Pipers Welt:Erinnern wir uns an das Jahr 1973

Lesezeit: 3 min

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Energie ist heute so teuer wie seit Langem nicht mehr. Das legt die Widersprüche in der offiziellen Klimapolitik offen

Von Nikolaus Piper

Eigentlich müssten sich jetzt doch alle Klimaschützer freuen. Erdgas und Erdöl sind in diesem Herbst so teuer wie schon seit vielen Jahren nicht mehr - beides sind fossile Energieträger, bei deren Verbrennung der Klimakiller Kohlendioxid freigesetzt wird. Erdgas hat sich seit Jahresbeginn auf dem europäischen Markt um 350 Prozent verteuert, zwischenzeitlich waren es sogar fast 500 Prozent. Erdöl hat um 55 Prozent zugelegt, der Großhandelspreis für elektrischen Strom stieg in der Folge um 390 Prozent. Die Zusammenhänge sind klar: Die Weltwirtschaft erholt sich vom Einbruch der Corona-Pandemie, die Nachfrage nach Energie steigt und mit ihr steigen die Preise. Der Markt reagiert völlig normal; er bestraft Energieverbraucher und belohnt Energiesparer - genau das, was die Abgabe von 25 Euro auf die Tonne CO2 erreichen soll, die seit Jahresbeginn in Deutschland erhoben wird. Die Preissprünge wären demnach ein Stück ungeplante, aber sehr wirksame Klimapolitik.

Natürlich ist die Sache nicht so simpel. Niemand freut sich, Klima hin, CO2 her, auf einen Winter, in dem es sehr teuer werden kann, seine Wohnung zu heizen. Mieter können vielleicht den Thermostat ein paar Striche herunterdrehen, aber Hauseigentümer haben kaum die Möglichkeit, Gebäude schnell zu sanieren. Die Entwicklung könnte sogar kontraproduktiv wirken und die bisherigen Fortschritte in der Klimapolitik zunichte machen. "Wir wollen nicht, dass jemand diese Situation nutzt, um unseren großen Einsatz für den Wandel zu erneuerbaren Energien und der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft in Gefahr zu bringen. Im Gegenteil", sagte die spanische Umweltministerin Teresa Ribera beim jüngsten Treffen ihrer EU-Kollegen. Aber genau diese Gefahr droht offensichtlich. Polen und Ungarn geben dem EU-Handel mit Emissionsrechten und damit der europäischen Klimapolitik insgesamt die Schuld an der Preisexplosion.

Vor 48 Jahren gab es schon einmal eine Ölpreiskrise

Die Teuerung bei Gas, Öl und Strom zwingt die Industrieländer, ihre bisherige Politik einem Realitätscheck zu unterziehen. Nützlich ist es dabei, sich der ersten großen Ölpreiskrise zu erinnern, die vor 48 Jahren im Oktober 1973 begann. Die Voraussetzungen waren damals völlig anders. Nur wenige Experten wussten zu Beginn der 1970er Jahre vom Klimawandel, deshalb spielte CO2 im öffentlichen Bewusstsein keine Rolle. Aber darüber hinaus wurden in jenem Herbst sehr viele Gewissheiten über den Haufen geworfen, was Wohlstand, Sicherheit und ganz allgemein die Zukunft betraf. Als die arabischen Opec-Staaten ihre Produktion drosselten, um den Westen für die Unterstützung Israels zu bestrafen, stieg der Preis für das Fass Erdöl von drei Dollar um etwa 70 Prozent auf fünf Dollar.

Angesichts heutiger Preise (diese Woche waren es etwa 80 Dollar) sieht das wenig aus, damals war der Anstieg jedoch ein Schock. Für die Bundesrepublik bedeutete die Ölpreiskrise das Ende des Wirtschaftswunders, die meisten Industrieländer litten unter einer Kombination aus Arbeitslosigkeit und Inflation ("Stagflation"). Die Bundesregierung forcierte als Konsequenz den Ausbau der Kernenergie und hielt die Bundesbürger zum Sparen an. Manches war dabei rein symbolisch. Etwa die vier autofreien Sonntage Ende des Jahres 1973. Fast allen Bundesbürgern, die das erlebt haben, fallen auch heute noch beim Stichwort "Ölkrise" als erstes diese Sonntage ein, an denen man auf der Autobahn gefahrlos spazieren gehen konnte. In der Sache war das sinnlos, denn die Sonntage senkten den Benzinverbrauch insgesamt nicht. Aber sie vermittelten den Bürger das Gefühl dafür, dass die Lage ernst war. Und das war wohl auch beabsichtigt.

27 Prozent des Stroms stammen aus der Kohle

Bemerkenswert war schließlich ein Interview, das Karlheinz Bund, damals Vorstandschef der Ruhrkohle AG (das Unternehmen heißt heute Evonik), dem Spiegel gab. Er schlug als Lehre aus der Ölkrise vor, künftig in Deutschland mehr Kohle zu verbrennen, um in der Versorgung unabhängiger zu sein.

Diesmal, in der Energiepreiskrise des Herbstes 2021, wissen alle um den Klimawandel. Kein Manager käme heute auf die Idee, mehr Kohle in der Stromversorgung zu fordern, der Ausstieg aus der Braunkohle ist beschlossen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die deutsche Energiepolitik keinen Realitätscheck bräuchte. Im Gegenteil: Die Sorge vor einem kalten, teuren Winter ist ja gerade deshalb so groß, weil es noch einen riesigen Rückstand bei der Gebäudesanierung gibt. Aufschlussreich sind auch die Zahlen über die Stromerzeugung in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war der wichtigste Energieträger für Elektrizität im ersten Halbjahr 2021 die Kohle (27 Prozent). Weil in diesem Frühjahr vergleichsweise wenig Wind wehte, trugen Windmühlen nur 22 Prozent bei. Angesichts solcher Zahlen wirkt die Entscheidung kühn, künftig ausschließlich auf batteriegetriebene Autos zu setzen. Wie viel schmutziger Strom steckt wirklich in der E-Mobilität?

Und dann gibt es noch den amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Er hat sich zur Klimapolitik bekannt, die Vereinigten Staaten sind zur Erleichterung ihrer Verbündeten wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen beigetreten. In der jetzigen Energiepreiskrise forderte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan die Opec auf, schnell mehr zu fördern. Der Präsident wolle "bezahlbare und verlässliche Energie" für die Amerikaner, "auch an den Tankstellen". Mit anderen Worten: Erst wenn getankt und geheizt ist, kann die Klimapolitik wieder eine Rolle spielen. Das ist ebenso verständlich wie widersprüchlich.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: