Milchviehbetriebe:Kurzarbeit für Kühe

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Kühe in einem Stall in Niedersachsen fressen Silage. (Foto: imago images/Countrypixel)
  • Der Milchpreis ist in den vergangenen zwei Wochen massiv eingebrochen
  • Hamsterkäufe von H-Milch, Butter und Käse hatten die Nachfrage nur kurzfristig erhöht.
  • Wichtige Exportmärkte für Milch und Milcherzeugnisse sind weggebrochen, allen voran China.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Kürzlich bekamen die Schöberls Post von ihrer Molkerei. Noch laufe das Geschäft mit der Milch einigermaßen, zumindest im Einzelhandel, stand in dem Brief. Beim Export aber sehe die Lage recht bescheiden aus. Wie sich das Ganze entwickle, sei schwer abzusehen. Die Zeichen bei Milch stehen auf Krise, wieder einmal. "Und wenn das so kommt, sollte man zusammenhalten", sagt Christine Schöberl. "Dann sollten alle weniger produzieren." Letztendlich gehe es doch um Solidarität, wie in anderen Bereichen der Gesellschaft auch. "Die Frage ist, ob das geht: alle." Die Schöberls jedenfalls mit ihren 70 Kühen, nicht weit von München, wären dabei.

Solidarität und Disziplin in der Milchwirtschaft, das ist schon länger ein heikles Thema. Unter niedrigen Milchpreisen leiden alle Betriebe gleichermaßen, und wenn alle gemeinsam die Milchproduktion etwas drosseln, könnte das die Preise stabilisieren. Aber faktisch gibt es eben immer Betriebe, die eine Phase niedriger Preise länger durchstehen können als andere - und munter weiterproduzieren. Das macht jene, die freiwillig ihre Mengen gedrosselt haben, am Ende zu den Dummen.

Tatsächlich ist der Milchpreis in den vergangenen zwei Wochen massiv eingebrochen. Zwar hatten Hamsterkäufe eine Zeit lang für mehr Absatz bei H-Milch gesorgt, sind Butter und Käse sehr gefragt. Doch wichtige Exportmärkte für Milcherzeugnisse oder Milchpulver sind weggebrochen, allen voran China. Statt aber zu sinken, stieg die Milchmenge hierzulande zuletzt noch leicht. Passiert nichts, dürfte sich die Lage bald noch verschärfen: Mit Beginn der Weidesaison steigt auch die Milchmenge. So gibt eins das andere.

Die Phalanx der Bauern ist nicht groß. Händler und Verbraucher haben nichts gegen billige Ware

Mittlerweile ist auch die Landwirtschaftsministerin auf den Plan getreten. Vorige Woche wandte sich Julia Klöckner mit einem Brief an EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski. Die Entwicklungen auf dem Milchmarkt sehe sie "mit besonderer Sorge", schrieb die CDU-Politikerin. Unterbrochene Milchströme in Europa und Exportrückgänge vor allem nach Asien "lassen ein weiteres Absinken der Marktpreise für Milch und Milcherzeugnisse befürchten". Möglichst frühzeitig solle der Kommissar deshalb eine "finanzielle Unterstützung zur privaten Lagerhaltung" in Betracht ziehen.

Als Magermilchpulver ließen sich so Mengen dem Markt entziehen, die EU kann Beihilfen dafür auch kurzfristig gewähren. Molkereien bekommen dann Geld dafür, dass sie Milch vom Markt nehmen und erst einmal einlagern. Auch der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte sich dafür ausgesprochen, schließlich brauche es eine rasche Antwort. "Keiner konnte die Corona-Krise erahnen", sagt Karsten Schmal, Milchbauernpräsident des DBV. "Und die Förderung der privaten Lagerhaltung lässt sich von heute auf morgen aktivieren."

Doch unter Landwirten ist das Instrument hoch umstritten. "Volkswirtschaftlich ist das Unsinn", sagt Hans Foldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Seine Kühe stehen im Allgäu. "Man wendet Millionenbeträge auf, um das Zeug am Ende wieder unter die Leute zu bringen." Wenn die Lager wieder aufgelöst werden, drücke das abermals auf den Preis. Die Existenzkrise der Milchbetriebe werde so letztlich nur verlängert.

Erfahrungen damit gibt es, sie liegen noch gar nicht so lange zurück. Vor fünf Jahren steckte Europas Milchwirtschaft schon einmal in der Krise. Wegen der Abschaffung der EU-Milchquoten hatten viele Betriebe in neue Ställe investiert, alle wollten wachsen, ehe andere es tun. Das Ergebnis waren, folgerichtig, ein Überschuss an Milch und Preise so niedrig wie nie. Auch damals konnte die private Lagerhaltung das Problem nicht lösen, Ideen für eine europaweite Mengendisziplin scheiterten. Am Ende stand ein millionenschweres Hilfspaket für Milchbauern. "Normalerweise sollte man meinen, dass man aus Schaden klug wird", sagt Foldenauer.

So einfach ist das mit der solidarischen Drosselung der Mengen freilich auch nicht. Der Milchverband BDM empfiehlt dafür, weniger Kraftfutter einzusetzen. Das ist zwar betriebswirtschaftlich nicht optimal, senkt aber automatisch die Milchleistung der Kühe. Schwieriger wird das allerdings für Betriebe, die ihre Kühe auf der Weide halten: Man kann den Kühen nicht das Grasen verbieten. Wohin aber dann mit überschüssiger Milch? "Unsere Sorge ist, dass weidehaltende Betriebe da einen Nachteil erleiden", sagt Berit Thomsen, Milchexpertin bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

Auch die Zahl der Tiere lässt sich schlecht reduzieren: Viehmärkte finden in diesen Zeiten kaum statt, viele Schlachthöfe arbeiten nur in einem Notbetrieb. "Wie man es dreht und wendet, es wird Einbußen für unsere Betriebe geben", sagt Landwirtin Schöberl. "Und dafür braucht es einen Ausgleich." Die Bauerngruppierung "Land schafft Verbindung" verlangt schon eine Art "Kurzarbeitergeld für Kühe" - eine freiwillige Drosselung gegen finanziellen Ausgleich. Gehe das nicht, brauche es verpflichtende Vorgaben. Das ist leicht gesagt, denn Regeln dafür gibt es nicht. "Die gemeinsame Marktordnung gibt das nicht her", heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. "Und wir sehen dafür in der EU auch keine Mehrheiten." Damit bleibe nur die vorübergehende Lagerhaltung.

Die Phalanx der Bauern ist ohnehin nicht groß: Weder der Einzelhandel, noch die meisten Verbraucher haben etwas gegen billige Milch. Allenfalls könnten Molkereien ein besonderes Interesse am Überleben ihrer Milchlieferanten haben. Darauf setzt auch das Bauernbündnis AbL: Molkereien könnten von sich aus Betriebe auffordern, die Mengen zu drosseln - und dafür einen Ausgleich zahlen. Vorbild ist die niederländische Molkerei Friesland Campina, die so in der Krise vor fünf Jahren den Preisdruck etwas linderte. Gelinge dies aber nicht, würden die Überschüsse immer weiter anschwellen, sagt AbL-Frau Thomsen. "Und wenn die Mengen dann da sind, geht die Preisdrückerei los."

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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