Corona-Pandemie:Bayern setzt auf noch mehr Heimarbeit

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Eine Pflicht zum Home-Office lehnt Ministerpräsident Markus Söder allerdings ab. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Corona-Gefahr am Arbeitsplatz: Die Staatsregierung appelliert an Unternehmen, so viele Beschäftigte wie möglich ins Home-Office zu schicken. Doch gerade in Industriebetrieben und im Handwerk ist das nur schwer möglich.

Von Maximilan Gerl, Andreas Glas, Anton Kästner, Matthias Köpf, Clara Lipkowski, Johann Osel, München

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den Bund dazu aufgefordert, die Unternehmen mit Steueranreizen zu mehr Home-Office zu bewegen. "Wir wollen das steuerlich fördern und begünstigen", sagte Söder am Mittwoch nach einem Treffen mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.

Er schlägt Sofortabschreibungen für Firmen vor, die mehr Home-Office-Arbeitsplätze einrichten. Für Arbeitnehmer, die in einem Home-Office-fähigen Betrieb arbeiten, soll es zudem einen festen Anspruch auf Heimarbeit geben. Auch der Freistaat werde überall dort einen mobilen Arbeitsplatz einrichten, wo dies möglich sei, sagte Söder. Eine Pflicht zum Home-Office lehnte er dagegen ab: Eine solche Vorgabe könne "in einzelnen Betriebs- und Produktionsabläufen zu Herausforderungen führen".

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Die Opposition im bayerischen Landtag zeigte sich teils enttäuscht über die Ergebnisse des sogenannten Home-Office-Gipfels. "Keine bindenden Vorgaben, weder beim Home-Office, noch bei den Vorgaben für den Infektionsschutz - das reicht nicht aus", sagte etwa SPD-Generalsekretär Uli Grötsch. Freiwilligkeit reiche hierbei nicht aus, der Staat müsse die Arbeitnehmer in die Pflicht nehmen. Neben klaren gesetzlichen Vorgaben brauche es zudem "eine strenge FFP2-Maskenpflicht mit vom Arbeitgeber gestellten Masken und Abstandsregelungen auch in bislang kaum regulierten Bereichen wie dem Handwerk oder dem Versand- und Logistikbereich", sagte Grötsch.

"Gipfel" - dieses Wort ließ große Entscheidungen erwarten. Dass diese am Mittwoch ausblieben, liegt auch daran, dass der Freistaat zwar temporäre Regelungen als Infektionsschutzmaßnahmen verordnen kann, Arbeitsrecht aber vor allem Aufgabe des Bundes ist. Und mit dem Vorschlag eines Home-Office-Rechtsanspruches war Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erst gescheitert. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) hatte in der Vergangenheit einen solchen Anspruch stets zurückgewiesen: Der Arbeitgeber habe das Recht, zu bestimmen, wann und wo die Arbeit zu leisten sei.

Die Gegenseite, allen voran der DGB, hatte dem widersprochen. Zwar dürfe niemand ins Home-Office gezwungen werden, doch brauche es klare Rahmenbedingungen zum Schutz der Beschäftigten. Einig war man sich darin, angesichts des Infektionsgeschehens Home-Office dringend anzuraten. Insbesondere die VBW appellierte wiederholt an Unternehmen, dies auch im Interesse der Wirtschaft überall dort zuzulassen, wo es möglich sei.

Einig traten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter offenbar auch am Mittwoch auf. Während Söder die Ergebnisse des Gipfels auf einer Pressekonferenz vorstellte, veröffentlichten VBW und DGB bereits eine Erklärung: Angesichts "der im Vergleich zum Frühjahr noch kritischeren Pandemielage" rufe man die Unternehmen dazu auf, ihre bestehenden Anstrengungen nochmals zu erhöhen. Wo immer möglich, sollten sie Beschäftigten mobile Arbeit gewähren. Jedes Unternehmen solle prüfen, wo es bei dem Thema noch "Luft nach oben" gebe. Allerdings weise man darauf hin, "dass es faktische Grenzen" gebe - etwa für die Produktion in der Industrie, bei Dienstleistungen oder in puncto Datensicherheit.

