Wahlchancen:Den Wählern ist das Auftreten der AfD egal

AfD - Frauke Petry und Jörg Meuthen

Zwei der Protagonisten im innerparteilichen Dauerstreit: Frauke Petry und Jörg Meuthen, Sprecher des Bundesvorstands der Partei Alternative für Deutschland (AfD).

(Foto: dpa)
  • In Mecklenburg-Vorpommern könnte die AfD bei der Landtagswahl am 4. September ein Ergebnis von mehr als 20 Prozent schaffen.
  • Auch in Berlin, wo zwei Wochen später gewählt wird, stehen die Rechtspopulisten in Umfragen bei 14 Prozent.
  • Die etablierten Parteien wirken eher ratlos angesichts der Offensive der AfD.

Von Peter Burghardt und Jens Schneider

Sie trafen sich in Kassel, weit weg von Schwerin und Berlin, wo in diesen Tagen die entscheidenden Wochen vor den Landtagswahlen im Frühherbst beginnen. Das Meeting der rund fünfzig AfD-Funktionäre sollte keine Wahlkampfveranstaltung sein. Der Parteikonvent fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und dürfte dennoch für die Rechtspopulisten der wichtigste Termin in diesem Sommerwahlkampf gewesen sein. Mit einer klaren Mehrheit entschied dieser kleine Parteitag sich gegen die Einberufung eines Sonderparteitags, auf dem der Streit zwischen den beiden Parteichefs Frauke Petry und Jörg Meuthen hätte entschieden werden sollen. Die zwei Vorsitzenden wollen sich zusammenraufen.

Das ist von großer Bedeutung: Vor den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin im September sieht es aus, als könnte die AfD sich, wenn überhaupt, nur selbst schlagen - durch neue Querelen ihrer Spitzen.

Fast 25 Prozent der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern könnten rechts wählen

Doch nicht einmal das ist sicher. Selbst als Anfang Juli der Streit zwischen Meuthen und Petry eskalierte, schlug sich das kaum in den Umfragen nieder. Auch dass die AfD selten mit politischen Aussagen wahrgenommen wird, scheint ihr kaum zu schaden. Umfragen zufolge geht es ihren Wählern vor allem darum, mit ihrer Wahl Zeichen des Protests gegen die Etablierten zu setzen. Programm und Performance der AfD spielen eine untergeordnete Rolle.

Nach dem Burgfrieden von Kassel träumen die Rechtspopulisten nun von weiteren Rekordergebnissen, vor allem im Nordosten. Wäre bereits im Frühjahr in Mecklenburg-Vorpommern gewählt worden, wäre die AfD wohl stärkste Partei im Landtag zu Schwerin geworden. Das kann auch am 4. September noch passieren, obwohl sich die regierende SPD zuletzt leicht erholte und vorn liegt: Laut Umfragen vom August bekommt die AfD 19 Prozent - genauso viel wie die Linke und nur etwas weniger als SPD (24 Prozent) und CDU (23 Prozent), was die beiden Regierungsparteien entsprechend erschreckt.

Noch führt auch in diesem spärlich besiedelten Bundesland eine große Koalition das Kommando, geleitet vom SPD-Ministerpräsidenten Erwin Sellering. Nun wird die AfD dort also voraussichtlich ins neunte Landesparlament einziehen und könnte sogar führende Oppositionspartei werden - das verändert die Machtverhältnisse erheblich.

Unklar ist, ob es die rechtsextreme NPD (mutmaßlich vier Prozent) noch einmal ins Schweriner Schloss schafft, ohnehin läuft ein Verbotsantrag am Bundesverfassungsgericht. Jedenfalls: Zählt man beide Wahlaussichten zusammen, dann wird möglicherweise fast jeder vierte Wähler in Mecklenburg-Vorpommern bei einer rechten Gruppierung sein Kreuz machen.

Eigene Direktkandidaten hat die NPD nicht einmal aufgestellt, was einigen aussichtsreichen Bewerbern der AfD entgegenkommt. "Da gibt es ja einige ordentliche Leute", lobte der stellvertretende NPD-Landeschef David Petereit. Zwar versucht die AfD immer wieder, den Eindruck zu erwecken, als sei sie von der NPD meilenweit entfernt. Manche Parolen auf den zahlreichen Wahlplakaten beider Parteien, die auf Rügen oder in Stralsunds flachem Hinterland unter Laternen hängen, sind sich jedoch recht ähnlich. Ein Spruch der AfD: "Asylchaos stoppen!"

