Deutsches Nationalteam:Ein Ball für zwei

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Was 2018 schon funktionierte, soll nun wieder klappen: Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch und Assistenztrainer Thomas Nörenberg wollen dem Nationalteam Tempo und Spielfreude zurückbringen. (Foto: Gerhard Schultheiß/Imago)

Mit Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch und Assistent Thomas Nörenberg will sich das deutsche Nationalteam für Olympia qualifizieren. Ihre Kombination aus Erfahrung und Emotionalität ist beliebt bei den Fußballerinnen.

Von Anna Dreher

Horst Hrubesch hatte schon viel erlebt in seiner Fußballkarriere als Spieler und Trainer. Aber der Sommer 2016 war selbst für ihn etwas Besonderes. Brasilien, Olympische Spiele, die kannte Hrubesch noch nicht. Von norwegischen Handballerinnen über chinesische Tischtennisspieler war in der Sportwelt um ihn herum auf einmal "alles querbeet und kunterbunt, klasse", wie er damals sagte. Und das Erlebnis wurde ja immer besser! Nach zwei Unentschieden gewann seine mühsam versammelte und von ihm erst zur solchen geformte Männer-Mannschaft ein Spiel nach dem anderen und erreichte das Finale gegen die Gastgeber. Der ganz große Triumph blieb ihm verwehrt, aber Silber fühlte sich fast wie Gold an - auch wegen der olympischen Begegnungen.

Dass Hrubesch beste Erinnerungen daran hat, ist für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) ein Glücksfall. Erklärtermaßen war es nicht allein die große Sympathie, die Hrubesch quasi in der Sekunde, in der ihn die Anfrage erreichte, davon überzeugte, das Frauen-Nationalteam zum zweiten Mal vorübergehend zu übernehmen. Er wollte das auch deshalb, weil viel auf dem Spiel steht: Die Qualifikation für die Sommerspiele 2024. "Du musst einfach dabei sein!", sagte Hrubesch bei seiner Vorstellung. Für ihn gilt dieses Großereignis als "das absolute Highlight", bei dem Deutschland vertreten sein muss. Eine Frage der Ehre, sozusagen.

Bundestrainerin Voss-Tecklenburg
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Auch nach einer persönlichen Stellungnahme ist offen, ob Martina Voss-Tecklenburg ihre Arbeit als Bundestrainerin fortführen wird. Der DFB klingt distanziert - und so manches bleibt undurchsichtig.

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Und so dürfte Linda Dallmann mit ihrer Einschätzung absolut richtig liegen. "Ich glaube, wir haben da mit Horst den besten Trainer, um uns auf die Sache einzuheizen", sagte die 29-Jährige vom FC Bayern: "Er hat gesagt, er läuft nach Frankreich, um uns dort spielen zu sehen - wenn wir ihn nicht mitnehmen. Also er brennt darauf und sagt uns jeden Tag, wie toll das Erlebnis für ihn war. Das nimmt uns als Spielerinnen mit, weil wir die Erfahrung nicht gemacht haben." Torhüterin Ann-Katrin Berger formulierte es so: "Er macht's uns richtig schmackhaft!"

Die Stichworte jetzt erinnern an jene von damals: Eigenverantwortung, Spielfreude, Lockerheit

Wenige des aktuellen Kaders sind 2016 in Rio dabei gewesen, als die DFB-Frauen mit Silvia Neid Gold und damit ihren bislang letzten Titel gewannen: Sara Däbritz, Lina Magull, Svenja Huth und Alexandra Popp. Für alle anderen wäre es die Premiere, nachdem Olympia 2021 in Tokio verpasst wurde durch das Viertelfinal-Aus bei der WM 2019, dem ersten Turnier in Verantwortung von Martina Voss-Tecklenburg. Sie war Bundestrainerin geworden, nachdem Hrubesch die Auswahl ab dem Frühjahr 2018 mehrere Monate interimsweise angeleitet hatte, weil Steffi Jones entlassen worden war. Nun rahmt Hrubesch also die Amtszeit von Voss-Tecklenburg ein. Dass die 55-Jährige zurückkommt, ist kaum vorstellbar. Derzeit befindet sie sich im Erholungsurlaub, nach der WM im Sommer hatte sie sich krankschreiben lassen.

