WM-Aus für die USA:Ein letzter leiser Knall von Rapinoe

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Megan Rapinoe verabschiedet sich unter Tränen von der größten Fußballbühne. (Foto: Hannah McKay/Reuters)

Aktivistin, Grenzgängerin, Architektin einer neuen Fußballzeit: Nach dem Aus im WM-Achtelfinale verlässt auch US-Ikone Megan Rapinoe ihre größte Bühne. Auf dem Platz wirkte sie unbesiegbar - umso profaner ihr finaler Fehlschuss.

Von Felix Haselsteiner, Auckland

Ihre WM-Karriere beendete Megan Rapinoe auf für sie untypische und doch typische Art und Weise. "Ich dachte mir nur, ihr verarscht mich doch, ich verschieße einen Elfmeter?", sagte die 38-Jährige im Fernsehinterview; sie hatte gleichzeitig Tränen in den Augen und ein sarkastisches Lächeln auf den Lippen. Und ihren gewohnten, eigenen Tonfall, mit einer Mischung aus Süffisanz, Arroganz und Frustration darüber, dass ihr nun dieses Ende widerfahren war.

In einem verrückten Elfmeterschießen waren die USA aus dem Turnier ausgeschieden, in dem Rapinoe ein letztes Mal angetreten war, zu einem Schuss, der für sie im Grunde Routine ist. "Ich meine, ernsthaft: Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal verschossen habe."

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Knapper ist es kaum möglich: Die USA scheiden im Elfmeterschießen gegen Schweden nach einer VAR-Entscheidung aus, die in die Geschichte eingehen wird. Es ist der bittere Schlussakt einer prägenden Generation um Megan Rapinoe.

Von Felix Haselsteiner

Rechts oben, deutlich über das Tor flog der Ball, bei ihrem finalen Auftritt auf der großen Bühne. Sie wird noch eine Saison zu Ende spielen in der amerikanischen Liga, aber das wird eine Randnotiz bleiben nach diesem Achtelfinale, mit dem die Ära der USA im Frauenfußball endet. Rapinoe war das Gesicht dieser mehr als zehnjährigen Phase, sie war Fußballerin, Aktivistin, Grenzgängerin, Architektin neuer Strukturen, Vorbild für Millionen und ja, deshalb ist auch die fatalistische Süffisanz zum Schluss gerechtfertigt: Ging das alles wirklich so zu Ende, mit einem banalen Fehlschuss aus twelve yards, wie man in den USA sagt?

Es wirkt allzu profan, verglichen mit dem, was davor kam. Weltweite Bekanntheit, die Presidental Medal of Freedom als höchste Auszeichnung ihres Landes, aber auch umfassenden Hass ihrer konservativen Gegner erlangte Rapinoe mit dem, was sie sagte und wie sich selbst beschrieb: Einen "wandelnden Protest" nannte sie sich einst voller Stolz.

Als eine der ersten Spielerinnen im US-Fußball bekannte sich Rapinoe 2012 zu ihrer Homosexualität. Was heute im Frauenfußball eine völlig offen gelebte Normalität ist, eine Wohltat geradezu im Vergleich zum scheinheiligen Männerfußball, begann mit ihren Worten. Queerness war für sie ein Thema, über das man reden musste, frei und euphorisch. Nach dem Viertelfinale bei der WM 2019, zum Anlass des Pride Month, rief sie "Go Gays!" in die Mikrofone: "Ohne Schwule in der Mannschaft kann man keine Meisterschaft gewinnen - das hat es noch nie gegeben, niemals."

"Ernsthaft?" Megan Rapinoe verschießt einen Elfmeter ... (Foto: Jenna Watson/USA TODAY/Imago)

Überhaupt, Frankreich 2019. Es wurde die WM der Megan Rapinoe mit ihren pinken Haaren. Durch sie wurde es ein Turnier im Zeichen des sportpolitischen Aktivismus: Vor dem Turnier hatte sie gemeinsam mit ihrem US-Team eine Klage gegen den eigenen Verband initiiert, der die Frauen nicht gleich behandle wie die Männer. Es wurde der Präzedenzfall für Equal Pay, für weltweite Debatten zwischen Spielerinnen und Verbänden über faire Bezahlung - und für Rapinoe wurde es ein persönlicher Triumph über den mächtigsten Mann der Welt. Einen Besuch im Weißen Haus im Siegesfall lehnte sie noch während des Turniers kategorisch ab, Donald Trump reagierte empört, respektlos sei das: "Megan soll zuerst gewinnen, bevor sie redet!"

