Psychologie:Gleich wird es schlimm!

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Als junger Kommissar Horst Schimanksi benutzte der 2016 gestorbene Schauspieler Götz George Worte, vor denen der Zuschauer heute gewarnt wird. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Triggerwarnungen sollen sensible Menschen vor belastenden Inhalten schützen. Wie es aussieht, sind sie aber wirkungslos und teils kontraproduktiv.

Von Sebastian Herrmann

Der Schimanski, Horst entspricht eher nicht dem Bild, das heute von einem idealen modernen Mann gezeichnet wird. Der einst von Götz George verkörperte "Tatort"-Kommissar aus Duisburg prügelte sich. Er fluchte, stopfte Currywurst mit Pommes in sich (das Klima!), er soff (sehr ungesund!) und pflegte eine Affäre nach der anderen (toxisch!). Und ein Wort sagte, schrie und brüllte Schimanski damals in den 1980ern so oft, dass sich die Bild einmal zur Inventur bemüßigt fühlte. Das Wort lautet, Achtung verehrte Leser, es folgt nun ein Begriff, der verstörend wirken könnte: "Scheiße!" Gerade also erfährt die Figur Horst Schimanski einen Beachtungsschub, weil in der ARD-Mediathek vor den alten Folgen ein Warnhinweis auftaucht.

Seit einiger Zeit ist dort zu lesen: "Das folgende fiktionale Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung." Aktuell gibt es Wirbel darum, da auch alte "Schmidteinander"-Folgen mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein sowie gut abgehangene Otto-Waalkes-Scherze auf gleiche Weise anmoderiert werden. Im weiteren Sinne handelt es sich dabei um sogenannte Triggerwarnungen, die seit einiger Zeit oft Literatur, Filmen, Theaterstücken und anderen Inhalten vorangestellt werden, vor denen vulnerable Menschen vermeintlich geschützt werden müssen, darunter zum Beispiel auch Werke vom alten Shakespeare.

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Jetzt taucht da aber ein Problem auf: Diese Warnungen wirken nicht so, wie sie sollten. Vielmehr sind sie im besten Fall wirkungslos, im schlimmsten kontraproduktiv. Gerade haben Psychologen um Victoria Bridgland im Fachjournal Clinical Psychological Science die Studienlage dazu zusammengefasst und ausgewertet. Demnach lindert es die emotionale Reaktion auf (echte oder nur vermeintlich) heikle Inhalte nicht, wenn diesen eine Warnung vorangestellt wird. Im Vorfeld aber lösen diese Anmoderationen eine milde Aufgewühltheit aus: Die Ankündigung, dass gleich etwas Schlimmes komme, wirkt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung - die aber wieder verpufft, sobald das angebliche Schreckensmaterial begutachtet werden kann. Die Warnungen seien also nicht geeignet, emotionale Belastungen abzufedern, schreiben die Psychologen.

Die Studienlage lege zudem nahe, so die Forscher, dass Triggerwarnungen die Attraktivität von Inhalten eher steigern. Haben Probanden die Wahl zwischen Material mit oder ohne Warnung, dann entscheiden sie sich bevorzugt für als fragwürdig oder gefährlich abgestempelte Inhalte. Dieser sogenannte Pandora-Effekt wirke ausgerechnet auf solche Personen am stärksten, die besonders vulnerabel sind - also auf jene, deren Seelenhaushalt durch die Triggerwarnungen beschützt werden soll.

Im Fall von Schimanski, Schmidteinander und Otto wirken die vorangestellten Warnungen ziemlich sicher so: Sie haben diesen alten Kamellen aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehkeller neue Aufmerksamkeit verschafft. Vermutlich aber müssen die Warnungen aus der ARD-Mediathek sowieso als eine Art Haftungsausschluss gelesen werden. So sichern sich die Sender vorauseilend ab, falls ein Online-Mob die virtuellen Mistgabeln auspackt.

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