Das deutsche Trainerteam:Dominanz durch Arbeitsteilung

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Hat in den vergangenen Jahren ihren Führungsstil verändert: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (vorne). (Foto: Naomi Baker/Getty Images)

Verschiedene Charaktere, anderer Blick auf das Spiel: Anfangs war sich das Trainerteam um Martina Voss-Tecklenburg nicht immer einig - und verwirrte so auch die Spielerinnen. Nun sind die Rollen geschärft. Und welchen Fußball sie spielen wollen, wissen die Verantwortlichen auch.

Von Anna Dreher, London

Der erste Schritt auf dem Weg zur Weiterentwicklung erfolgte schon bald nach der großen Enttäuschung. Die Weltmeisterschaft 2019 lief noch, aber Martina Voss-Tecklenburg saß zu Hause in Straelen und schaute sich die Partien jener Teams an, die noch dabei waren. Auch das jüngste Spiel ihrer eigenen Elf flimmerte zur Analyse über den Bildschirm, was, wie sie später erzählte, richtig weh tat. Das deutsche Nationalteam hatte im Viertelfinale 1:2 gegen Schweden verloren und damit auch die Qualifikation für Olympia in Tokio verpasst. Es war klar: Hier muss sich etwas verändern. Also zog sich Voss-Tecklenburg mit ihrem Trainerteam erst einmal für ein paar Tage hinter verschlossene Türen zurück.

"Das war wirklich wichtig und hat uns gutgetan, und wir haben es später immer wieder gemacht, wenn wir das Gefühl hatten, wir müssen den nächsten Schritt gehen zu unserer Vision", sagt die Bundestrainerin fast drei Jahre später in London. Welche Art von Fußball soll gezeigt werden? Wie sollen die Spielerinnen auftreten? Um solche Themen ging es, wenn sich das Trainerteam traf. Klingt erst mal banal, aber letztlich ist wohl alles eine Frage der Intensität. "Das macht Spaß, wenn du nie aufhörst, dich weiterentwickeln zu können", sagt Voss-Tecklenburg. "Und auch die Spielerinnen spüren, dass wir dafür brennen und uns nicht zurücklehnen."

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Von Anna Dreher

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"Ich glaube, die Spielerinnen haben nach drei Tagen wirklich gedacht: Was ist das für ein beklopptes Trainerteam", sagt Voss-Tecklenburg

Nur etwa fünf Monate hatte das Trainerteam um Voss-Tecklenburg vor der WM 2019 zusammengearbeitet. Die Neuen sollten den achtmaligen Europa- und zweimaligen Weltmeister möglichst schnell zurück in die Erfolgsspur bringen. Nach einer enttäuschenden EM zwei Jahre zuvor mit dem verpassten Halbfinale des Titelverteidigers, angeleitet von Steffi Jones, war eine Reaktion erwartet worden. Aber es blieb nicht genug Zeit, um sich und auch die Spielerinnen kennenzulernen, gerade im Umgang mit Drucksituationen.

Assistenztrainer Thomas Nörenberg läuft sich mit den Spielerinnen warm. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Inzwischen hat Voss-Tecklenburg selbstkritisch angesprochen, dass auch in ihrem Stab nicht alles reibungslos lief damals - was sich auf die Auftritte auf dem Platz auswirkte. Mit ihr, Co-Trainerin Britta Carlson, den Assistenztrainern Patrik Grolimund und Thomas Nörenberg sowie Torwartexperte Michael Fuchs treffen sehr verschiedene Charaktere mit unterschiedlichen Blicken auf den Fußball aufeinander. Es ist bekannt, dass sie auch mal auf wenig konstruktive Weise anderer Meinung waren und bisweilen viel diskutiert wurde.

Und wer selbst nicht genau weiß, in welche Richtung es eigentlich gehen soll, der kann schlecht jemand anderem Orientierung geben. Auch die Spielerinnen forderten eine nachhaltige Veränderung in diversen Aspekten, weil einiges nicht stimmte. "Wir waren 2019 in ganz vielen, auch sportlichen Bereichen noch nicht so weit", sagt Voss-Tecklenburg. "Wie wollen wir spielen, was erwarte ich, wie wollen wir unsere Spielweise entwickeln, was sind unsere Signale? Wir mussten erstmal Klarheit bei uns haben, bevor wir Klarheit an die Spielerinnen weitergeben können."

