Frauenfinale der French Open:Mit einem Repertoire, das den Verstand raubt

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Gut zu Fuß und mit vielen Schlagkombinationen ausgestattet: Die Tschechin Karolina Muchova steht im Finale der French Open - ihrem ersten Endspiel bei einem Grand-Slam-Turnier. (Foto: Clive Mason/Getty)

Karolina Muchova kann auf ungewöhnlich viele Schläge zurückgreifen. Das ist ein Grund, warum sie im Finale von Paris steht - und erklärt, wieso sie dies erst mit 26 Jahren vollbracht hat.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Fabrice Santoro, der französische Schnibbler, der Vorhand wie Rückhand beidhändig spielte und es trotz nur 1,77 Meter Körpergröße schaffte, Roger Federer und Novak Djokovic zu besiegen, stand im Achtelfinale auf dem Court Suzanne-Lenglen - und sprach eine Art Liebeserklärung aus. Sie spiele wunderbar, säuselte der inzwischen 50-Jährige, sie habe jeden Schlag im Repertoire, so viele Optionen auf dem Platz. Da lächelte Karolina Muchova, erwiderte aber umgehend: Genau das sei ihr Problem - sie müsse sich zwischen zu zahlreichen Möglichkeiten entscheiden. Das raube ihr den Verstand. Santoro ging da das Herz auf. Ihm ging es damals auch so. Er durfte sich verstanden fühlen bei dieser 26 Jahre alten Frau aus Olmütz im schönen Mähren.

In der Pressekonferenz später ging Muchova tiefer in die Materie und erklärte, wie sie ihr Spiel angehe: Sie hat sich, um sich nicht zu verzetteln, angewöhnt, radikal den ersten Schlag zu spielen, der ihr in den Sinn komme. Selbst dann, wenn sie ahnt: Eigentlich wäre die zweite Schlagwahl die bessere gewesen. Oder die dritte. Manchmal missrate ihre First-Pick-Strategie, sie patze im Ballwechsel und denke sich: "Oh, ich hoffe dann, dass das keiner sah", verriet sie lächelnd, "aber da schauen ja viele Leute zu." Allerdings. Und an diesem Samstag werden es gar wieder 14 929 im Court Philippe-Chatrier sein. Mehr passen nicht in die Hauptarena der French Open zum Finale der Frauen hinein.

Halbfinalistin Aryna Sabalenka
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Von Gerald Kleffmann

Die Tschechin bestreitet nun ihr erstes Endspiel bei einem Grand-Slam-Turnier, 43. ist sie derzeit in der Weltrangliste. Aber es dürfte Einigkeit herrschen, dass es sich bei dieser Position um einen Fehler handelt. Die frühere Spitzenspielerin Pam Shriver adelte das Halbfinalmatch zwischen Muchova und der Belarussin Aryna Sabalenka zu Recht als eines, das "als eines der besten jemals bei einem Major" eingehe. Tatsächlich war das, was die zwei am Donnerstag boten, Tennis für Gourmets, eine Kollision zweier kontrastreicher Stile, die zu teils kunstvoll anmutenden Ballwechseln führten, die Claude Monet nicht schöner hätte malen können.

Finalgegnerin Iga Swiatek schwärmt auffällig von Muchova

Mit 7:6 (5), 6:7 (5), 7:5 setzte sich Muchova, die in ihr winkeliges Grundlinienspiel giftige Stopps und spektakuläre Volleys mischte, gegen die beeindruckend kompromisslos umherschießende Weltranglistenzweite durch, die bei 5:2 im dritten Satz einen Matchball vergab, den Faden verlor, aber ihr Lächeln nach Debatten um ihre Person wiederfand. Aufgrund kritischer Nachfragen zu ihrer Haltung zu dem von Russland und Belarus geführten Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte Sabalenka sogar zwei Pressekonferenzen nicht zugelassen. "Ich hatte so viele Möglichkeiten, aber dennoch möchte ich dieses Turnier als positives Turnier betrachten", sagte die Belarussin. Für England habe sie im Übrigen ihr Visum nun erhalten, in Wimbledon kann Sabalenka also erneut versuchen, Iga Swiatek auf dem ersten Weltranglistenplatz abzulösen.

