Archäologie:Wie die Menschen die Seefahrt erfanden

Lesezeit: 3 min

Forscher graben auf dem Grund des Lago di Bracciano ein prähistorisches Kanu aus. (Foto: Gibaja Et Al./2024, Plos One, C/dpa)

Prähistorische Kanus zeigen: Die Menschen der Steinzeit waren bereits technisch versierte Bootsbauer. Segelten sie mit ihren Einbäumen sogar über das Mittelmeer?

Von Jakob Wetzel

Die Menschen in der Jungsteinzeit waren offensichtlich geübte Seefahrer: Das lassen zumindest die abgenutzten Überreste von fünf mehr als 7000 Jahre alten Kanus erahnen, die auf dem Grund des Lago di Bracciano unweit der italienischen Hauptstadt Rom gefunden worden sind. Ein Forscherteam um den Archäologen Juan Francisco Gibaja vom Spanischen Nationalen Forschungsrat hat die prähistorischen Boote nun eingehender untersucht. Wie es im Fachjournal Plos One berichtet, befuhren die Menschen demnach schon im Neolithikum in technisch hoch entwickelten Booten das Mittelmeer. Die alten Schiffsbauer wählten vier verschiedene Hölzer für ihre Kanus und bearbeiteten sie offenbar je nach Arbeitsschritt mit eigenen Werkzeugen. Viele wichtige Fortschritte in der Seefahrt seien offensichtlich bereits in der frühen Jungsteinzeit gemacht worden, schreiben die Forscher.

Die fünf Boote sind von 1992 an in der steinzeitlichen Siedlung La Marmotta gefunden worden. Diese befindet sich 300 Meter vor dem heutigen Seeufer in der Nähe der Stadt Anguillara Sabazia und liegt elf Meter unter der Wasseroberfläche, drei Meter tief vergraben in den Sedimenten des Sees. Es handelt sich um Einbäume: Eines der Boote ist aus einer Eiche gefertigt und mehr als zehn Meter lang sowie am Heck gut einen Meter breit. Ein anderes Kanu wurde aus einem ausgehöhlten Erlenstamm hergestellt und diente womöglich als Fischerboot, heißt es. Andere Boote bestehen aus Pappel oder Buche. Die Kanus wurden auf die Zeit um 5700 bis 5100 vor Christus datiert. Vermutlich seien auf dem Grund des Sees noch weitere Boote verborgen.

Archäologie
:Auf dem Baumstamm übers Mittelmeer

Forscher rätseln, wie Menschen vor 1,5 Millionen Jahren von Afrika nach Italien gelangt sind. Boote gab es noch nicht. War Treibholz das Vorbild für eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit?

Von Hubert Filser

Dass die Kanus aus unterschiedlichen Hölzern bestehen, sei ungewöhnlich - schließlich wurden sie alle nahe derselben steinzeitlichen Siedlung gefunden, schreiben die Forscher. Zudem seien sie komplex konstruiert, zum Beispiel mit Querverstärkungen, und wurden offenbar mithilfe von Feuer ausgehöhlt und mit speziellen Hacken und Beilen bearbeitet.

An den Seiten des mehr als zehn Meter langen Kanus entdeckten die Forscher T-förmige Objekte mit zwei bis vier Löchern, an denen einst wohl Seile befestigt werden konnten, womöglich um Segel zu hissen und zu trimmen. Eine solche Konstruktion setze viel Fachverständnis voraus, sodass es offenbar Spezialisten für bestimmte Tätigkeiten gegeben habe, schreiben die Forscher. Solche Boote müssten von einer Gemeinschaft gemeinsam und koordiniert gefertigt worden sein.

Nur für den See seien die Boote viel zu groß, meinen die Wissenschaftler

Die Einbäume seien die ältesten bislang bekannten Boote aus dem Neolithikum im Mittelmeerraum, schreiben die Forscher. Die ältesten erhaltenen Boote sind es allerdings nicht; der älteste erhaltene Einbaum wird auf ein Alter von 8500 Jahren datiert und wurde in einer Torfschicht nahe dem Dorf Pesse in den Niederlanden gefunden. Doch die Boote aus dem Lago di Bracciano sind außergewöhnlich.

Der See habe heute einen Durchmesser von 9,3 Kilometern, sei in der Jungsteinzeit aber kleiner gewesen, schreiben die Forscher um Juan Gibaja - die Siedlung, die heute 300 Meter weit im See liegt, befand sich schließlich damals am Ufer. Für einen derart kleinen See sei ein Boot mit einer Länge von mehr als zehn Metern deutlich überdimensioniert. Zum Vergleich: Der Einbaum von Pesse ist nur knapp drei Meter lang. In La Marmotta wurden zudem Gegenstände aus Steinen und Ton gefunden, die von weither importiert wurden. Es sei deshalb denkbar, dass die Boote nicht nur auf dem See, sondern auch über das Mittelmeer fuhren. Dass die Boote seetüchtig waren, hätten Experimente bereits bewiesen. Der Lago di Bracciano ist über den 38 Kilometer langen Fluss Arrone mit dem Thyrrenischen Meer verbunden.

Die Boote liegen nun im Museo delle Civiltà in Rom. (Foto: Gibaja Et Al./2024, Plos One, C/dpa)

Die Boote von La Marmotta veränderten auch das Bild der Forschung davon, wie die ersten Ackerbauern Europa besiedelten, schreibt das Team um Gibaja. Auf dem Kontinent lebten vor etwa 10 000 Jahren noch Jäger und Sammler; im Nahen Osten aber entstanden erste bäuerliche Gemeinschaften und breiteten sich in Europa und Nordafrika aus. Um etwa 7500 vor Christus besiedelten Gemeinschaften aus jener Region den gesamten Mittelmeerraum. Es sei immer schwer gewesen nachzuvollziehen, wie ihnen dies binnen weniger Jahrhunderte gelingen konnte, schreiben die Forscher. Offensichtlich hätten sie nicht nur den Landweg, sondern auch das Meer genutzt. Mithilfe von Booten hätten sie sich rasch bewegen und schwere Lasten transportieren können. Vermutlich hätten die Menschen vor allem kurze Fahrten entlang der Küste unternommen.

© SZ/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusArchäologie
:Und am Ende sitzen alle in der Küche

Wenig verrät so viel über uns wie das Zuhause. Immer genauer können Archäologen rekonstruieren, wie Menschen einst wohnten. Ein virtueller Besichtigungstermin in den Wohnräumen der Vorzeit.

Von Jakob Wetzel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: