TTIP-Papiere:Wie die US-Verhandler Europas Verbraucherschutz angreifen

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Von Genfood bis Hormonfleisch: Die TTIP-Papiere zeigen, wie sehr Washington versucht, ein wichtiges europäisches Verbraucherschutzprinzip auszuhebeln.

Von Alexander Hagelüken, Silvia Liebrich und Jan Willmroth, Washington/München

Jack Bobo ist auf einer Mission, als er im Frühjahr den fensterlosen Konferenzraum in Washington betritt. Seine Botschaft: Nur Gentechnik löst den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Umwelt. Dafür müssten die Menschen aber erst die Gentechnik akzeptieren. "Der Apfel", glaubt er, "könnte das Produkt sein, das die Konsumenten umstimmt." Er muss das sagen, Bobo ist Lobbyist der US-Gentechnikfirma Intrexon, die in der Medizin genauso mitmischt wie in der Landwirtschaft. Mit leuchtenden Augen beschreibt er die Arctic Apples, das sind Äpfel, die nicht braun werden, wenn man sie anschneidet. Der erste genmanipulierte Granny-Smith-Apfel ist bald marktreif, das Fruchtfleisch weiß wie das ewige Eis.

Traum oder Albtraum? Für Verbraucher- und Umweltschützer in der EU kommt die Verbreitung von Gentech-Pflanzen eher einem Horrorszenario gleich, genauso wie Fleischimporte von Tieren, deren Wachstum mit Hormonen gefördert wurde. Beides ist in Europa weitgehend untersagt. Nach Einschätzung der Behörden ist zum Beispiel unklar, welche Folgen der Verzehr solcher Produkte für die Gesundheit hat. Hinzu kommen mögliche negative Auswirkungen auf die Umwelt. In den USA dagegen sind Genfood und Hormonfleisch Massenprodukte. Amerikanische Produzenten wollen sie nun in Europa verkaufen - mithilfe von TTIP.

Der Einblick in die geheimen Unterlagen zeigt, dass die Risikobewertung ein zentraler Streitpunkt bei den Verhandlungen ist. Dabei prallen völlig unterschiedliche Ansätze aufeinander. In den USA gilt das sogenannte Wissenschaftsprinzip. Es besagt, dass ein Produkt so lange als sicher gilt, bis das Gegenteil bewiesen ist. Europa dagegen orientiert sich am Vorsorgeprinzip. Es kann schon ein Risikoverdacht reichen, um Verbote auszusprechen.

Die Papiere zeigen erstmals, wie sehr die amerikanische Seite versucht, das europäische Vorsorgeprinzip auszuhebeln. An verschiedenen Stellen wird von US-Seite immer wieder das Wissenschaftsprinzip betont. Etwa wenn es um Hygienebestimmungen geht. Bei der Risikobewertung solle jede Partei sicherstellen, dass "relevante verfügbare wissenschaftliche Beweise" berücksichtigt werden, fordern die USA. Die EU lehnt das nicht direkt ab, pocht aber darauf, jede Partei müsse künftig das Recht behalten, "Menschen, Tiere und Umwelt auf eigenem Territorium zu schützen" - nach jeweils eigenen Vorstellungen.

Doch was bedeutet wissenschaftsbasiert eigentlich? "Das klingt erst einmal vernünftig. Dahinter steckt aber ein perfides Konzept, das es Konzernen ermöglichen soll, jederzeit den Gesetzgebungsprozess anzuhalten", sagt die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn. Das Verbot eines Produktes könne dann mit dem Einwand verhindert werden, dass nicht genügend Beweise für seine Gefährlichkeit vorlägen.

Tatsächlich gilt ein Verbot, das nicht rein wissenschaftsbasiert ist, nach amerikanischer Auffassung als "unnötige technische Handelsbarriere"; und die sollen, so die Forderung, "reduziert oder ganz abgebaut werden". Gesetze zum Arbeitsschutz, Verbraucher- oder Umweltschutz könnten so abgeschwächt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden, befürchtet Höhn.

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