Reiterin bei den Special Olympics:"Sie wog so viel wie eine Colaflasche"

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Am Donnerstag hat Karen in Berlin eine Silbermedaille gewonnen – im Trabreiten. (Foto: privat)

Bei ihrer Geburt hatte Karen Messmer ein Loch im Herzen, als sie zwölf war, starb ihr Vater nach einem Raubüberfall. Mit 16 Jahren ist die Reiterin nun eine der Jüngsten bei den Special Olympics in Berlin - und steht auch für die größere Idee hinter den Spielen.

Von Korbinian Eisenberger, Berlin

Sie ist leicht zu übersehen, mit ihren schmalen Schultern. Überhaupt ist die ganze Reiterin etwas schmaler, als Reiter ohnehin schon sind. Wie sie am Rand der Koppel steht, den Blick zu den Pferden gewandt, in Reiterhose und Reiterstiefeln. Vielleicht hat sie es deswegen so leicht mit den Pferden, weil die es mit einem Leichtgewicht wie ihr leichter haben? "Ich verspüre zu Pferden eine besondere Bindung", sagt sie. "Es hilft mir viel, um auch mit Menschen zu sprechen."

Trab-Reiterin Karen Messmer aus Australien ist eine von knapp 7000 Athletinnen und Athleten, die bis Sonntag bei den Special Olympic World Games in Berlin antreten. Mit 16 Jahren, dem Mindestalter für Teilnehmer, ist sie eine der Jüngsten dieser Spiele. Das ist insofern mehr als eine Erwähnung wert, weil einst kaum Hoffnung bestand, dass sie überhaupt so alt werden würde. Geschweige denn eine Leistungssportlerin.

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Sonntagmittag im Berliner Olympiapark, Messmer blinzelt im Sonnenlicht. Sie wirkt jetzt ganz und gar nicht mehr kindlich. Sie spricht mit fester Stimme, druckreifes Englisch, pointiert und mit Witz. Die Eröffnungsfeier? "Wirklich ungewöhnlich, alles war so groß, das hatte ich nicht erwartet", sagt sie. Auch nicht Stargast Dirk Nowitzki? Messmer lächelt leicht verlegen. "Ähm, wer ist Dirk Nowitzki?"

Der einstige NBA-Basketballer zählte zu den Ehrengästen der Eröffnungsshow am Samstagabend im Berliner Olympiastadion wie Kanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der die Spiele kurz vor Mitternacht offiziell eröffnete. Im Mittelpunkt, nicht nur geografisch, sollten aber die Athleten stehen, die sich nach einem zweistündigen Einmarsch in der Stadionmitte versammelten.

Farbenfroh und heiter: Rund 7000 Sportler und Sportlerinnen und 50 000 Zuschauer im weiten Rund des Olympiastadions feiern die Eröffnung der Special Olympics Weltspiele in Berlin. (Foto: Jürgen Engler/Nordphoto/Imago)

Und die Athleten standen, liefen oder saßen in diesen vier Stunden tatsächlich unübersehbar im Mittelpunkt. Als die Delegation der Ukraine durch das Marathontor schritt, applaudierten die Menschen im Olympiastadion wohl am lautesten. Emotional wurde es auch, als Sophie Rensmann aus Nordrhein-Westfalen die "Flame of Hope" entzündete. Irgendwo da unten saß auch Karen Messmer, ein winziger gelber Punkt im bunten, wilden Treiben der Berliner Nacht.

Vor 16 Jahren war all das undenkbar, 2006, im Mater Hospital von South Brisbane. Karen Messmer kam drei Monate zu früh zur Welt, hatte ein Loch im Herz und ein Gewicht von 824 Gramm. "Sie wog so viel wie eine Colaflasche", erklärt ihre Mutter Suzanne Messmer telefonisch. "Ihre kleine Windel passte in meine Handfläche."

Suzanne Messmer brachte ihre Tochter drei Monate zu früh zur Welt: "Ihre kleine Windel passte in meine Handfläche." (Foto: privat)

Suzanne Messmer hatte drei Wochen zuvor eine Blutung erlitten. Und das Krankenhauspersonal befürchtete, dass ihr Baby nicht überleben würde. Der australischen Plattform News.com.au erzählte die Mutter einmal, was ihr die Ärzte mitteilten. Sie könne Karen "auf ihre Brust legen und sie halten, bis sie stirbt". Aber es kam anders. Drei Operationen brauchte es, ehe das Loch im Herzen geschlossen war. Nach 100 Tagen durfte Karen die Intensivstation verlassen.

Es ist eine dieser Geschichten, an der sich die große Idee hinter den Special Olympics 2023 in Berlin erahnen lässt. "Zusammen unschlagbar" heißt das Motto. Gemeint ist Inklusion; Ziel der Veranstalter ist, dass es Menschen mit Behinderungen in der Welt einfacher gemacht wird, am Alltag teilzuhaben. Gemeint ist auch: Zusammenhalt, was auch immer geschieht.

Messmers Vater erlebte es nicht mehr, dass seine Tochter zu den Special Olympics nach Berlin fährt

So wie bei den Messmers. Zusammen standen sie es Tag für Tag durch, die kleine Karen, Mama Suzanne und Papa Günther. Karen lebte, sie wurde größer und immer beweglicher. Mit zwölf brachten sie ihr Vater und ihr Therapeut schließlich zum Reiten. Vier Jahre später sattelt sie nun ihr Pferd zum ersten offiziellen Teil der Special Olympics: Einreiten für die anstehenden Klassifizierungswettkämpfe. Oder wie sie es nennt: "Da rausgehen und Spaß haben."

Dieser Spaß war vor drei Jahren plötzlich weg. Bei diesem Thema versagt ihr die Stimme. Die Nachricht erreichte die Familie an einem Tag im Jahr 2020: Vater Günther wurde Opfer eines Raubüberfalls. Günther Messmer starb an den Folgen. Er hat nicht mehr erfahren können, dass seine Tochter im Juni 2023 als Athletin zu den Special Olympics nach Berlin fährt. Heute sagt Karen Messmer: "Er wäre unglaublich stolz, für ihn wäre es der Wahnsinn gewesen, hierherzukommen."

Vater und Tochter: Günther und Karen Messmer. (Foto: privat)

"Jedes Mal, wenn Karen zu einem Event kommt, verbessert sie sich", sagt ihre Trainerin

Er sieht es nicht mehr, aber irgendwie sitzt er fast mit bei ihr im Sattel. Karen Messmer erzählt, dass sie in den Wochen und Monaten vor den Spielen fast täglich trainiert habe. Um fünf Uhr aufstehen, um sechs Uhr Trainingsbeginn, und danach in die Schule. "Die meisten murren, wenn sie in aller Früh ins Training müssen, sie nicht", erzählt eine Frau, die gerade aus dem Stall gekommen ist: Chris Nott ist die australische Cheftrainerin der Reiter. "Jedes Mal, wenn Karen zu einem Event kommt, verbessert sie sich", erzählt Nott. "Demnächst muss sie aus ihrer Komfortzone raus und sich zu einer Galoppreiterin entwickeln."

Vielleicht muss sie das, vielleicht auch nicht. "Realistisch gesehen ist es schon ganz ordentlich, dass ich es so weit geschafft habe", erklärt sie, klopft sich den Staub von der Reiterhose und macht sich auf den Weg Richtung Stall.

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