Brexit:Die EU muss gegenüber London Härte zeigen

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"No Sea Border" - keine Seegrenze - steht auf einem Plakat in der Nähe des Belfaster Hafens. Die britische Regierung geht im Streit um die Brexit-Regeln für Nordirland weiter auf Konfrontationskurs mit Brüssel. (Foto: Brian Lawless/dpa)

Egal, wer Boris Johnson nachfolgt: Der Streit mit Brüssel über Zollregeln für Nordirland wird sich zuspitzen. Es braucht eine neue Lösung.

Kommentar von Björn Finke

Neuer Premier, alter Ärger: In einer Woche steht fest, wer als Boris Johnsons Nachfolger in 10 Downing Street einzieht. Doch egal, ob Favoritin Liz Truss Regierungschefin in London wird oder ihr Rivale Rishi Sunak - die Spannungen mit der EU werden sich wohl weiter verschärfen. Größter Streitpunkt ist das Nordirland-Protokoll, ein Teil des britischen Austrittsvertrags, der bestimmt, dass sich die einstige Unruheprovinz trotz Brexit an die Zoll- und Produktregeln der EU hält. Für den Fall ihres Sieges erwägt Truss offenbar, Teile dieses Protokolls sofort außer Kraft zu setzen, unter Berufung auf den einschlägigen Artikel 16 des Regelwerks.

Die EU müsste auf solch eine Eskalation mit aller Härte reagieren. Zugleich sollte dies Anlass für eine nüchterne Bestandsaufnahme sein, ob sich das Protokoll bewährt und überhaupt eine Zukunft hat. Leider ist die Antwort "Nein". Dabei klingt der Ansatz bestechend: Die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland soll weiterhin nahezu unsichtbar bleiben, weil ansonsten neue Unruhen im Norden drohen. Daher garantiert das Protokoll, dass zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland keine Laster kontrolliert werden müssen.

Es geht um den Schutz von 447 Millionen Verbrauchern in der EU

Das funktioniert aber nur, weil sich Nordirland weiter an EU-Regeln hält. Zudem muss an den Fährhäfen die Ladung von Lastwagen aus England, Wales und Schottland geprüft werden, um sicherzustellen, dass Lebensmittel EU-Standards entsprechen. Schließlich können die Laster danach ohne Kontrollen in die Republik Irland fahren - und von dort in die übrigen EU-Staaten. Damit sind nordirische Grenzbeamte mit zuständig dafür, den EU-Binnenmarkt, sprich: 447 Millionen Verbraucher in Deutschland und den 26 anderen Mitgliedsländern, etwa vor minderwertigen Waren zu schützen.

Die Kontrolle von Importen in den Binnenmarkt an einen Drittstaat auszulagern, ist gewagt - und ein riesiger Vertrauensvorschuss Brüssels gegenüber der britischen Regierung. Doch der Populist Johnson hat dieses Vertrauen missbraucht. Er setzte die Verpflichtungen aus dem Protokoll nur unvollständig um und veröffentlichte ein Gesetz, mit dem sich seine Regierung das Recht gibt, den Vertrag zu brechen. London argumentiert, die neue Zollbürokratie für Unternehmen, die Waren von England, Schottland oder Wales nach Nordirland transportieren, sei unzumutbar.

Doch diese Bürokratie ist keine Überraschung, sondern ergibt sich logisch aus dem Ansatz des Protokolls. Trotzdem hat die EU-Kommission Vorschläge unterbreitet, wie die Lasten gemindert werden könnten. Aber das reicht der Regierung in London nicht. Eine Verständigung wird auch dadurch erschwert, dass das Protokoll inzwischen zum Hassobjekt für Nordirlands Unionisten geworden ist, also jene Politiker und Bürger, die für eine enge Anbindung an Großbritannien sind.

Die Kommission hat wegen der Vertragsbrüche Verfahren eingeleitet, die irgendwann zu Strafzöllen führen können. Setzt Truss das Protokoll jetzt in großen Teilen außer Kraft, sollte Brüssel aber härter zurückschlagen. So könnte die EU das Handelsabkommen kündigen, denn das wurde auf der Basis abgeschlossen, dass sich die Briten an den vorher unterzeichneten Austrittsvertrag und das Protokoll halten. Bei einer Kündigung würden nach zwölf Monaten Zölle eingeführt - wenn sich beide Seiten nicht bis dahin auf einen neuen Vertrag und ein neues Arrangement für Nordirland einigen.

Wie viel ist Frieden in Nordirland wert?

Das existierende Regelwerk funktioniert ja offensichtlich nicht: Die britische Regierung und die Unionisten wollen partout keine Zollbürokratie bei Lieferungen nach Nordirland. Damit ist die Grundlage entfallen für das riskante Experiment der EU, den Zugang zum Binnenmarkt von einem Drittstaat kontrollieren zu lassen. London sollte eigene Alternativvorschläge machen, wie die Grenze auf der irischen Insel unsichtbar bleiben kann. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass sich das gesamte Vereinigte Königreich weiter eng an EU-Produkt- und Zollregeln anlehnt, nicht nur Nordirland. Doch dummerweise sollte der Brexit eigentlich die ganz große Freiheit von Brüssels Regulierung bringen. Truss wird sich am Ende entscheiden müssen, wie viel ihr Frieden und Stabilität in Nordirland wert sind.

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