Trendkolumne: In aller Munde:"Abonnier mich!"

Lesezeit: 2 min

"Boah, wie geil": Koch-Rapper Giuseppe Moi (am Campingkocher) und Team bei der schnellen Arbeit al fresco. (Foto: WoodyWoodsn)

Zwischen Berliner Hochhäusern bereitet Giuseppe Moi auf der Tischtennisplatte Kaninchen, Miesmuscheln und Foie Gras zu. Seine Videos auf Instagram und Tiktok sind rasant geschnitten, die Rezepte rappt er. Wer nachkochen will, muss schnell sein.

Von Tobias Bug

Was muss man heute eigentlich tun, um mit Rezepten noch Aufmerksamkeit zu wecken? Es gibt da jetzt einen rappenden Koch, natürlich aus Berlin, der zwischen Plattenbauten auf der Tischtennisplatte Miesmuscheln kocht. Läuft wie geschnitten Brot. Giuseppe Moi erreicht mit seinen Kurzvideos eine Viertelmillion Instagram- und Tiktok-Nutzer, ist ja klar, wenn man jeden zweiten Satz mit "Abonnier mich!" beendet. Aber wie bloß soll man seine Rezepte nachkochen, wenn die Zutaten sprechgesungen werden und Moi sogar für Lammkarree nur eine Minute braucht? Fangen wir langsam an.

Früher fand man Rezepte im Kochbuch oder hatte sie handgeschrieben von Oma, die Zutaten und Zubereitung noch sorgfältig in einem Heft notierte. Danke Omi, das funktioniert zwar bis heute super, aber die Zeit scheint sich leider niemand mehr zu nehmen. Wir haben ja einiges hinter uns. Die Kochbuchflut, Jamie, Lafer, Lichter, all die TV-Küchenschlachten, all die Tutorials im Netz, die immer öfter im Zeitraffer präsentiert werden, das angeleitete Kochen wurde einfach immer schneller. Noch einigermaßen entspannt geht es bei der " Pasta Queen" zu, die ihren 875 000 Followern auf Youtube in endlosen achtminütigen Videos Nudelrezepte vorkocht. Man kann pausieren, zurückspulen. Auf Instagram geht beides nicht mehr. Trotzdem schauen vorwiegend junge Menschen hier, mehr als zwei Drittel sind unter 35, kurze, rasant geschnittene Kochvideos. Genauso auf Tiktok, wo zwei Drittel der Nutzer unter 25 sind.

Moi ist lauter, lustiger, lässiger als andere Food-Influencer

Damit wären wir bei der Zielgruppe von "gio1neun" aka Giuseppe Moi. Der gelernte Koch und Tontechniker erklärt in einer Minute, wie man Foie Gras kocht, ständig gibt es Umschnitte, das Rezept rappt er, aufgeschrieben wird es nirgends mehr. Wer soll da noch mitkommen? "Die sollen sich das Video lieber 50-mal anschauen, dann bekomme ich 50 mehr Views", sagt Moi. Ayşe Şen postet für ihre 1,4 Millionen Instagram-Follower auf " aysens.kitchen" wenigstens Zutatenliste und Anleitung. Ihre Videos sind ähnlich kurz, aber Giuseppe Moi ist lauter, lustiger, lässiger als die meisten Food-Influencer. Das ist auch nötig, der Zuschauer ist flüchtig, die Konkurrenz riesig, es kann ja jeder eine Tiktok-Kochshow starten.

Auf Instagram hat "gio1neun" 106 000 Follower, auf Tiktok sogar 166 600, er wird in Berlin auf der Straße erkannt, Kooperationen mit Hip-Hop- und Lebensmittelproduzenten bringen Geld. Auch traditionelle Medien sind auf ihn aufmerksam geworden. Gründe dafür gibt es viele. Erstens die Kontraste: feine Küche, gern französisch inspiriert, Barbarie Entenbrust in Orangensauce zum Beispiel, und alles oft serviert vor grauen Plattenbauten. "Gutes Essen vor abgefucktem Block", sagt Moi. Zweitens seine Sprache: einfach, direkt, nicht so kulinarisch verfloskelt wie bei vielen Sterneköchen. Das kommt an, auch wenn das nicht jeder schätzt, der Rezepte sucht: "Als erstes legen wir digga frankfurt prollo sprache ab", kommentiert einer auf Instagram. Dritter Grund für Mois Erfolg: Viele seiner Rezepte sind zwar aufwendig, aber nicht teuer, genau wie sein Equipment. Campingkocher, Schneidebrett auf der Tischtennisplatte, fertig. Er ist auf dem Betonboden geblieben. In seinem mit 1,8 Millionen Views beliebtesten Video klingt Moi so: "Boah, wie geil des jetzt wär', in irgendeinem Restaurant am Strand zu sitzen und Miesmuscheln zu fetzen!" Doch das sei leider nicht für jeden drin. "Deswegen zeig ich euch jetzt, wie man sich und seine Shababs für nur zehn Euro glücklich machen kann."

Nach jedem Video, in dem er Kochschritte in je zwei Sekunden erklärt, endet Moi mit dem Satz: "Das war's dann auch schon." In den Ohren mancher Foodies klingt das fast schon zynisch. Vielleicht geht es bei ihm am Ende doch eher um Entertainment als ums Kochen.

Der Autor hat noch nie auf dem Balkon gegrillt. Er brutzelt seine Steaks lieber im Englischen Garten oder an der Isar. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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