 fortsetzen, sagte Landespolizeipräsident Michael Schwald kürzlich im Innenausschuss des Landtags. Es gehe darum, "ein Zeichen zu setzen", Täter müssten "jederzeit mit der Polizei rechnen, auch in den Morgenstunden". Hinzu kommen in Bayern jedes Jahr unzählige weitere Razzien zu Kinderpornografie, zuletzt etwa in Rosenheim, Bayreuth oder Starnberg. Das zeigt sich auch in der Polizei-Statistik, fast explosionsartig.

Ermittlungen wegen Verbreitung, Erwerbs, Besitzes und Herstellung kinderpornografischer Inhalte, wie es im Strafgesetz heißt, nehmen stark zu. Laut der jüngst vorgestellten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) gab es vergangenes Jahr mehr als 7000 Fälle, ein Plus von 14,6 Prozent zum Vorjahr. Es ist ein wiederholter Zuwachs, 2019 waren es 1735 Fälle, eine Vervierfachung also innerhalb von fünf Jahren. Öffentlich debattiert wurde bei der neuen PKS vor allem Gewaltkriminalität durch tatverdächtige Flüchtlinge. Das Thema Kinderpornografie geriet da etwas aus dem Blick.

Was steckt dahinter? Zunächst nicht unbedingt, dass es mehr Fälle gibt, sondern dass mehr ausgeleuchtet werden, aus dem Dunkel- ins Hellfeld wandern. Zum einen entstehen mehr Verfahren durch die alltägliche Nutzung von Smartphones, die eine rasche, massenhafte Verbreitung auch kinderpornografischer Inhalte ermöglicht, etwa in Gruppen-Chats. Nicht selten passiert das unbewusst, wie auch beim Phänomen der "Schulhof-Kinderpornografie". In Ermittlerkreisen meint der Begriff, dass Jugendliche entsprechende Bilder teilen, sei es aus Unbedarftheit, Neugier oder Imponiergehabe. Hier setzt übrigens Prävention an, etwa die Kampagne "Mach' dein Handy nicht zur Waffe" von Justiz- und Kultusministerium. Auch die Ermittlungen zu Kinderpornografie werden immer professioneller. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) richtete in den vergangenen Jahren für verschiedene Deliktschwerpunkte spezielle Staatsanwaltschaften ein, eben auch das Zentrum in Bamberg.

Maßgeblich sind jedoch Hinweise vom NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children) in den USA. Dortige Provider sind verpflichtet, der gemeinnützigen, öffentlich geförderten Organisation entsprechende Inhalte zu melden. Das NCMEC lokalisiert die Fälle, leitet sie ans Bundeskriminalamt weiter, dieses wiederum an die Behörden in Bayern. 20 Millionen Meldungen des NCMEC soll es jährlich weltweit geben. Damit rücken auch leichtere Fälle von Kinderpornografie, etwa ohne Darstellung von Missbrauch, vermehrt ins Hellfeld. In Sicherheitskreisen gilt das NCMEC als "Treiber" der sprunghaft angestiegenen Ermittlungsarbeit. Auf Anfrage der SZ benennt das Landeskriminalamt zwar keinen konkreten Anteil von NCMEC-Meldungen an den Gesamtfällen. 2023 sei im Vergleich zum Vorjahr aber ein Anstieg dieser Hinweise um rund 80 Prozent feststellbar. Künftig sei außerdem von "zu erwartenden Steigerungen der NCMEC-Fallzahlen" auszugehen.

"So erschreckend die Fälle sind, so wichtig ist der Kampf dagegen"

Derlei Hinweise gehen weiter bis zur lokalen Ebene - und beschäftigen Kriminalpolizei und Inspektionen in ganz Bayern. "Wir als Polizei gehen da langsam in die Knie. Es ist ein Massendelikt, dem kaum mehr Herr zu werden ist", sagt Jürgen Köhnlein, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). "Man denke nur an Gigabyte von Daten, an die Vernehmungen, die Hausdurchsuchungen - und das multipliziert mit Tausenden Fällen. Doch so erschreckend die Fälle sind, so wichtig ist der Kampf dagegen." Speziell auf die Kollegen und IT-Forensiker, die mit der Auswertung von Dateien beschäftigt sind, müsse man achten: "Das sind so fordernde Tätigkeiten, die kann man nicht ein Leben lang machen."

Innenminister Herrmann forderte bei der Vorstellung der PKS die längere Sicherung von IP-Adressen. Es ist der Dauerstreit um die Vorratsdatenspeicherung - in der Bundesregierung seien Grüne und FDP "der Bremsklotz", zulasten der Ermittlungen. Alfred Grob (CSU) sagte im Innenausschuss, diese Blockade sei "ein Frevel an geschädigten Kindern rund um die Welt". Ein anderer Gesetzentwurf hat derweil das Bundeskabinett passiert. Es geht um eine Anpassung der Mindeststrafen. Die bisherigen Regeln ermöglichen etwa keine Flexibilität bei Delikten unbedarfter Jugendlicher. Oder führen zu absurden Verurteilungen von Menschen, die kein pädokriminelles Motiv haben - etwa Eltern, die entsetzt inkriminierte Bilder sicherstellen. Das trägt auch zur Überlastung der Behörden bei, bundesweit. Polizeigewerkschafter Köhnlein sieht die geplante Novelle als wichtigen Schritt: "Es betrifft ja Fälle, wo offenkundig ist, dass die Mütter oder Lehrer nicht in dem Sumpf stecken, sondern das aufklären wollen."

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