Studie über Asylbewerber:"Das Wertebild vieler Flüchtlinge ähnelt dem von AfD-Anhängern"

Brandenburg rechnet dieses Jahr mit 19 000 Flüchtlingen

Flüchtlinge am Bahnhof in Schönefeld in Brandenburg (Archiv von 2015):

(Foto: dpa)

Demokratie ist toll, autoritäre Führer sind besser: Laut einer Studie haben viele Flüchtlinge rechtspopulistische Einstellungen. Studienleiter Freytag erklärt, warum.

Interview von Lars Langenau

Ronald Freytag, 56, ist Professor für Wirtschafts- und Medienpsychologie an der Berliner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft HMKW. Er verantwortet die Anfang der Woche vorgestellte Studie "Flüchtlinge 2016", für die im Juni und Juli rund 1000 Fragebögen an Personen über 16 Jahre in Berliner Flüchtlingsunterkünften verteilt wurden. 445 Fragebögen kamen zurück und wurden ausgewertet, die Studie ist also nicht repräsentativ. 48 Prozent der Teilnehmer waren Syrer, 29 Prozent Afghanen, zehn Prozent Iraker, acht Prozent Iraner, der Rest verteilt sich auf andere Nationalitäten.

Die zentralen Aussagen sind, dass sich eine Mehrheit der Flüchtlinge zur Demokratie und zu einer klaren Trennung von Staat und Religion bekennt. Allerdings offenbarten viele Flüchtlinge jedoch "erhebliche politische Verständnisdefizite". Laut der Studie sind die meisten der befragten Flüchtlinge aber bereit, Deutschland als neue Heimat anzunehmen und dafür in Sprache und Bildung zu investieren. Für 92 Prozent sei das Lernen von Deutsch sehr wichtig und vordringlich, 70 Prozent wollen für immer hier bleiben.

SZ: Herr Freytag, welche Ergebnisse Ihrer Studie sind für Sie besonders überraschend?

Roland Freytag: Dass eine besorgniserregende Zahl von Flüchtlingen rechtspopulistischen Aussagen vorbehaltlos zustimmt. Aussagen, denen zufolge die beste politische Staatsform die sei, in der ein starker Führer zum Wohle aller regiert. Dass das Wichtigste in einer Gesellschaft die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sei, notfalls mit Gewalt. Dem stimmten jeweils 64 Prozent der Befragten zu. Hier ähnelt das Wertebild der Flüchtlinge in zentralen politischen Teilen am ehesten dem der AfD-Anhänger oder der Pegida-Bewegungen. Solche Aussagen finden laut Umfragen regelmäßig bei etwa 20 Prozent der Deutschen Zustimmung, unter Flüchtlingen sind es aber 64 Prozent.

Menschen, die aus autoritären Staaten geflohen sind, neigen zu autoritären Einstellungen?

Syrien nennt sich ja auch eine Republik. Und Assad würde sich sicher selbst als Demokraten bezeichnen. So etwas wie Gewaltenteilung und die Freiheit des Individuums ist Flüchtlingen aber in der Regel nicht geläufig. Ihr Bekenntnis zu Demokratie und Meinungsfreiheit ist authentisch, aber in der praktischen Umsetzung haben sie dann doch starke Vorbehalte.

Wie erklären Sie sich das?

Die Vorstellung von Demokratie wirkt bei vielen Flüchtlingen unreif. Aber schauen Sie, wie lange die Deutschen dafür gebraucht haben, zu akzeptieren, was Demokratie wirklich bedeutet. Die von uns befragten Flüchtlinge sagen gleichzeitig, dass Demokratie die beste Staatsform ist, die es gibt. 84 Prozent sprachen sich für Meinungsfreiheit aus. Wenn wir dann allerdings mit der nächsten Frage nachhaken, ob Künstler Politiker kritisieren oder sich sogar über diese lustig machen dürfen, dann geht das vielen zu weit. Das befürworteten nur 38 Prozent.

Marschieren demnächst also viele Flüchtlinge bei Pegida mit?

Naja, es gibt immerhin auch viele Unterschiede, zum Beispiel in Bezug auf die Fremdenfeindlichkeit. Flüchtlinge sind nicht fremdenfeindlich, als Psychologe würde ich sagen: vielleicht noch nicht. Das kann sich ändern, wenn sie etabliert sind. Noch ein bedeutender Unterschied zu den Rechten und Rechtspopulisten: Sehr viele Flüchtlinge sind bildungshungrig.

Sind da nicht Konflikte programmiert, wenn sich eher linksliberale und christlich orientierte Deutsche um eher konservative Flüchtlinge kümmern?

Langfristig könnte das ein Problem sein, ja. Das Bild, das die Flüchtlinge von uns haben ist sehr positiv und sie empfinden uns Deutsche als freundlich. Aus einer anderen Studie weiß ich, dass sie besonders von freundlichen deutschen Polizisten überrascht sind, weil sie das so überhaupt nicht kennen. Viele wissen aber noch nicht, wie wir Deutschen wirklich leben und welche Werte wir leben.

