Halbfinalistin Aryna Sabalenka:Provokation am Netz

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Aryna Sabalenka (links), wartet nach dem Spiel auf Elina Switolina. Die Ukrainerin schüttelt bekanntermaßen Athletinnen aus Belarus und Russland nicht die Hand. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Die Ukrainerin Elina Switolina reicht Athletinnen aus Russland und Belarus nicht die Hand, trotzdem wartet die Belarussin Aryna Sabalenka nach ihrem Sieg am Netz. Später verteidigt sie sich - und äußert sich auch zu Machthaber Lukaschenko.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Und dann kam der Moment, der diese Duelle gerade zu einem Stresstest macht. Matchball. Gleich könnte die Partie zwischen Aryna Sabalenka und Elina Switolina vorbei sein. Sabalenka vergab den ersten. Zwei Minuten später ihr zweiter. Die Belarussin verwandelte ihn, der 6:4, 6:4-Viertelfinalsieg stand damit fest. Eigentlich, das ist in der Tenniswelt längst bekannt, würde es jetzt folgendermaßen ablaufen: Beide Spielerinnen würden sich ignorieren, zum Schiedsrichter gehen, die Hand schütteln, das war's. Switolina ist Ukrainerin. Aufgrund des Angriffskrieges Russlands mit der Unterstützung von Belarus auf ihr Heimatland verweigern alle ukrainischen Profis den Handschlag.

Doch was machte Sabalenka? Schritt ans Netz, stützte sich mit den Händen dort ab und wartete, in Richtung Switolina blickend. Die ging, natürlich, zur Seite, und weil es offenbar nicht gerade wenig schlecht informierte Zuschauer bei diesen French Open gibt, folgten Buhrufe. Wollte die 25-jährige Sabalenka, die zuletzt zweimal nicht zu Pressekonferenzen erschienen war, weil sie Fragen zum Krieg als Beeinträchtigung ihrer "mentalen Gesundheit" empfand, vorgehabt haben, die Lage zu entspannen, ist festzuhalten: Das ist ihr nicht wirklich gelungen mit dieser Geste.

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Spielerisch war Sabalenkas Sieg, mit dem sie beim dritten Grand-Slam-Turnier in Serie mindestens das Halbfinale erreichte, nie gefährdet. Ihr kraftvoller Stil ist auch einer der Gründe, warum sie im Januar bei den Australian Open erstmals einen Grand-Slam-Titel errang. Sie spielt nun gegen die Tschechin Karolina Muchova um den Finaleinzug.

In Paris, bei den French Open, werden ihre starken Leistungen aber in der Wahrnehmung beeinträchtigt, seitdem Sabalenka entschied, nach zwei Pressekonferenzen, auf denen sie zu ihrer Haltung zum Krieg befragt wurde, die nächsten beiden Medienrunden ausfallen zu lassen. Das Turnier kam auch noch auf die Schnapsidee, eine Autorin der Frauentour damit zu beauftragen, Sabalenka einzeln zu interviewen; das Gespräch wurde als "Pressekonferenz" auf der Abschrift verkauft.

Sabalenka nimmt diesmal an der Pressekonferenz teil

Switolina brachte auf der realen Pressekonferenz ihre Verwunderung über Sabalenkas Aktion zum Ausdruck: "Ich weiß nicht, worauf sie am Netz gewartet hat. Meine Aussagen waren klar genug." Ob sie die Situation auf der Tribüne angeheizt habe? "Ich glaube, leider schon." Die Buhrufe nahm Switolina in Kauf - sie werde weiterhin Vertretern aus den Ländern, die die Ukraine überfallen haben, nicht die Hand reichen. "Ich bleibe bei der Position. Ich werde mein Land nicht dafür verkaufen, um von Menschen gemocht zu werden."

Dann kam Sabalenka, der Presseraum war voll besetzt. Sie wurde sofort zum Warten am Netz gefragt: "Es war einfach Instinkt, so wie ich es bei all meinen Spielen tue." Das war schwer zu glauben. Immerhin beantwortete sie diesmal alle Fragen. "Sie verdiente es nicht, ausgebuht zu werden", sagte Sabalenka, was gut klang, die Tatsache aber ignorierte, dass sie mit ihrem Verhalten die unsportliche Reaktion des Publikums auch genährt hatte. Ihren Presseboykott erklärte sie so: "Ich fühlte mich nicht respektiert."

Jetzt aber, meinte sie, fühle sie sich sicher, und das war erstaunlich. Manche Frage an diesem Dienstagnachmittag war kritischer je zuvor. Ein Reporter wollte wissen, wie sie zu Alexander Lukaschenko stehe, dem Machthaber von Belarus. "Ich unterstütze den Krieg nicht, das heißt, ich unterstütze Lukaschenko gerade nicht", sagte Sabalenka - dieser Satz war tatsächlich ein ungewöhnliches Statement gegen den Kurs des belarussischen Präsidenten. Als sie ging, wirkte sie erleichtert.

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