Assistenztrainer Patrik Grolimund. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Sie denke da direkt an die erste gemeinsame Maßnahme in Marbella. Wo es schon mal vorgekommen sei, dass einer Fußballerin bei einer Übung von fünf Seiten gleichzeitig eine Info zugerufen wurde. Mit guter Intention, aber schlechtem Ergebnis. "Ich glaube, die Spielerinnen haben nach drei Tagen wirklich gedacht: Was ist das für ein beklopptes Trainerteam", sagt Voss-Tecklenburg. Manch eine, erzählte die 54-Jährige im SZ-Interview vor der EM, sei in den ersten Monaten überfordert worden.

Schnell wurde klar, dass es nicht nur einen intensiveren Austausch brauchte, sondern auch die Rollenverteilung im Trainerteam geschärft werden musste. "Das war am Anfang für mich ein Prozess, weil ich schon sehr dominant war auf dem Platz, auch im Training. Ich habe die Einheiten am liebsten von vorne bis hinten selbst gemacht", sagt Voss-Tecklenburg. "Ich bin ja so groß geworden, ich war immer mehrheitlich alleine unterwegs, ob im Verband oder im Verein oder als Nationaltrainerin in der Schweiz. Heute bin ich froh, dass ich das nicht mehr machen muss."

Co-Trainerin Carlson ist für Voss-Tecklenburg persönlich entscheidend bei der Reflektion gewesen

Als die viermalige Europameisterin am 30. November 2018 den Job beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) von Interimscoach Horst Hrubesch offiziell übernahm, hatte sie sechs Jahre die Schweizer Nationalspielerinnen trainiert, in einem viel kleineren Rahmen, anfangs nur mit einem Co- und später noch mit einem Athletiktrainer. Mehr Leute bringen mehr Befindlichkeiten, die Kompetenzen in der deutschen Coaching-Gruppe mussten verteilt werden. Verschiedene Perspektiven einfließen lassen zu können, sollte zur Stärke werden.

Seit 2007 für die Torhüterinnen verantwortlich: Michael Fuchs mit Almuth Schult, der Nummer eins Merle Frohms und Ann-Katrin Berger (v. l. n. r.). (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Die frühere Nationalspielerin Carlson ist für Voss-Tecklenburg persönlich laut eigener Aussage entscheidend bei der Reflexion gewesen. Mit der 44-Jährigen bereitet sie unter anderem Trainingskonzepte und die taktische Entwicklung vor. Grolimund, 41, kennt die Bundestrainerin aus der Schweiz. Der stellvertretende Leiter der Fußball-Lehrer-Ausbildung beim DFB kümmert sich um die langfristige Leistungsentwicklung und den Start jeder Einheit. Die Expertise von Fuchs im Umgang mit Torhüterinnen ist unumstritten, seit 2007 ist der 52-Jährige dabei.

Nörenberg, 58, war lange Hrubeschs Co-Trainer und ist für Themen wie Spielgeschwindigkeit und Spielverlagerung zuständig - und bisweilen für emotionale Ansprachen. "Ihr habt alle ein Riesenherz und wir haben ein Riesenpotenzial, mit diesem Riesenherz. Aber ich habe es gestern nicht gesehen", sagte Nörenberg nach dem 1:1 gegen Spanien im Februar bei einem Testturnier, zu sehen in einer Dokumentation. Er bemängelt die Präsenz sowie einen fehlenden Zug: "Und wenn wir das nicht hinkriegen, dann haben wir ein Problem. Kriegen wir das hin, dann hat jede Mannschaft mit uns ein Problem."

Viereinhalb Monate waren es da noch bis zur Europameisterschaft. Viereinhalb Monate, in denen sich das Trainerteam in einem Gespräch nach dem anderen mehr und mehr gefunden hat. Wie weit diese Entwicklung die Deutschen noch bringen kann, bei diesem Turnier und überhaupt, wird sich zeigen. Das Selbstvertrauen ist bei allen jedenfalls da. "Ich glaube, wenn wir scheitern, dann an uns", sagt Martina Voss-Tecklenburg. "Aber im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass wir auf den Platz gehen und nicht alles geben." Egal, wie diese EM endet, die Bundestrainerin, Carlson, Nörenberg, Grolimund und Fuchs dürften sich danach erneut zurückziehen, um sich weiter zu verbessern. Vielleicht im Schwarzwald, wie im Januar, wo sie ganz für sich waren und gemeinsam kochten. Wie hier die Aufgaben verteilt waren, ist nicht bekannt.

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