Sie haben 445 Fragebögen ausgewertet. Wie valide ist die Datenbasis Ihrer Studie?

Die Datenbasis ist valide, wenn auch nicht so repräsentativ, wie man das von deutschen Umfragen kennt. Wenn wir eine Umfrage unter der deutschen Bevölkerung machen, dann haben wir sehr genaue Zahlen über die Gesamtheit, die uns bei Flüchtlingen einfach fehlt. Daher ist echte Repräsentativität bei einer Studie unter Flüchtlingen derzeit wirklich schwer zu erreichen.

Manche Ansichten erinnern stark an die muffigen 50er Jahre

Sie haben auch nach sozialen Beziehungen gefragt. Was kam dabei heraus?

Wir haben gefragt, welche Nachbarn sie sich wünschen würden und herausbekommen, dass hier die Einstellungen stark von dem in Deutschland vorherrschenden Meinungsbild abweichen. In anti-liberalen Einstellungen zu Sexualität, Homosexualität, Ehe und Partnerschaft, ja selbst zu Wohn- oder Lebensformen wie einer WG zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Flüchtlingen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Manche Ansichten, wie etwa die Verurteilung einer 'wilden Ehe', erinnern stark an die muffigen 50er Jahre in Deutschland.

Können Sie ein noch paar Beispiele nennen?

Fangen wir positiv an: 64 Prozent haben etwa nichts gegen eine deutsche kinderreiche Familie als Nachbarn einzuwenden, eine Situation, bei der der deutsche Spießbürger an dreckige Schuhe im Hausflur und Krach denkt. Neben einer deutschen Familie mit vielen Kindern zu leben, scheint die Idealvorstellung für viele der Flüchtlinge zu sein. 41 Prozent würden sich auch eine afrikanische Familie als Nachbarn wünschen; ganze 4 Prozent berichten, dass sie das lieber nicht möchten. Aber wenn wir nach einem deutschen unverheirateten Paar oder einer gemischtgeschlechtlichen WG fragen, dann zeigten sich plötzlich deutliche Zurückhaltung. Obwohl sie ja den Kontakt zu Deutschen wünschen, finden sie das doch etwas komisch. Auch eine jüdische Familie aus Israel würden nur 26 Prozent befürworten, 14 Prozent sind dagegen, aber 60 Prozent ist es einfach völlig egal.

Wie sieht es mit der Sexualmoral aus?

Im Vergleich zur liberalen deutschen Mehrheitsgesellschaft wirken viele Flüchtlinge recht intolerant und prüde. Für etwa die Hälfte der Befragten ist Sex vor der Ehe eine Sünde und soll bestraft werden. Diese Leute wollen dann auch nicht neben einem unverheirateten Paar leben. Und 43 Prozent aller Befragten lehnten ein schwules Paar als Wohnungsnachbarn ab.

Aber Sie haben eher säkular orientierte Flüchtlinge erlebt?

Absolut. Die Mehrheit der Befragten (87 Prozent) spricht sich für Religion als Privatsache aus. Nur drei Prozent sind gegen die Trennung von Staat und Religion. Alkoholkonsum (65 Prozent), die Heirat zwischen Christen und Muslimen (60 Prozent) und ein Religionswechsel (52 Prozent) werden von der Mehrheit nicht als Problem angesehen. Auch bei der Gleichberechtigung der Geschlechter gab es bei Männern (77 Prozent) und Frauen (81 Prozent) hohe Zustimmungsraten.

Was für Schlussfolgerungen ziehen Sie aus der Studie?

Wir müssen den Vertrauensvorschuss der Flüchtlinge nutzen und Ihnen klar machen, dass wir zum Teil andere Werte haben. Wir müssen Ihnen klarmachen, dass wir Liberalität leben und das Individuum gegen den Staat geschützt wird. Auch wenn wir das eigentlich nicht toll finden, darf man hier mit einer Burka rumlaufen. Aber wir müssen ihnen sagen, dass wir die Toleranz, die wir ihnen gegenüber aufbringen auch von ihnen uns gegenüber erwarten. Außerdem wünschen sie sich mehr Kontakt zu Deutschen, und das sollten wir unterstützen. Abschottungstendenzen konnten wir unter den Flüchtlingen nicht erkennen, und das kann vorsichtig optimistisch stimmen.

Hatten diese Menschen jemals ein Grundgesetz in der Hand?

Das haben wir nicht gefragt, aber davon würde ich nicht ausgehen. Die haben ganz andere Probleme und bekommen auch nicht mit, wenn AfD-Chefin Frauke Petry alle abgelehnten Asylbewerber auf eine außereuropäische Insel verfrachten will. Die wissen wohl, dass die AfD ihnen nicht wohl gesonnen ist, dass es Unterschiede zwischen Ost und West gibt, aber zehn Prozent glauben auch, dass die SPD gegen Flüchtlinge ist. Keine Ahnung, woher die das haben.

Und die CDU?

Die bekommt den Merkel-Bonus ab, denn Angela Merkel ist immer noch die Heldin. Alle anderen Parteien gehen neben ihr unter.

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