Klimaschutz:Heikle Schutzregeln für Energiekonzerne vor dem Aus

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Blick auf Ulan-Bator, die Hauptstadt der Mongolei: Dort treffen sich nun die Mitglieder des Energiecharta-Vertrags. Deutschland will das Abkommen verlassen. (Foto: Paula Bronstein/Getty Images)

Der umstrittene Energiecharta-Vertrag erlaubt es Firmen, beim Kohle- oder Atomausstieg auf hohe Entschädigungen zu klagen. Die EU-Kommission wollte das Abkommen zu Gunsten des Klimaschutzes verbessern. Doch das ist gescheitert.

Von Björn Finke, Brüssel

Es wird eine Reise in die Kälte. An diesem Dienstag kommen die 53 Regierungen, die den umstrittenen Energiecharta-Vertrag unterzeichnet haben, in Ulan-Bator zusammen, der Hauptstadt der Mongolei. Dort liegen die Temperaturen zwischen minus 17 und minus vier Grad Celsius; November ist nicht gerade die beste Reisezeit für das asiatische Land. Lohn der Mühe sollte eigentlich sein, dass die Staaten eine umfassende Reform des Abkommens beschließen. Doch das wird nicht geschehen, weil die EU-Regierungen ihre Unterstützung verweigern. Damit droht dem Vertrag, der Investitionen von Energiekonzernen absichert, das Aus: sehr zur Freude von Klimaschützern.

Am Freitag haben die 27 EU-Botschafter der Mitgliedstaaten in Brüssel darüber abgestimmt, ob die Europäische Union die Reform bei der Konferenz in Ulan-Bator billigen soll. Aber die nötige qualifizierte Mehrheit, in etwa eine Zwei-Drittel-Schwelle, kam nicht zustande, weil sich die Regierungen von Deutschland, Frankreich, Spanien und den Niederlanden enthielten, was wie eine Ablehnung gezählt wird. Das ist eine dicke Schlappe für die EU-Kommission. Die Behörde hat sich im Juni mit den anderen Unterzeichnern des Energiecharta-Vertrags auf die Änderungen geeinigt. In der Mongolei hätte das nun besiegelt werden sollen. Doch die Reformen zum Wohle des Klimas gehen Kritikern nicht weit genug. Daher kündigt eine europäische Regierung nach der anderen ihren Austritt aus dem Abkommen an. Vor zwei Wochen tat dies die Bundesregierung und folgte so dem Beispiel von Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Polen. Vorige Woche schlossen sich Luxemburg und Slowenien an.

Der Vertrag aus dem Jahr 1994 soll Energiekonzernen einen besseren Schutz ihrer Investitionen bieten. Will eine Regierung ein Kraftwerk oder eine Kohlemine enteignen oder deren Gewinne mit harschen neuen Regeln schmälern, können die Unternehmen vor einem internationalen Schiedsgericht klagen. Zu den Unterzeichnern gehören alle EU-Staaten außer Italien, daneben Japan, Großbritannien und viele rohstoffreiche asiatische Länder. Zuletzt diente das Abkommen Konzernen oft dazu, auf Entschädigung zu klagen, wenn europäische Regierungen Klimaschutz- oder Anti-Atom-Gesetze verabschieden.

So verlangte der schwedische Energieversorger Vattenfall 4,7 Milliarden Euro von Deutschland wegen des Atomausstiegs. Am Ende einigte sich Berlin mit den Nuklearkonzernen auf Ausgleichszahlungen. Als die Niederlande beschlossen, bis 2030 alle Kohlekraftwerke abzustellen, reichten RWE und Uniper Klagen über 2,4 Milliarden Euro ein. Uniper hat diese aber nach der Verstaatlichung auf Druck Berlins zurückgezogen.

Reformen seien "krachend" gescheitert, sagt die EU-Abgeordnete

Kein anderes Investitionsschutz-Abkommen führt zu mehr Verfahren; bei den meisten sitzen die Konzerne in EU-Staaten und fordern Geld von anderen EU-Regierungen. Vor einem Jahr entschied allerdings der Europäische Gerichtshof, dass der Energiecharta-Vertrag nicht für Klagen zwischen einzelnen EU-Staaten genutzt werden darf. Das würde die Bedeutung des Abkommens kräftig schmälern.

Zugleich versuchte die EU-Kommission, sich mit den anderen Vertragsparteien weltweit auf Änderungen zu einigen, damit das Abkommen nicht länger Klimaschutz-Gesetze torpediert. Der Kompromiss, der im Juni gefunden wurde, sieht vor, dass der Vertrag von Sommer 2023 an keine neuen Investitionen in fossile Energien - etwa Kohleminen oder -kraftwerke - abdecken soll. Für bestehende Kraftwerke, Minen, Pipelines oder Öl- und Gasfelder läuft die Absicherung nach zehn Jahren aus.

Klimaschützern missfällt diese zehnjährige Gnadenfrist. Sie fordern stattdessen, dass die EU-Staaten einfach den Vertrag verlassen - genau, wie es Deutschland und andere jetzt beschlossen haben. Allerdings sieht das Abkommen vor, dass Energieprojekte nach dem Austritt eines Landes weitere 20 Jahre Schutz genießen. Konzerne könnten also die Bundesregierung nach der Kündigung noch zwei Jahrzehnte lang vor Schiedsgerichten verklagen. Die Kommission und andere Befürworter der Reform argumentieren daher, es sei besser, den Vertrag nur zu ändern anstatt ihn aufzugeben, weil Klagen so bloß zehn anstatt 20 weitere Jahre möglich sind.

Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini sagt aber, der Mangel an Unterstützung unter den EU-Botschaftern bedeute ein "krachendes Scheitern" der Reform: "Dieser klimaschädliche Knebelvertrag kann nicht mehr gerettet werden." Die Kommission müsse nun "zügig" den Austritt vorbereiten. Die spanische Europaabgeordnete Inma Rodríguez-Piñero, eine Sozialdemokratin, stimmt der Grünen zu: Ein koordinierter Austritt sei "die beste Option, wenn die EU ihren Klimazielen treu bleiben will".

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