EZB:Draghi geht, Lagarde übernimmt

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Man kennt sich, die neue und der ehemalige EZB-Präsidenten. (Foto: Presidential Palace / Reuters)
  • Die Französin Christine Lagarde wurde heute offiziell zur neuen Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
  • In einem Art Staatakt wurde der Staffelstab feierlich übergeben und Mario Draghi gefeiert wie ein Retter.

Von Cerstin Gammelin und Markus Zydra, Frankfurt, Frankfurt

Gegen halb vier Uhr nachmittags an diesem Montag sieht Mario Draghi sichtlich gerührt aus. Man fürchtet fast, dass sich eine Träne zeigen könnte im Augenwinkel des scheidenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Er sitzt in der ersten Reihe des Auditoriums, gerade hat ihn Frankreichs Präsident in eine Reihe mit den großen Gründern und Humanisten Europas gestellt; Robert Schuman, Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi zählt er auf. Draghi bekommt nicht nur Dank zum Abschied, es klingt tatsächlich so, als würden Macron und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel von Herzen einen Retter feiern, den der Euro-Zone.

Merkel hatte noch vor dem Franzosen gesprochen und einen dieser lässigen Auftritte hingelegt, die man von ihr des Öfteren sieht, seit sie nicht mehr als Parteichefin die Wahlniederlagen der CDU erklären muss. Sehr persönlich spricht sie den Römer "Mario" an, seine anwesende Familie. Sie sagt, dass es ja schon lange so sei, dass Frankfurt und Rom verbunden seien, durch den Limes nämlich; es fänden sich in der Mainmetropole "Spuren römischen Lebens allerortens". Und dann sagt sie so einen Satz, den man in Deutschland doppeldeutig verstehen kann: "Sie bewegen sich in der guten Tradition, als Römer hier Spuren zu hinterlassen."

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Es gibt in der Mainmetropole eine Handvoll Orte, die sich eignen würden, um einen feschen Abschied zu feiern. Die Alte Oper, beispielsweise, auf der der Satz "Dem Wahren Schoenen Guten" verewigt ist. Der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sagte in diesen herrschaftlichen Räumen der Oper farewell. Das war vor acht Jahren, ein Bild vom damaligen Abend zeigt ihn mit Christine Lagarde, die nun seine Nach-Nachfolgerin ist. An diesem Montag kommen Trichet und Lagarde durch die Drehtür am Haupteingang des EZB-Turms, um Mario Draghi, dessen Amtszeit Ende Oktober zu Ende geht, ihren Respekt zu bekunden für dessen Leistung an der Spitze der Notenbank.

Draghi feiert seinen offiziellen Abschied nicht in der Alten Oper von Frankfurt, sondern im Erdgeschoss der Europäischen Zentralbank im Osten der Stadt. Die Empfangsdamen haben deshalb die Logenplätze, als Draghi Bundeskanzlerin Merkel und den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron auf dem blauen Teppich ins Bistro der Notenbank führt. Dort, rechts um die Ecke der Rezeption, trinken die Angestellten an normalen Arbeitstagen unbehelligt ihren Mittagskaffee.

Doch an diesem Ciao-Tag säumen Dutzende Journalisten die hohe Empfangshalle; exakt 100 Zentimeter vom blauen Teppich entfernt dürfen sie stehen. Man erschrickt fast, als 30 Minuten vor den Chefs Gelbwesten auftauchen. Das hat aber alles seine Richtigkeit. Die Sicherheitsleute müssen noch einmal mit dem Zollstock nachmessen; eine engagierte Reinigungskraft ging unermüdlich mit dem Staubsauger ihrer Arbeit nach, um den Teppich sauber zu halten. Es menschelt also bei der EZB. Draghi möchte keinen Pomp zum Abschied, er verabschiedet sich dort, wo er gearbeitet hat.

"Wie in Deutschland üblich, hat sich auch das Bundesverfassungsgericht mit dem Satz auseinandergesetzt"

Die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, übernimmt vom Italiener eine schwierige Aufgabe. Draghi hat die Euro-Zone mit eiserner Hand aus der Finanzkrise geführt. Macron und Merkel erwähnen seinen berühmten Satz, den er 2012 in London sagte. Er werde den Euro retten, "whatever it takes". Die Bundeskanzlerin schickt noch eine ironische Bemerkung hinterher. "Wie in Deutschland üblich, hat sich auch das Bundesverfassungsgericht mit dem Satz auseinandergesetzt", sagt sie. Und sich "im Wesentlichen" dann dem Satz angeschlossen.

Draghis Entschlossenheit, im Ernstfall auch gegen mächtige Notenbanken wie die Bundesbank seine lockere Geldpolitik durchzusetzen, hat aber das oberste Entscheidungsgremium, den EZB-Rat, gespalten. Die Notenbank muss ihre Geldpolitik neu definieren, Lagarde, eine Juristin, keine Ökonomin, muss diesen Neuanfang moderieren. Lagarde, die am Freitag ihr Amt übernimmt, hat bereits angekündigt, dass sie einiges anders machen will als Draghi. Sie möchte künftig die ganze Gesellschaft in Europa ansprechen, und nicht mehr nur "das traditionelle Expertenpublikum". Lagarde verwies in ihrer schriftlichen Anhörung vor dem EU-Parlament auf "junge Menschen" oder "zivilgesellschaftliche Organisationen", deren "Besorgnissen" die Notenbank aufmerksamer zuhören werde.

Am Montag in Frankfurt aber ist davon nichts zu spüren, im Gegenteil. Die Chefs bleiben unter sich; Fragen sind nicht erlaubt an diejenigen, die die Geschicke Europas lenken und jetzt die Übergabe von Draghi an Lagarde feierlich begleiten. Man habe Sicherheitsbedenken nachgeben müssen, bedauert man vonseiten der EZB. Es sei nicht einfach, für Sicherheit zu sorgen; es habe aus den Hauptstädten Bedenken gegeben. Und so müssen die Stühle, die bereitgestellt waren, wieder entfernt werden. Dass die französische Regierung der formal unabhängigen Zentralbank vorschreiben könnte, wie sie Veranstaltungen organisiert, dieser Eindruck wird freilich vehement zurückgewiesen. Nein, es habe keinen politischen Einfluss gegeben, beteuert man bei der EZB. So ein Übergang sei eben nicht einfach zu organisieren.

Bevor dann alle hinter verschlossenen Türen und abgeschalteten Kameras anstoßen, sagt Lagarde, sie bewundere Draghi, vor allem dessen "Weisheit und Entschlossenheit". Draghi mahnt noch einmal, man brauche jetzt "mehr Europa und nicht weniger". Dann überreichte der Römer der Französin die große Sitzungsglocke, mit der Lagarde im EZB-Rat für Ordnung sorgen könne. "Ich habe sie nie gebraucht."

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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