Und Megan gewann.

Jeder sportliche Titel war für sie die Basis als politische Aktivistin, ihr Verstärker

Die sportlichen Erfolge sind zahlreich in ihrer Karriere, aber in Wahrheit hatte jeder Titel immer einen größeren Zweck. Sie waren die sportliche Basis für die aktivistische Persönlichkeit, was sie sein wollte. Vor dem Turnier in diesem Jahr, bei einer Pressekonferenz in Auckland, erklärte Rapinoe einen wichtigen Aspekt ihrer Karriere: "Wenn man nicht gewinnt, bekommt man keine Medien, keine Zuschauer, keine Fans, man kann nicht immer sagen, was man will."

Darf man sie also nun kritisieren, nach diesem knappen, aber in der Endbilanz auch ungenügenden Achtelfinal-Aus der USA, das kleine und große Folgen haben wird? Eine verhältnismäßig kleine Konsequenz dürfte das Ende des Trainers Vlatko Andonovski sein, das als sicher gilt. Coach Vlatko war beliebt bei den Spielerinnen, er war ihr verlässlichster Fürsprecher, aber gleichzeitig ein unzureichender Spielgestalter von außen. Seine Vorbereitung, seine Auswechslungen, sein Spielkonzept, das alles reichte nicht aus, um 2023 Weltmacht zu sein bei einer ausgeglichenen Frauen-WM.

So wie auch Rapinoes Fußball nicht mehr ausreichte. Ein Schatten ihrer selbst war sie auf dem Feld. So euphorisch der Applaus bei ihren Einwechslungen war, so irritiert konnte man ihr beim Spielen zusehen: Bälle versprangen bei der Annahme, Flanken, die hoch fliegen sollten, prallten flach an der Mauer ab, ihre gefürchteten Flügelläufe konnten selbst die sonst überforderten Vietnamesinnen stoppen. Megan Rapinoe, die ihr aktivistisches Wesen speiste aus dem unterschwelligen Gefühl, auf dem Feld unbesiegbar zu sein, wirkte auf einmal schlagbar, ihre türkisfarbenen Haare nicht mehr wild und cool, sondern irgendwie zu auffällig.

Eine politische Stimme Amerikas: Megan Rapinoe 2021 bei einer Equal-Pay-Kundgebung mit US-Präsident Joe Biden und dessen Frau Jill. (Foto: Chip Somodevilla/AFP)

Sie steht damit stellvertretend für eine US-Generation, die noch einmal dabei sein wollte bei einer WM: Kelley O'Hara, 35, die ihren Elfmeter ebenfalls verschoss, zählt dazu, auch Julie Ertz, 31, und Alex Morgan, 34. Sie versuchten ihre vielen talentierten, jungen Mitstreiterinnen stark zu reden, indem sie der öffentlichen Forderung nach dem dritten Titel nacheinander stattgaben, statt zu bremsen. Im Nachhinein stellt sich das als verwegene Hybris heraus, weil Spielerinnen wie Sophia Smith diesem Druck nicht standhalten konnten. So weit wie Donald Trump muss man dennoch nicht ausholen, der sich am Montag umgehend meldete und das Aus des US-Teams Rapinoe und ihren "linken Verrückten" zuschob, ein klassisches Nachtreten.

Später an ihrem finalen WM-Abend, als Rapinoe nach ihrem Fernsehinterview noch dem Rest der Medien gegenüberstand, sprach sie noch einmal über diesen letzten Elfmeter, der so klein und unbedeutend wirkt neben allem, was sie erreicht hat. Sie sei jetzt 38 Jahre alt und in psychologischer Therapie, sagte Rapinoe, daher könne sie es als trauriges Ende, aber als Teil des Lebens wahrnehmen, wenngleich sie schon wieder Tränen in den Augen hatte und ein Lachen auf den Lippen. Sie habe ihren Frieden gefunden, versicherte sie: "Ich bin in vielerlei Hinsicht bereit aufzuhören." Auf dem Feld, wohlgemerkt.

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