Tief im Gebirge geht es voran, und wenn es nicht weitere kaufmännische oder juristische Probleme auftauchen, könnte der Brennerbasistunnel zwischen Innsbruck und Franzensfeste bis 2032 fertig werden. Mit neuen Zulaufgleisen aus Norden zu dem europäischen Mega-Projekt ist aber frühestens 2040 zu rechnen. Die Planer der Deutschen Bahn haben sich erst vor einigen Wochen auf letzte Details jener Trasse festgelegt, die von München aus um Rosenheim und weiter durchs Inntal Richtung Tirol führen soll. Doch der Bund Naturschutz und rund 20 einzelne Bürgerinitiativen (BI) halten diese Neubautrasse seit jeher für unnötig. Wie sie sich den Brenner-Nordzulauf stattdessen vorstellen, haben sie am Dienstag in Rosenheim erläutert.
Schneller, billiger und nachhaltiger gehe das alles, jeweils im Vergleich zur Planung der Bahn. Das versichert Lothar Thaler als Vorsitzender der Bürgerinitiative Brennerdialog Rosenheimer Land, zu der sich die lokalen BIs zusammengeschlossen haben. In einer Hinsicht sind sich die Kritiker sogar einig mit der DB: Sollte der Brennerbasistunnel wirklich 2032 in Betrieb gehen, werden auf deutscher Seite die beiden bestehenden Gleise durchs Inntal erst einmal ausreichen. Auf längere Sicht halten Bund und Bahn jedoch eine ganz neue Trasse für nötig, die wegen des hohen Tunnelanteils zuletzt auf rund zehn Milliarden Euro geschätzt wurde - ungefähr so viel wie der ganze Basistunnel. Aus Sicht der BI würden eine kurze Bypass-Röhre durchs Rosenheimer Stadtgebiet für den Güterverkehr und der Ausbau zweier anderer Bahnlinien genügen.
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So konkret wie 2019, als sie sich vom Verkehrsplaner Martin Vieregg eine alternative Studie zu den Plänen der Bahn hatte anfertigen lassen, wird die BI dieses Mal allerdings nicht. Vieregg hatte unter anderem aufwendigste Umbauten am Bahnhof Rosenheim vorgeschlagen. Davon will aber neben der Bahn auch die Stadt nichts wissen, die gerade große Flächen am Bahnhof neu bebauen lässt. An Viereggs Annahme, dass eine mit neuester Signaltechnik aufgerüstete Inntal-Trasse auch auf lange Sicht genügend Züge aufnehmen kann und trotzdem noch Kapazitäten für mehr Regionalzüge blieben, hält sie allerdings fest.
Denn der Güterverkehr in Ost-West-Richtung zwischen München und Salzburg soll demnach nicht via Rosenheim, sondern vor allem über die weiter nördlich laufende Bahnlinie München-Mühldorf-Freilassing rollen. Der lange geplante Ausbau dieser Strecke ist inzwischen im Gang, auch wenn die Bahn ihren Zeitplan, sie bis 203o komplett zweigleisig zu machen und zu elektrifizieren, wegen einiger politischer Widrigkeiten wieder einkassiert hat.
Mit weniger Ost-West-Verkehr wäre aus Sicht der BI im Knoten Rosenheim und auch auf den Gleisen weiter Richtung München jedenfalls mehr Luft für einen wachsenden Brenner-Verkehr - wobei die BI eine tatsächliche Zunahme keineswegs für sicher hält. Momentan filmt ihre Videokamera bei Brannenburg jedenfalls vergleichsweise wenige Züge pro Tag - sehr viel weniger als auf der Strecke schon jetzt problemlos fahren könnten.
Sollten es wieder mehr werden, weil der Handel Fahrt aufnimmt oder weil politische Regelungen Teile des überbordenden Lastwagenverkehrs irgendwann auf die Schiene zwingen, könne ein fünf Kilometer langer reiner Güterzugtunnel unter Rosenheim hindurch weitere Kapazitäten schaffen. Und falls auch das irgendwann nicht mehr reichen sollte, schlägt die BI vor, die bisher eingleisige Bahnstrecke von Rosenheim über Mühldorf und nach Landshut abschnittsweise mit Überholgleisen zu versehen, um so mehr Güterverkehr Richtung Norden zu bringen - eine Idee, mit der die Bahn selbst auch lang gespielt hat, die aber ausdrücklich nicht Teil ihres aktuellen Planungsauftrags ist.
Man wehrt sich gegen ein "Monsterprojekt"
Von der Bahn fühlen sich die Kritiker aber nicht ernst genommen - auch nicht in jenen "Dialogforen", in denen seit Jahren Anregungen aus der Region gesammelt werden. Aber auch die Bundes- und Landespolitik seien "beängstigend unwissend", sagt BI-Vorsitzender Thaler und weist darauf hin, dass da eine Hochleistungsstrecke für Tempo 230 geplant und mit dem viel langsameren Güterverkehr gerechtfertigt werde. An die zuletzt genannten zehn Milliarden Euro für die Neubau-Trasse glaubt in der BI ohnehin niemand - und auch nicht daran, dass solchen oder noch viel höheren Summen dann ein noch größerer volkswirtschaftlicher Nutzen gegenübersteht, was die gesetzliche Voraussetzung dafür ist, dass so ein Vorhaben auch gebaut werden darf.
"Wir sind dafür, dass die Güter auf die Schiene kommen", betont Thaler, aber im Gegensatz zur Planung der DB schone das eigene, abgestufte Konzept nicht nur die Landschaft, die Umwelt und das Eigentum von Anwohnern im Raum Rosenheim, sondern auch den Bundeshaushalt und damit den Geldbeutel der Steuerzahler. Man dürfe da "nicht ein Monsterprojekt in die Landschaft schlagen und dann hoffen, dass es auch genutzt wird", ergänzt der Vorsitzende des Bundes Naturschutz in Rosenheim, Rainer Auer.
Ihre Ideen, die ausdrücklich keine Planung sein sollen, will die BI nun als Alternative zu den DB-Plänen ins weitere Verfahren einspeisen. Im nächsten Jahr sollen diese Pläne und die vielfach davon abweichenden Kernforderungen der betroffenen Kommunen vom Eisenbahnbundesamt bewertet und dann über das Verkehrsministerium an den Bundestag herangetragen werden. Der muss wohl 2025 entscheiden, ob er an dem Großprojekt festhalten will.