Doch was war, soll die Neuauflage des ursprünglich als One-Hit-Wonders geplanten Werkes "Horst und die Mädels" nicht belasten. "Wie das jetzt geregelt ist, muss der DFB dann entscheiden. Das ist jetzt nicht mein Bier", sagte Hrubesch zur angespannten Lage. Einiges dürfte ihn an sein erstes Engagement erinnert haben, er übernimmt erneut ein verunsichertes Team. Die Stichworte jetzt ähneln jenen von damals: Eigenverantwortung, Spielfreude, Köpfe freikriegen, Lockerheit. Und wie damals sieht Hrubesch in ehrlichen Gesprächen und Spielformen, die auf Grundlagen fokussiert sind, Lösungswege raus aus der Krise. 2018 hat das funktioniert.

"Ich glaube, wir haben da mit Horst den besten Trainer, um uns auf die Sache einzuheizen", sagt Linda Dallmann (Mitte) über Horst Hrubesch. (Foto: Jürgen Kessler/Kessler-Sportfotografie/Imago)

Im Team kam und kommt das gut an, die Nationalspielerinnen halten viel von ihm - wie von Thomas Nörenberg. Dass auch Hrubeschs Vertrauter zurück ist, hat ihre Freude gesteigert. "Nöre", wie der 59-Jährige genannt wird, "ist jemand, der absolute Lebensfreude in die Mannschaft bringt, der sehr aktiv ist", sagte Dallmann. Von 2006 an arbeitete er beim DFB als Co-Trainer von Hrubesch, zusammen gewannen sie mit der U19 (2008) und der U21 (2009) EM-Titel. Bei den Frauen gehörte Nörenberg seit März 2018 zum Stab, zum 31. August 2022 hörte er auf. Dass er als Gesprächspartner bisweilen vermisst wurde, war latent zu spüren.

Co-Trainer Nörenberg habe bei der Emotionalität ein Händchen wie nicht viele

Vom Typ her wirkt er auf den ersten Blick wie Hrubesch und Co-Trainerin Britta Carlson eher ruhig und pragmatisch. Dass Nörenberg bei der Emotionalität "ein Händchen hat, das nicht viele haben", wie Dallmann nun formulierte, wurde öffentlich so richtig erst im Rahmen einer Dokumentation bekannt. Eine Stelle blieb besonders hängen. "Ihr habt alle ein Riesenherz und wir haben ein Riesenpotenzial mit diesem Riesenherz. Aber ich habe es gestern nicht gesehen", sagte Nörenberg nach einem Testspiel: "Und wenn wir das nicht hinkriegen, dann haben wir ein Problem. Kriegen wir das hin, dann hat jede Mannschaft mit uns ein Problem." Ein paar Monate später stand Deutschland im EM-Finale.

Damals war er für Themen wie Spielgeschwindigkeit und Spielverlagerung zuständig. Vor allem Ersteres wird dringend benötigt, Hrubesch beobachtete zuletzt zu viele Kontakte bei einem zu lange dauernden Spielaufbau. Es braucht mehr Tempo, einen zielgerichteteren Abschluss und natürlich: Tore. Gegen Wales an diesem Freitag in Sinsheim (17.45 Uhr, ARD) sowie in den drei folgenden Gruppenspielen der Nations League müssen viele Punkte her. Ausgerechnet Kapitänin Popp fällt dabei mit muskulären Problemen unmittelbar aus, sie wird nach der Partie gegen Wales abreisen.

Sollten sich die deutschen Fußballerinnen tatsächlich für Olympia qualifizieren, ist Horst Hrubesch übrigens nicht abgeneigt, diesen Interims-Job etwas länger zu machen. Vom Team dürfte kein Veto kommen. Dann müsste er schon mal nicht nach Frankreich laufen.

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