Die immer noch erst 22-jährige Polin, die ihr Halbfinale 6:2, 7:6 (7) gegen Beatriz Haddad Maia aus Brasilien gewann, kämpft nun - nach den Triumphen 2020 und 2022 - um ihren dritten Roland-Garros-Titel in nur vier Jahren. Swiatek, die schon mal ob ihres Ehrgeizes angespannt wirkt, strahlte diesmal nach dem Sieg eine Lockerheit aus wie zu keinem Zeitpunkt während dieses Turniers. Womöglich war sie auch deshalb erleichtert, weil sie im Finale nicht Sabalenka begegnet, gegen die sie zuletzt im Endspiel von Madrid verlor. Die Polin aus Warschau und die Belarussin aus Minsk pflegen, das ist bekannt, nicht das innigste Verhältnis. Natürlich sagte Swiatek nichts in dieser Richtung. Auffallend aber war, wie sie von Muchova schwärmte. So hatte sie sich nie zu Sabalenka geäußert.

Im Finale: Iga Swiatek hat sich gegen Beatriz Haddad Maia durchgesetzt - und könnte zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren die French Open gewinnen. (Foto: Susan Mullane/USA TODAY Network/Imago)

"Ich mag wirklich ihr Spiel, ehrlich", versicherte die Titelverteidigerin. Muchova sei eine Spielerin, "die alles machen kann", die "viel Gefühl" habe, aber auch "das Spiel beschleunige". Bewundernd hob sie Muchovas "Freiheit in den Bewegungen" hervor. Swiatek gab deutlich zu verstehen, dass sie sich bis ins kleinste Detail bereits mit ihrer Finalgegnerin auseinandergesetzt hat. Beide trainieren ohnehin öfter miteinander.

Die Hochachtung, die Swiatek kundtat, beruhte merklich nicht nur auf Freundlichkeit, sondern drückte auch aus, wie Muchova in der Tennisszene, unter Kolleginnen, gesehen wird: als eine Spitzenspielerin, die nur deshalb (noch) keine ist, weil sie wegen Verletzungen viel zu oft auf der Tour fehlte. Gäbe es eine Weltrangliste für die besten Profis, die ihr Talent nicht ausleben konnten, sie wäre die Nummer eins in dieser Kategorie.

Pliskova, Barty, Osaka, Sakkari - sie alle hat Muchova bei großen Anlässen besiegt

Nicht viele haben es zum Beispiel im Kreuz, die Besten zu bezwingen. Muchovas Bilanz als Top-Drei-Schreck: 2019 warf sie Landsfrau Karolina Pliskova aus dem Wimbledon-Turnier, damals Dritte der Weltrangliste. 2021 bezwang sie die Erste, Ash Barty, bei den Australian Open sowie die Zweite, Naomi Osaka, in Madrid. 2022 stürzte die damalige Dritte, Maria Sakkari, bei den French Open über sie, die sie diesmal in der ersten Runde beiseite räumte.

Patrick Mouratoglou, der frühere Trainer von Serena Williams, befand zu Muchovas Auftritt im Halbfinale, dass diese so routiniert ihr Spiel aufgezogen habe, "als würde sie ihr 15. großes Semifinale spielen". Die Wahrheit ist: Ein einziges Mal stand sie bisher in der Runde der letzten Vier, bei den Australian Open 2021. Nach ihrer Niederlage gegen die Amerikanerin Jennifer Brady war es wie so oft: Muchova verriet, dass sie das ganze Turnier mit einem Bauchmuskelriss absolviert hatte. Vor einem Jahr musste sie in Paris in der dritten Runde aufgeben, diesmal war sie umgeknickt, mit dem rechten Fuß.

"Ja, in der Vergangenheit war es nicht einfach", räumte Muchova ein, die aus einer Sportfamilie stammt. Vater Josef Mucha war Fußballer und spielte in der ersten tschechischen Liga. In Paris setzt sie die Tradition starker Tschechinnen fort, 2015 stand Lucie Safarova im Finale, 2019 Marketa Vondrousova, 2021 triumphierte Barbora Krejcikova. Diverse Teenager wie die Schwestern Brenda und Linda Fruhvirtova, 16 und 18, rücken nach. Muchova glaubt, dieser nie versiegende Talentefluss aus ihrem Land liege an der Tennisbegeisterung vieler Eltern, die ihre Kinder intensiv fördern. So sei es auch bei ihr gewesen.

Ins Finale gehe sie auf keinen Fall als Favoritin, wiegelte Muchova noch ab. Sie macht sich keinen Stress, sie ist eine angenehm ruhige, besonnene Person. Und so, wie sie klang, hat sie ohnehin schon gewonnen. Allgemein nimmt sie sich nur eines vor: "Ich werde auf jeden Fall versuchen, an meine Grenzen zu gehen. Und wer weiß, wo die Grenzen liegen." Möglicherweise ja dort, wo ein gewisser Coupe Suzanne Lenglen aufgestellt ist an diesem Samstagnachmittag.

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