Special Olympics in Berlin:Bis die ganze Lobby singt

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Am Brandenburger Tor: Ana Calderon Rodriguez aus Mexiko fährt beim 500-Meter-Zeitfahren auf der Straße des 17. Juni. (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die Finnen wehren bei den Special Olympics zwei Matchbälle gegen Deutschland ab, die durstigen Berliner Fans müssen zu Bier-Alternativen greifen - und die Senegalesen zeigen ihnen, wie man trotzdem in Feierlaune kommt. Ein Streifzug durch die Stadt.

Von Korbinian Eisenberger, Berlin

Zu den wichtigsten Beiwerken des Berliner Olympiastadions zählt seit Jahrzehnten der Getränkestand, ach was: der Bierstand. Er gehört für die Berliner zum Stadionerlebnis wie der Fernsehturm zum Alexanderplatz. Und so kam es, dass sich anlässlich der Eröffnungszeremonie der Special Olympics in besagtem Stadion ungekannte Szenen wiederholten: Menschen, die mit einer Mischung aus Überraschung, Enttäuschung sowie einem gut gefüllten Becher Apfelschorle vom Getränkestand stapften. "Keen Bier, wa?"

Alkohol steht bei den Weltspielen für knapp 7000 Athleten mit geistiger oder mehrfacher Behinderung in Berlin nicht auf der Getränkekarte, weder im Olympiastadion noch an anderen Wettkampforten. Bei den "Special Olympics ist neben dem Sport das Thema Gesundheit sehr wichtig", erklärt der Veranstalter. Deshalb habe man für die "Weltspiele in Berlin entschieden, dass diese Veranstaltung eine alkoholfreie ist". Ja, da kiekste.

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Dass Menschen auch ohne Zuhilfenahme von Bier in Partyverfassung gelangen können, lässt sich in einem Hotel am Hauptbahnhof erahnen (ein special-olympisches Dorf gibt es nicht), das eine der 174 Delegationen für diese Tage ausgebucht hat: die Senegalesen. Am frühen Abend strömen sie in ihren roten Sportoutfits meist in größeren Gruppen durch den Haupteingang in die Lobby. Drinnen dröhnt zum Empfang der Bass - was die Neuankömmlinge nutzen, um zu einem Reihentanz anzusetzen, Sekunden später hüpft und singt die ganze Lobby.

Wie wird man mit einer Körpergröße von 150 Zentimetern ein guter Basketballer?

Nur einer tanzt nicht, er sitzt im Trainingsanzug im Nebenraum. Der Unified-Basketballer Ablaye Ndiaye hat einen Interviewtermin, er wirkt etwas nervös, weicht dem Blick aus. Ndiaye hat das Downsyndrom, und manchmal stottert der 35-Jährige. So wie jetzt. Wie wird man mit einer Körpergröße von 150 Zentimetern ein guter Basketballer? Jetzt schaut er zurück, findet seine Worte, sie fließen geradezu aus ihm heraus: "Beim Basketball geht es nicht nur darum, groß zu sein, sondern gute Hände zu haben, um Punkte zu machen." Hilfreich seien zudem seine Teamkollegen, erklärt der senegalesische Trainer: "Die räumen alle Gegner zur Seite, damit Ablaye freie Wurfbahn hat."

Auf dem Messegelände im Berliner Westen wirkt es dieser Tage ebenfalls so, als befände man sich bei einem Festival. Zelte, Infostände und Wurstbuden säumen die Hallen, während es drinnen ernst wird - nicht nur sportlich. Die Athleten zeigen bisweilen erstaunlich hohes Niveau, etwa die Tischtennisspielerin Kateryna Hryshchenko. Sie würde gerne in den kollektiven Taumel eintauchen, aber es falle ihr schwer, sagt sie. Sie berichtet, dass sie und viele ukrainische Athleten direkt vom Krieg betroffen waren und sind. "Wir mussten uns mehrfach vor russischen Angriffen mit Raketen und Flugzeugen verstecken." Während sie zu schildern versucht, was sie in Uman im Zentrum der Ukraine erlebte, fängt ihre Hand zu zittern an, sie bricht mitten im Satz ab. Ihr Spiel aber zieht sie dann erfolgreich durch.

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Besonders groß ist der Andrang vor einer Halle, in der es weder Sport zu sehen noch Nahrungsmittel zu vertilgen gibt. Am Eingang Süd des Messegeländes ziehen die Athleten der Special Olympics in Trauben zu einer Tür mit dem Schild "Healthy Athletes". Um die tausend Sportler werden hier täglich von insgesamt 2000 Freiwilligen und 100 Ärzten untersucht. Für nicht wenige von ihnen ist es die erste medizinische Untersuchung ihres Lebens. Einige hier sehen nun zum ersten Mal einen Zahnarzt. Eine junge Afrikanerin, offenbar mit dem Downsyndrom, zerspringt fast vor innerer Freude, nachdem ihr zum ersten Mal ein Hörgerät am Ohr installiert wurde.

Beinahe hätte der Slogan "Wir sind da" gelautet

Unweit des Nordbahnhofs nutzen manche das Gelände der Volleyballer "BeachMitte", um Süßkartoffel-Strand-Fritten mit indischer Mango-Curry-Soße, fruchtigem Ketchup und Kresse zu vertilgen. Hier sitzt nun Juliane Rößler, die vor vier Jahren in Abu Dhabi im Kanu an den Start ging, diesmal aber keinen Startplatz erhielt. Trotzdem hat sich die Berlinerin Sichtbarkeit verschafft, in anderer Form. Die 39-Jährige zählt zum Designteam geistig behinderter Athleten, die das Logo, die Farbgebung und das Motto der Spiele entwickelt und entworfen haben, unterstützt von der Münchner Marketingagentur BECC. "Uns ging es um die Emotionen, die Spannung und die Stadt Berlin", sagt Rößler. Drei Slogans standen in der Endauswahl: "Emotionen bewegen", "Wir sind da" und - der Sieger: "Zusammen unschlagbar".

50 Meter weiter hält sich ein Mädchen auf der Tribüne die Ohren zu. Die deutschen Beachvolleyball-Fans hauen in diesen Minuten besonders impulsiv auf ihre Trommeln. Anlass ist die entscheidende Phase im Fünf-gegen-fünf-Spiel der deutschen Männer gegen Finnland. In einer hochklassigen Partie mit denkwürdigen Ballwechseln hat das Team von Cheftrainer Raphael Stäbler gerade einen Matchball vergeben, nun jedoch erneut die Chance. Zweiter Matchball, Aufschlag Deutschland - da bleibt der Ball an der Netzkante hängen, hüpft zwar noch drüber, aber von da ins Aus. 21:21. Zwei Minuten später erspielt sich das finnische Team seinerseits einen Matchball - und nutzt ihn. Was für ein Finish.

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