Archäologie:Auf dem Baumstamm übers Mittelmeer

Archäologie: Das Prinzip des Auftriebs scheinen Menschen schon vor 10 000 Jahren begriffen zu haben.

Das Prinzip des Auftriebs scheinen Menschen schon vor 10 000 Jahren begriffen zu haben.

Forscher rätseln, wie Menschen vor 1,5 Millionen Jahren von Afrika nach Italien gelangt sind. Boote gab es noch nicht. War Treibholz das Vorbild für eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit?

Von Hubert Filser

Erstaunlich, aber das Rad wurde erst spät in der Menschheitsgeschichte erfunden. Es entstand vor 5500 Jahren im Schwarzmeerraum und in einem sichelförmigen Gebiet vom heutigen Israel über die Südosttürkei bis zu Iran. Dass es so lange brauchte, ist ungewöhnlich, waren doch die Menschen über weite Distanzen unterwegs und hatten damals schon die gesamte Erde besiedelt. Doch offenbar waren sie als exzellente Dauerläufer (die besten im Tierreich) fast immer zu Fuß unterwegs.

Noch erstaunlicher verlief die Geschichte der Mobilität im Wasser. Schwimmen müssen wir im Gegensatz zu anderen Säugetieren lernen. Große Wasserflächen sind schier unüberwindbare Barrieren. Vielleicht führte dieses Handicap dazu, dass Menschen früh nachdachten, wie sie auf dem Wasser bestehen konnten. Es ist noch ein Rätsel, wie Menschen vor 50 000 Jahren über die Inselwelt des heutigen Indonesien den australischen Kontinent besiedelten.

Unterschätzte Innovationen

Viele Dinge sind so selbstverständlich, dass ihr Einfluss auf unser Leben oft unterschätzt wird. Die SZ-Serie "Die kleinen großen Dinge" beleuchtet wichtige Erfindungen der Menschheitsgeschichte.

Es gibt keine Hinweise auf Boote. Oder wie Frühmenschen vor 1,5 Millionen Jahren von Afrika nach Italien oder Gibraltar gelangt sind. Forscher bringen Treibholz ins Spiel, das Vorbild gewesen sein könnte für eine menschliche Entwicklung: das Floß. Es besteht aus einem Verband von Materialien, und hat Auftrieb, zumindest wenn es sich nicht mit Wasser vollsaugt.

3000 Jahre alte Reliefs aus dem Königspalast von Nimrud

Wann die Menschen das Prinzip des Auftriebs verstanden haben, ist unklar. Formuliert hat es erst der griechische Mathematiker Archimedes. Das Wasser, das ein Körper beim Eintauchen verdrängt, drückt ihn nach oben. Wichtig ist nicht das Gewicht des Körpers, sondern das des von ihm verdrängten Wassers. Daher schwimmt ein luftgefüllter Schiffsrumpf, obwohl er tonnenschwer ist. Tatsächlich scheinen Menschen das Prinzip bereits vor 10 000 Jahren begriffen zu haben. Sie nähten sich im Norden Europas und Nordamerikas aus Tierhäuten aufblasbare Schläuche, mit deren Hilfe sie Flüsse überquerten, um Rentieren zu folgen.

Daraus entwickelten sich mit Fellen bespannte Boote und später die Kajaks der Inuit. Das Prinzip taucht auch in Mesopotamien auf. Es gibt fast 3000 Jahre alte Reliefs aus dem Königspalast von Nimrud, die Schwimmer mit solchen Schläuchen zeigen. Es entstanden auch Flöße aus mehreren Behältern, die auf einen Holzrahmen gebunden wurden, oder Flöße aus Flaschenkürbissen oder Keramikgefäßen.

Ob solche luftgefüllten Konstruktionen den Anfang der Schifffahrt darstellen oder Flöße aus Holz oder Einbäume, lässt sich nicht rekonstruieren, die meisten Materialien sind verrottet. Der älteste bekannte Einbaum stammt aus den heutigen Niederlanden, Archäologen entdeckten die 8500 Jahre alten Überreste in einer Torfschicht nahe dem Dorf Pesse. Ausgerechnet eine Art Urschlauchboot-Floß könnte den Anfang der Seefahrt markieren. Das würde auch unsere Liebe zu Flößen und Luftmatratzen erklären - und unsere Freude, im Sommer wie einst Huckleberry Finn einen Fluss hinabzutreiben.

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