Ihr Spitzenmann in Mecklenburg-Vorpommern heißt Leif-Erik Holm, war für die rechtslastige Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch tätig und spricht als vormaliger Radiomoderator gerne. Holm, 46, sieht sich offenbar als ein Wiederkehrer der Wendebewegung. Mit schwarz-rot-goldenen Fahnen habe er zuletzt am 2. Oktober 1990 auf dem Marktplatz in Schwerin gestanden, rief er kürzlich bei einem Wahlkampfauftritt. "Da waren vor allem wir als junge Leute sehr, sehr froh, dass wir jetzt plötzlich die Freiheit hatten." Mittlerweile sei diese Freiheit in Gefahr, deshalb solle man unbedingt AfD wählen.

Frust und Apathie in der Provinz

Diese Beschwörung der Vergangenheit scheint all jenen zu gelten, denen die gegenwärtige Politik aus welchen Gründen auch immer missfällt. Frust und Apathie sind besonders in den Plattenbauten und der Provinz weitverbreitet, zumal der Staat mancherorts kräftig spart. Holm und seine Mitstreiter geben da am liebsten die Außenseiter und nennen die etablierten Parteien "Altparteien" oder "Einheitsparteien". Dagegen setzen sie "die Kraft der Bürger", "das Volk", "unsere Heimat Mecklenburg-Vorpommern", "unser Vaterland Deutschland". Und "mehr direkte Demokratie", wie in der Schweiz.

Die AfD verlangt ein Ende der Russland-Sanktionen, die Mecklenburg-Vorpommerns Landwirten schwer zu schaffen machen. Die Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk will sie abschaffen. Die kritische Journalistin Andrea Röpke wurde im Februar des Saales verwiesen, als sie über die AfD-Mitgliederversammlung berichten wollte.

Forderungen wie die nach kostenlosen Kitas und verlängertem Elterngeld könnten vermutlich viele Wähler unterschreiben. Allerdings verbindet die AfD ihr Thema Familie und Kinder schnell mit dem Thema Flüchtlinge, obwohl die Zahl der Ausländer gerade in dieser Gegend eher überschaubar ist. "Wir werden es nicht schaffen, wir wollen Sicherheit", verkündete Holm. "Merkel muss weg!" Es sei "Merkels Traumtänzerei, die ganze Welt in Deutschland retten zu wollen".

Die AfD inhaltlich stellen, ohne dass sich alles um sie drehen soll

Der Kanzlerin ist Mecklenburg-Vorpommern auch deshalb wichtig, weil sie dort ihren Bundestagswahlkreis hat, ihre politische Basis. Es gehe nicht nur um Mecklenburg-Vorpommern, so Holm dramatisch, es gehe "um die ganze Republik". Die etablierten Rivalen wirken angesichts der AfD-Offensive und Prognosen etwas ratlos. Zumal Lorenz Caffier noch CDU-Innenminister und engster Mitstreiter von SPD-Regierungschef Sellering ist, aber gegen ihn ins Rennen geht und ihn ablösen will. Als Verfasser des Sicherheitspapiers der Unionsinnenminister mit Burka-Verbot und Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gab er gerade den Hardliner.

Zwei Wochen später wird in der Bundeshauptstadt gewählt. Die Berliner AfD um den Spitzenkandidaten und früheren Bundeswehroffizier Georg Pazderski erhofft sich einen Schub durch ein starkes Wahlergebnis der Partei im Nordosten - die AfD könnte in der heißen Wahlkampfphase alle anderen Themen verdrängen.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat angekündigt, die AfD inhaltlich zu stellen, ohne dass sich alles um sie drehen soll. Er hofft auf eine Gegenreaktion. Falls es zu einem Rekordergebnis der AfD in Schwerin kommt, könnten die Berliner zeigen, dass die Hauptstadt anders tickt. Zu Beginn des Wahlkampfs gab Müller das Ziel aus, die AfD unter fünf Prozent zu halten - derzeit liegt sie bei 14 Prozent.

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