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Längst geht es bei der Home-Office-Debatte um mehr, um Grundsätzliches. Was kann und soll die Wirtschaft in diesen schweren Zeiten leisten? Und wie wollen wir als Gesellschaft in Zukunft arbeiten? Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt, dass fast 60 Prozent der deutschen Beschäftigten eine Arbeit ausüben, die sich schwer oder gar nicht an den heimischen Küchentisch verlagern lässt.

Diese Zahl könnte in Bayern aufgrund des hohen Industrieanteils noch etwas größer sein. Tendenziell gilt Home-Office in Großunternehmen als etablierter. Schwieriger ist die Umsetzung in kleineren Betrieben mit knapperen Ressourcen. Mal verweigern sich Chefs, die fürchten, ihre Mitarbeiter nicht mehr kontrollieren zu können, mal stellt die Firma keine Laptops. Bisweilen sind es auch die Beschäftigten selbst, die nicht heim wollen: weil dort das Internet langsam ist, die Kinder stören oder sie berufliche Nachteile fürchten.

Exemplarisch ließen sich Probleme und Lösungen zuletzt in einem Bereich beobachten, für den die Staatsregierung keinen Gipfel gebraucht hätte: in der eigenen Verwaltung. In seiner Rolle als Dienstherr von rund 200 000 Beamten hat der Freistaat angeordnet, so viele Bedienstete wie möglich ins Home-Office zu schicken. Anträgen hierauf solle "grundsätzlich entsprochen werden", heißt es in einem Schreiben des zuständigen Finanzministeriums vom 8. Januar. Ausnahmen solle es nur dann geben, wenn "die Dienstposten der Beschäftigten unter keinen Umständen ganz oder teilweise für Home-Office geeignet sind oder dringende dienstliche Gründe die Präsenz der Beschäftigten an den Dienststellen erfordern". Schon am 6. Dezember hatte der Ministerrat beschlossen, dass jeder Staatsbedienstete, der seine Arbeit mindestens zur Hälfte von zu Hause aus erledigen kann, dies auch grundsätzlich dürfen soll.

Wie dringend die persönliche Präsenz in den einzelnen Ämtern dagegen wirklich ist, hatten verschiedene Behördenleiter im Laufe der Pandemie sehr verschieden eingeschätzt - bis hin zum Beharren auf der gewohnten Präsenzkultur. Vor allem im vergangenen Frühjahr mangelte es zudem häufig an Dienst-Notebooks sowie an Softwarezugängen von außen. Da sei aber seitdem viel passiert, heißt es vom Bayerischen Beamtenbund. Der bekommt von seinen Mitgliedern laut stellvertretender Geschäftsführerin Christine Bodony derzeit vor allem positive Rückmeldung zum Thema Home-Office.

Wobei man zugleich eingestehen müsse, dass "sinnvolles Daheimarbeiten sicher nicht in allen Fällen möglich ist - und es wird trotzdem gerade gemacht". So hat die Vizepräsidentin der Regierung von Oberbayern per Mail an die Mitarbeiter erklärt, dass möglichst viele von zu Hause aus arbeiten sollen. Wer dort nicht über die nötige Ausstattung verfüge, solle offline Akten studieren, Fachliteratur lesen oder sich am Privatcomputer online fortbilden.

Bei der Regierung der Oberpfalz sind nach eigenen Angaben inzwischen 550 Mitarbeiter und damit rund 70 Prozent der Personals technisch so ausgestattet, dass sie von daheim aus arbeiten können. Im Innenministerium nutzen laut einem Sprecher 70 bis 80 Prozent der Beschäftigten "in wechselndem Umfang die Möglichkeiten des flexiblen Arbeitens". Im Landeskriminalamt gilt das für immerhin fast ein Drittel der Beschäftigten.

© SZ vom 14.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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