Am Ende der Grundsatzdebatte über Deutschlands derzeit größtes Straßenbahnprojekt, die Stadt-Umland-Bahn (StUB) von Nürnberg über Erlangen nach Herzogenaurach, wurde es im Erlanger Stadtrat am Donnerstagabend sogar kurz lustig. Offenbar erregt über eine Sottise auf seine Kosten ergriff der CSU-Fraktionschef Christian Lehrmann das Wort. Es dränge ihn zu einer zusätzlichen Einlassung, "warum wir die StUB abreißen", sagte er.
Großes Gelächter im Saal. Warum? Nun, abreißen kann die CSU die Tram zwischen drei maßgeblichen Städten der Metropolregion Nürnberg nicht. Zwar steht diese Bahn seit Jahrzehnten zur Debatte, zwar wird sie in Erlangen seit einem klar positiv ausgefallenen Bürgerentscheid 2016 mit Millionenaufwand geplant, zwar ist die Stadt Nürnberg mit dem Ausbau des Streckenteils zu ihrer nördlichen Tram-Endhaltestelle "Wegfeld" längst fertig. Aus Nürnberger Sicht könnte es also allmählich mal losgehen.
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In Erlangen - bislang eine Großstadt ohne Tram - ist mit dem Bau aber noch gar nicht begonnen worden. Abreißen kann die CSU folglich nur die Langzeitpläne der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die seit jeher eine Vernetzung ihrer Fakultäten an Standort 1 (Erlangen) und Standort 2 (Nürnberg) ersehnt; sowie die Großpläne eines Weltkonzerns, der den Bau eines neuen, mehrere Hundert Millionen Euro teuren Firmenquartiers an die Bedingung geknüpft hatte, dass die Stadt-Umland-Bahn gebaut wird. Die Rede ist von Siemens, dessen "Campus" im Erlanger Stadtsüden ebenfalls weithin fertig ist - ganz im Gegensatz eben zu jener Tram, die Pendlerinnen und Pendler aus Nürnberg und Herzogenaurach in die Firma bringen soll.
Abreißen kann die CSU folglich nur gedanklich, Lehrmann korrigierte in "ablehnen", im Ratssaal tuschelte einer: "Freudscher Versprecher". Wobei man in dem Zusammenhang ganz exakt sein sollte: Die CSU als solche will die StUB weder in Gedanken abreißen, noch lehnt sie diese ab. Der bayerische Innenminister, Ex-Siemensianer und Erlanger CSU-Bezirkschef Joachim Herrmann kämpft sogar seit Jahren aktiv für das Projekt und ist einer der Unterstützer der Initiative "Wir pro StUB". Und auch in der Nürnberger CSU verdrehen sie nur noch die Augen über ihre Kollegen aus Erlangen. Das Tramnetz in Nürnberg wurde kürzlich erst massiv erweitert, Oberbürgermeister Marcus König (CSU) gilt nicht nur als Anhänger eines schienengebundenen Verkehrssystems, er war bereits Vorsitzender des Tram-Zweckverbands der drei beteiligten Städte. Gegen die Tram kämpft folglich nicht die CSU - sondern sehr speziell die Erlanger CSU.
Erlangen muss in den kommenden Jahren schätzungsweise 82 Millionen Euro zahlen
Lehrmann hat das im Stadtrat so begründet: Der Nutzen rechtfertige nicht den Aufwand, das Projekt sei nicht "alternativlos", die StUB vor allem eine "Pendlerbahn". Zwar wisse die (Erlanger) CSU um die Bedürfnisse von Siemens und Uni, deren "Interesse" an der Drei-Städte-Tram sei auch nachvollziehbar. Diese aber hätten auch weder "Aufwand" noch "Risiko", weil die Tram sie kein Geld koste. Die Stadt Erlangen wiederum wird, nach heutiger Schätzung, auf mehrere Jahre verteilt 82 Millionen Euro für Planung und Bau der Tram investieren müssen.
Ähnlich argumentieren in Erlangen Freie Wählergemeinschaft, FDP und die AfD, auch sie sprechen sich gegen die Tram aus. Während also außerhalb Erlangens viele den positiven Ausgang des Bürgerentscheids im Juni für eine ausgemachte Sache halten dürften - die Tram soll zum größten Teil von Bund und Land finanziert werden, mehr als 500 Millionen Euro würden in den Norden Bayerns fließen -, sieht das im Erlanger Ratssaal ganz anders aus.
Dort sprechen sich bei der Debatte nur SPD, Grüne und die "Klimaliste" vorbehaltlos für die StUB aus. ÖDP und Linke hätten den kommenden Bürgerentscheid gerne gesplittet: in eine Abstimmung darüber, ob die Verbindung Nürnberg-Erlangen gebaut wird; und eine darüber, ob die Tram auch Herzogenaurach anbindet. Letzteres gilt, einer Brücke über die Regnitz wegen, als der umstrittenere Teil.
So eine Aufsplittung wurde mehrheitlich abgelehnt. Sie wäre schon deshalb höchst fragwürdig, erläuterte Oberbürgermeister Florian Janik (SPD), weil beim Bürgerentscheid 2016 dezidiert über eine Drei-Städte-Tram abgestimmt worden war und alle drei Kommunen - Nürnberg, Erlangen und Herzogenaurach, Sitz der Weltkonzerne Adidas, Puma und Schaeffler - diesen Bürgerwillen seither per Zweckverband umsetzen und die Planung gemeinsam finanzieren. Einziger Konsens einer denkwürdigen Stadtratsdebatte blieb in Erlangen: Ob die Tram gebaut wird oder nicht, das entscheiden am 9. Juni, dem Tag der Europawahl, die Erlangerinnen und Erlanger.