Regenwald:Neuer Streit um Mercosur-Abkommen

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Beamte beschlagnahmen im Norden Brasiliens einen Traktor illegaler Holzfäller. Das Mercosur-Abkommen soll auch dazu beitragen, dass der Amazonas-Regenwald besser geschützt wird. (Foto: EVARISTO SA/AFP)

Eine Zusatzerklärung soll verhindern, dass der Handelsvertrag der EU mit Lateinamerika auf Kosten von Umwelt und Menschenrechten geht. Nun kursiert ein Entwurf - doch Kritiker fürchten, dass Verstöße trotzdem nicht bestraft werden.

Von Michael Bauchmüller und Jan Diesteldorf, Berlin/Brüssel

Regen setzt ein im Regenwald, aber für ein flottes Video hat Robert Habeck noch Zeit. "Wie immer, wenn man woanders hinfährt, ändert sich die Perspektive", sagt der grüne Wirtschaftsminister in die Kamera. In Brasilien sei das nicht anders gewesen. Schließlich werde in Deutschland viel darüber diskutiert, ob ein Handelsabkommen zwischen der EU und den vier Mercosur-Staaten auch helfen könne, Regenwald und Klima zu schützen. "Was ich hier gelernt habe, ist, dass es nicht nur möglich ist, sondern von der brasilianischen Seite auch gewollt ist." Der Arbeitsauftrag sei nun, es "richtig und gut zu machen". Danach eilt Habeck zum Schnellboot und braust zurück nach Manaus.

Ziemlich genau eine Woche ist das her, und schon gerät das hehre Ziel in Zweifel. Grund dafür ist der Entwurf jenes "Zusatzinstruments", das dem Mercosur-Abkommen über die letzte Klippe helfen soll. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Entwicklungsorganisationen finden das gar nicht "richtig und gut", ganz im Gegenteil. "Das ist reine Augenwischerei", sagt etwa Armin Paasch, Menschenrechtsexperte bei Misereor. Es handele sich um "eine völkerrechtlich unverbindliche Interpretationserklärung zu einem unverbindlichen Nachhaltigkeitskapitel ohne jeglichen Sanktionsmechanismus". Menschenrechtsverletzungen, Umwelt- und Klimaschäden, die durch ein Handelsabkommen drohten, "wird dieses Instrument nicht abwenden".

Die Verhandlungen über das Abkommen sind eigentlich seit 2019 beendet, doch abgeschlossen wurde es nie. Mit dem rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro, dem der Schutz des Regenwaldes wenig wert war, wollten die Europäer keinen Vertrag schließen. Die Lage hat sich geändert, seit in Brasília der linke Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Ruder ist. Die letzten Vorbehalte gegen das Abkommen soll nun jenes Zusatzinstrument ausräumen.

Es präzisiert, als eine Art Anhang zum Abkommen, die besonders kritischen Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung - also Vorgaben hinsichtlich Umwelt-, Klimaschutz und Sozialstandards. Schließlich könnte mehr Handel etwa mit Agrarprodukten auch mehr Ausbeutung des Regenwaldes und mehr intensive Landwirtschaft bedeuten. Der Anhang soll dafür einen engen Rahmen abstecken - zumindest auf dem Papier.

Mit Blick auf den Klimaschutz verweist der Entwurf unter anderem auf das Pariser Klimaschutzabkommen und auf Ziele zum Schutz des Regenwaldes. Beide Parteien seien verpflichtet, "wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um Senken und Speicher von Treibhausgasen, einschließlich der Wälder, zu erhalten und zu verbessern", heißt es im Abschnitt zum Thema Wälder. Dazu gehöre die Absicht, die Entwaldung bis zum Jahr 2025 um mindestens 50 Prozent zu verringern. Man wolle "sicherstellen, dass die Produkte, die die Bürger der EU und des Mercosur konsumieren, nicht zur Entwaldung und Schädigung der Wälder beitragen".

Einige Länder rücken von dem Abkommen ab

Ein Abschnitt zu Arbeitnehmerrechten soll helfen, Kinderarbeit zu verhindern. Man beabsichtige, intensiver "bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte" zusammenzuarbeiten. Und schließlich bekommt die "Entwicklung nachhaltiger Wertschöpfungsketten in der EU und im Mercosur" Priorität, inklusive einer "Förderung der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz".

Doch Kritiker sehen darin nicht mehr als Absichtserklärungen, auch in Habecks Partei. "Es bleibt leider bei einem zahnlosen Umsetzungsmechanismus", sagt die grüne Europaparlamentarierin Anna Cavazzini. "Wenn der nächste brasilianische Präsident wieder Regenwald roden will, dann gibt es allenfalls einen kritischen Bericht. Und das war es dann."

Dass die Stimmung noch kippen könnte, befürchtet auch die EU-Kommission. Sowohl ökonomisch als auch geopolitisch spreche alles dafür, das Abkommen zu besiegeln, heißt es dort. Schließlich könnte China in die Lücke stoßen, wenn die EU kneift. "Wir glauben, dass wir jetzt eine Chance haben, das abzuschließen", sagt ein ranghoher EU-Beamter. Das Zusatzinstrument enthalte eine rechtlich verbindliche Auslegung des Nachhaltigkeitskapitels - nur seien Sanktionen eben schwierig. Wolle man die reinverhandeln, werde die andere Seite die "Balance der Konzessionen" verändern wollen. Man begänne wieder von vorn.

Und während in Deutschland der zuständige Minister Habeck seine Brasilien-Reise zur Werbetour für das Abkommen macht, rücken Frankreich, Österreich und die Niederlande davon ab - was auch den derzeit laufenden EU-Gipfel überschattet. In einem Entwurf der Gipfelerklärung jedenfalls findet sich nur ein vages Sätzchen: Man habe "eine strategische Diskussion über die geopolitischen Aspekte des Handels" geführt, heißt es da. Ergebnis: offen.

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