Fußball-EM:Was vom Finale bleiben muss

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Finale knapp verloren - viel Anerkennung gewonnen: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat mit ihrem Team bei der EM beeindruckt. (Foto: Franck Fife/AFP)

Bei dieser EM ging es nicht allein darum, wer am Ende die Trophäe bekommt. Sondern auch um den Effekt dieser Veranstaltung. Gerade der DFB darf nicht wieder eine Chance verpassen.

Kommentar von Anna Dreher, London

Am Tag vor dem EM-Finale ist Martina Voss-Tecklenburg gefragt worden, ob ihr Nationalteam überhaupt etwas zu verlieren habe. Nach einigen schwierigen Jahren galt für die deutschen Fußballerinnen schließlich alles als Erfolg, was über das Viertelfinale hinausgehen würde. Aber nun würde sich die Bundestrainerin dieses Endspiel ja nicht auf der Couch anschauen, sondern an der Seitenlinie stehen. Gegen England. Im Wembley-Stadion. Vor 87 000 Zuschauern. War damit nicht schon so viel mehr erreicht, als erwartet werden konnte - und das Ergebnis gar nicht so wichtig?

"Ich würde die Frage sehr differenziert beantworten", sagte Voss-Tecklenburg. Der erste Teil der Antwort ist leicht zu erraten: Wenn man im Finale steht, will man gewinnen! Das hat auf denkbar knappe Weise nicht geklappt. Aber es gibt noch einen zweiten Teil, der unabhängig von der Enttäuschung ganz am Ende Bestand haben soll. Bei dieser EM ging es tatsächlich nicht allein darum, wer am Ende die Trophäe bekommt. Sondern auch darum, welchen Effekt diese Veranstaltung haben könnte. Man werde nur gewinnen, wenn alles, was in den vergangenen vier Wochen passiert ist, mit Nachhaltigkeit einhergehe, sagte Voss-Tecklenburg: "Es muss etwas davon übrigbleiben. Und es muss eine große Chance sein, in allen Ländern die nächsten Schritte im Frauenfußball zu machen. Wenn nicht jetzt, wann dann?"

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Im tosenden Wembley-Stadion muss die deutsche Auswahl den kurzfristigen Ausfall von Kapitänin Popp verkraften und unterliegt England in der Verlängerung. Das Finale ist geprägt von Zweikämpfen - und mindestens einer strittigen Elfmeterszene.

Von Anna Dreher

Diese Herausforderung stellt sich international, vor allem aber auch für den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Das Nationalteam zählt mit einem Olympiasieg, zwei WM- und acht EM-Titeln zu den erfolgreichsten überhaupt. Aber dieser Glanz hat in all den Jahren nicht auf die Basis abgefärbt, obwohl Fußball der populärste Sport und der DFB der größte Fußballverband der Welt ist. Wenn die Nationalteams erfolgreich sein würden, wachse der Mädchen- und Frauenfußball schon von alleine - darauf setzte der DFB nicht nur rund um die (sportlich letztlich verpatzte) Heim-WM 2011, Stichwort Strahlkraft. Was vernachlässigt wurde, waren strukturelle Aspekte.

Der DFB hat große Pläne - setzt aber während des Finales drei Pokalspiele an

Während andere Länder in der Nachwuchsförderung vorbeigezogen sind, sieht die Realität hierzulande so aus: Seit 2010 hat sich die Anzahl an Mädchenteams etwa halbiert (!). In der Frauen-Bundesliga kommen im Schnitt weniger als 1000 Zuschauer pro Spiel, das Interesse fürs Nationalteam lässt sich in den Alltag nicht hinüberretten. Dass der DFB vor der EM die "Strategie Frauen im Fußball FF27>>" vorgestellt hat - Fast Forward in das Jahr, in dem man mit den Niederlanden und Belgien die WM ausrichten will -, zeigt, dass er sich den Herausforderungen offenbar endlich stellen will. Angetrieben sicherlich auch von der immer lauter gestellten Frage, ob die Liga unter dem Verbandsdach überhaupt noch richtig aufgehoben ist - oder ob ein Wechsel zur Deutschen Fußball Liga vielleicht besser wäre für Vermarktung und Reichweite. Oder gar eine ganz eigenständige Lösung, eine Art Frauen-DFL.

Die FF27-Ziele lauten zusammengefasst: Titel gewinnen, ein Plus von 25 Prozent bei Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen, mediale Reichweite verdoppeln, Frauenanteil in Gremien und auf hauptamtlichen Führungsebenen auf 30 Prozent erhöhen. Das erinnert an das Konzept der englischen Football Association (FA), die mit Blick auf die Heim-EM 2022 unter anderem die Liga mit hohen Zulassungskriterien professionalisiert hat. England gilt auch dank eines lukrativen TV-Vertrages und zahlungskräftiger Sponsoren als Maßstab.

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Svenja Huth reagiert enttäuscht, Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg versucht, nach vorne zu schauen, und der DFB-Präsident zieht trotz der Finalniederlage ein positives Fazit. Die Stimmen.

Doch der DFB verzichtet vorerst auf strengere Zulassungsvoraussetzungen für die Liga, das ist ein Schwachpunkt. Die erhoffte Professionalisierung wird ohne klare Mindeststandards kaum möglich sein; nur wenn das Produkt insgesamt attraktiver wird, bringt das neue Geldgeber, wodurch sich wieder die Bedingungen verbessern, und so weiter.

Dabei würden auch Spielansetzungen helfen, die nicht von vornherein einen Teil des Publikums ausschließen, etwa unter der Woche am Nachmittag. Für die Frauen-Bundesliga ist ein neuer TV-Vertrag von 2023/2024 an für vier Jahre ausgeschrieben - diese Chance muss zwingend genutzt werden, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Das gesellschaftliche Interesse ist da, das zeigen die Zuschauerzahlen bei der EM und jene aus der Champions League. Daraus wurde schon mal der richtige Schluss gezogen: Die Bundesliga startet mit Eintracht Frankfurt gegen Bayern München am 16. September an einem Freitagabend in der Frankfurter Arena. Der Klub hofft auf bis zu 30 000 Zuschauer.

So detailliert die Pläne des DFB sein mögen, es bleibt die Frage, wie konsequent sie umgesetzt werden, begonnen bei der Basis, an Schulen und Vereinen, wo Kinder für diesen Sport begeistert werden müssen. Auch die Unterstützung der großen Männerfußball-Klubs wird es hier brauchen, von denen acht zur neuen Saison in der Frauen-Bundesliga vertreten sind. Ausreden gibt es keine mehr, das Interesse ist da. Und eine bessere Steilvorlage, als es bis ins EM-Finale geschafft zu haben, hätten die Nationalspielerinnen kaum geben können. Dass der Verband parallel zum Frauen-Finale drei Männerspiele seines DFB-Pokals angesetzt hat, ist allerdings auch das beste Indiz, wie weit der Weg noch ist - auch in den Köpfen.

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