Zweite Corona-Welle:Wirkt der Teil-Lockdown in Bayern?

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In Augsburg gelten schon länger strenge Regeln als anderswo. Nun könnten sie Wirkung zeigen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

In Augsburg stagnieren die Zahlen, Traunstein schließt bei einem Inzidenzwert von über 400 die Schulen. Wo sich das Virus verbreitet, weiß niemand genau.

Von Florian Fuchs, Dietrich Mittler, Augsburg/München

Sie könne es verstehen, sagt Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber am Donnerstagmittag, "dass es manchmal schwierig ist auszuhalten, dass man manche Dinge noch nicht sagen kann". Nur wisse sie eben bis heute nicht, warum sich Augsburg im Oktober innerhalb von wenigen Tagen zu Deutschlands größtem Corona-Hotspot entwickelt hat. Auch Experten könnten ihr diese Frage nicht beantworten. Und sie wisse auch nicht, wie sich der "Lockdown light", wie sie es nennt, auf den Inzidenzwert in Augsburg auswirkt. Selbst wenn es Anlass zur Hoffnung gibt.

Bayern befindet sich im Teil-Lockdown, aber noch kann niemand sagen, wie sich die Maßnahmen der Staatsregierung auf das Infektionsgeschehen auswirken. In Kulmbach meldeten sie am Mittwoch erstmals wieder eine Sieben-Tage-Inzidenz von weniger als 50, in Traunstein ist die Lage schlimmer, als sie in Augsburg je war: Der Inzidenzwert liegt über 400. Während die einen in stark betroffenen Gebieten von "galoppierenden Entwicklungen" sprechen und Traunstein deshalb sogar von Montag an den Präsenzunterricht größtenteils aussetzen will, bremsen Landräte in anderen Gegenden die Euphorie: Sinkende Ansteckungsraten seien noch kein Grund, leichtfertig zu werden. Das Wochenende, da sind sich alle einig, müsse man für ein Zwischenfazit zum Lockdown abwarten.

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So ist man selbst im Landratsamt im oberfränkischen Kulmbach weit entfernt Entwarnung zu geben. "Der derzeitige Inzidenzwert von unter 48,91 ist der niedrigste unter allen 96 Landkreisen und kreisfreien Städten Bayerns", betonte Landrat Klaus Peter Söllner am Mittwoch. "Diese positive Momentaufnahme muss aber vorsichtig bewertet werden." Zu gut erinnern sie sich noch an den September, als sie sich über einen Inzidenzwert von null freuen durften. "Und innerhalb einer Woche lagen wir plötzlich über 50", sagt ein Sprecher. Am Donnerstagnachmittag dann die Meldung: Der Wert in Kulmbach liegt schon wieder knapp über 50. "Es bleibt nichts, als an die Vernunft der Bevölkerung zu appellieren."

Das tun sie auch in Augsburg, wo Oberbürgermeisterin Weber und ihr Stab ernüchternde Statistiken zur Hand haben. Es gibt so viele Todesfälle wie noch nie seit Beginn der Pandemie, es sind so viele Patienten in stationärer Behandlung wie noch nie. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt laut städtischem Gesundheitsamt bei 338, knapp 2000 Augsburger sind derzeit infiziert. Am Samstag vor anderthalb Wochen verzeichnete die Verwaltung 250 neue Covid-19-Fälle. "Während der gesamten ersten Welle hatten wir 300 Infizierte", sagt Thomas Wibmer, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamtes. Und dennoch deute sich eine Wirkung des Lockdowns an.

Richtig erwischt hat die zweite Welle die Stadt vom 9. Oktober an, die Fallzahlen vergrößerten sich plötzlich um den Faktor 2,7 wöchentlich. Inzwischen habe man wieder ein Plateau erreicht, die Neuinfektionen steigen zumindest nicht mehr an. "Wir können also hoffen, dass die Inzidenz fallen wird", sagt Wibmer. Die Lage sei aber wegen des "diffusen Infektionsgeschehens" schwer einzuschätzen. "Es gibt keine bestimmten Cluster, es betrifft die gesamte Bevölkerung." Das ist auch am Alter der Infizierten zu erkennen: Zwischen 14 und 60 Jahren sind die Augsburger am stärksten betroffen, am meisten Corona-Erkrankungen haben die 21-Jährigen. Das Gesundheitsamt in Augsburg geht deshalb davon aus, dass vor allem das Freizeitverhalten der Bevölkerung Auswirkungen auf die Ansteckungsgefahr hat.

Ein diffuses Infektionsgeschehen beobachten Mediziner auch in Traunstein und Freyung. Im deutschlandweit am stärksten betroffenen Landkreis Traunstein schickt Landrat Siegfried Walch von Montag alle Schüler außer aus Grundschulen, Übertritts- und Abschlussklassen ins Home-Schooling. Es gebe zwar "kein überproportional starkes Ausbruchsgeschehen in Schulen", sagt Wahl. "Aber es ist wichtig, auch hier Kontakte zu meiden." Der Landrat vermutet, dass der Ausbruch auf stark betroffene Nachbargebiete wie Salzburg und Berchtesgadener Land zurückgeht.

"Es ist ein ganz diffuses Auftauchen von immer neuen Infektionen, die keinerlei Veranstaltungen zuzuordnen sind", sagt Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich. Der niederbayerische Kreis Freyung-Grafenau hat eine Sieben-Tage-Inzidenz von 321. Es gebe schlicht keinen Anlass, auf den sich das Infektionsgeschehen beziehen lasse, sagt Heinrich. "Das macht es besonders beunruhigend."

Zu den Thesen, die in der Bevölkerung kursieren, gehört jene, dass womöglich Pendler aus Tschechien und Oberösterreich ihren Anteil an den vielen Infektionen haben könnten. Dort seien die Inzidenzwerte extrem hoch. "Die Vermutung liegt natürlich nahe, aber wir haben keine Daten, die das belegen", sagt Bürgermeister Heinrich und betont: "Diese Pendler sind für die Unternehmen im Landkreis von immenser Bedeutung, weil wir sonst die Arbeitsplätze gar nicht mehr besetzen könnten." Auch die Stadtverwaltung blieb trotz FFP2-Masken von Infektionsfällen nicht verschont - nun hat es den Bauhof getroffen. Ein Mitarbeiter habe vier Kontaktpersonen genannt. "Wenn jetzt starker Schneefall wäre, hätten wir ein riesiges Problem", sagt Heinrich.

© SZ vom 13.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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