Die "East Coast Bays Veterinary Clinic" hat Parkplatzprobleme, aber ansonsten ist nördlich von Auckland alles wie immer. Der Verkehr auf der Hauptstraße läuft ruhig dahin, es drängen sich keine Menschenmassen durch den Vorort Oteha, durch den sich wohl auch noch nie Menschenmassen gedrängt haben. Und wäre es für die haustierlieben Neuseeländer nicht eine bemerkenswerte Nachricht, dass kranke Hunde und Katzen nun über eine Querstraße mehr zum Arzt getragen werden müssen - das Leben wäre ganz normal im kühlen Winterwind, der zwei Tage vor dem Turnierstart noch erstaunlich wenig Faszination für die Fußballweltmeisterschaft der Frauen durch Neuseeland trägt.
Immerhin, bei genauerem Hinsehen weisen zwei Schilder darauf hin, dass im Hinterhof das beste Frauenteam der Welt daran arbeitet, Sportgeschichte zu schreiben. Eines ruft einem in knallorange "Special Event!" entgegen und verbietet das Parken, auf dem anderen grüßt besagte Tierarztpraxis die Mannschaft der USA und wünscht "Good luck"!
Auf einem kleinen, gut gepflegten Fußballplatz im Bay City Park soll die Fortsetzung geschrieben werden für dieses historisch erfolgreiche Nationalteam der USA, das mit seinen WM-Siegen 2015 und 2019 die Voraussetzungen für einen sogenannten Threepeat geschaffen hat, was im amerikanischen Englisch deutlich gefälliger klingt als die deutsche Übersetzung "dreimaliger Sieg in Serie".
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Die deutschen Fußballerinnen wollen in ihrem Rückzugsort in Australien einen starken Zusammenhalt wie bei der EM aufbauen. Doch die Form macht Sorgen - und dann ist da noch die Angst vor ungebetenen Gästen.
Dass die Amerikanerinnen die Favoriten auf den Turniersieg sind, ist weltweit bekannt und dürfte sich auch in Oteha noch herumsprechen, spätestens dann, wenn die Spiele einmal begonnen haben. Die Erwartungshaltung, dass alles außer dem Titel eine Enttäuschung wäre, gibt es nur selten im Fußball - insbesondere, wenn diese Erwartungen nicht nur von außen kommen, sondern auch aus der Mannschaft selbst. Widerspruch hört man trotzdem nicht, wenn es darum geht, die Amerikanerinnen öffentlich als Favoriten darzustellen, es werden auch keine klischeehaften Floskeln über die vielen anderen guten Mannschaften angeführt - sondern in aller Klarheit ein Siegeswille artikuliert, der seinesgleichen sucht.
"Ich denke, das Wort Glaube ist ein gutes Stichwort", sagt etwa Kelley O'Hara. Zum vierten Mal ist die Innenverteidigerin bei einer WM dabei, sie weiß also, wovon sie redet: "Es ist ein Wort, das dieses Team seit vielen Jahren auszeichnet und das wir von Generation zu Generation weitergegeben haben." O'Hara kann zahlreiche Situationen aus den vergangenen Turnieren nennen, in denen andere Teams sich womöglich aufgegeben hätten - nicht aber die USA: "Auch wenn nur noch eine Sekunde auf der Uhr ist, glauben wir, dass wir noch alles tun können, um das Spiel zu gewinnen."
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Redet sich da eine Mannschaft womöglich selbst seine weltweite Überlegenheit ein?
34 Jahre alt ist O'Hara, sie zählt damit zur Gruppe der Veteraninnen, die noch dabei waren, damals, 2011 bei der WM in Deutschland, als sie nicht Weltmeister wurden: "Wir wussten damals, dass wir den Titel seit 1999 nicht mehr geholt hatten, also haben wir von Spiel zu Spiel geschaut." Heute rückt der Pokal schon vor dem ersten Gruppenspiel gegen Vietnam am Samstag (3 Uhr nachts MESZ) in den Fokus, was allerdings auch die Frage aufwirft: Redet sich da eine Mannschaft womöglich selbst seine weltweite Überlegenheit ein?
Der Trainer Vlatko Andonovski jedenfalls geriet in seiner vierjährigen Amtszeit seit der Übernahme 2019 durchaus schon unter Druck. Einerseits durch enttäuschende Olympische Spiele (Bronze), andererseits durch eine etwas eigenwillige Taktik bei den Einberufungen, die dazu führte, dass sich nun in Neuseeland eine Gruppe aus 23 Spielerinnen zusammenfindet, die in dieser Konstellation noch nicht allzu erprobt ist. Das liegt allerdings auch an den zahlreichen Verletzungen: Stürmerin Mallory Swanson riss sich die Patellasehne, bei der erfahrenen Christen Press und der talentierten Catarina Macario war es das Kreuzband. Und auch die komplette Innenverteidigung von 2019, bestehend aus Kapitänin Becky Sauerbrunn und Abby Dahlkemper, fällt verletzt aus.
"Ich denke, dass man für die Weltmeisterschaft ein breites Spektrum an Erfahrung im Kader haben möchte", sagt Kelley O'Hara, die sich ebenfalls in einer neuen Rolle wiederfindet. Sie und die anderen Erfahrenen sollen auf die "vielen kleinen Details" schauen im Verlauf des Turniers, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Fußballerisch ist eine neue Generation am Werk, etwa mit Sophia Smith, 22, und Alyssa Thompson, 18, im Sturm.
Wer diese Mannschaft anführt, ist allerdings weiterhin klar. Als erste kommt in Oteha Megan Rapinoe auf den Trainingsplatz, sie grüßt alle Anwesenden freundlich, beim Warmmachen klatscht sie immer wieder laut, ihre Präsenz ist in jeder Bewegung zu spüren. Die Weltmeisterschaft 2023 wird das letzte Turnier der 38-Jährigen sein, die auf dem Feld nicht mehr der Puls dieser Mannschaft ist - aber was bedeutet das schon für eine Figur wie Rapinoe, die mit ihrem sportpolitischen Aktivismus vielleicht sogar größer ist als der Frauenfußball als solcher.
Rapinoe habe "einen einzigartigen Sinn für Humor, Leichtigkeit, Intensität und Empathie", den sie in die Mannschaft einbringe, sagt O'Hara, kurz hat sie Tränen in den Augen: "Sie hat so viel für dieses Team und für diese Welt getan. Das aus nächster Nähe mitzuerleben, war etwas ganz Besonderes." Es geht in Neuseeland und Australien für die USA nicht nur um den Threepeat, es geht auch um den Abschied von Rapinoe. "Ich hoffe, dass wir sie mit einem Hochgefühl verabschieden können", sagt O'Hara - und klingt dabei wieder so, wie die Amerikanerinnen vor der erneuten Titelverteidigung eben klingen: ziemlich sicher, dass das gelingen wird.