USA-Aus bei der WM:Die Tragik eines Millimeters

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Goal: Knapper als der Schuss von Lina Hurtig kann ein Elfmeter kaum drin sein. Aber er war drin. (Foto: Bildbyran/Imago, Screenshot: ARD / oh)

Knapper ist es kaum möglich: Die USA scheiden im Elfmeterschießen gegen Schweden nach einer VAR-Entscheidung aus, die in die Geschichte eingehen wird. Es ist der bittere Schlussakt einer prägenden Generation um Megan Rapinoe.

Von Felix Haselsteiner, Auckland/Melbourne

Die Sekunden vergingen in Melbourne, alles war in der Schwebe. Nicht einmal die Schwedin Lina Hurtig, so nahe am Ort des Geschehens wie niemand sonst, wusste, was passieren würde. Sie hatte ihren Elfmeter geschossen, Alyssa Naeher hatte ihn gehalten, aber womöglich nicht vor der Linie: Die Entscheidung über dieses Achtelfinale zwischen Schweden und den USA, über das Ende des großen Favoriten, das alles hing daher von Schiedsrichterin Stéphanie Frappart ab, die auf ein Signal des VAR wartete, gemeinsam mit dem Rest der Welt.

Die Sekunden vergingen, dann entschieden Millimeter. Hurtig wusste es als Erste, sie riss die Arme in die Luft, schon bevor Frappart pfiff und bevor ein sporthistorisches Bild um die Welt ging: Um exakt einen Millimeter hatte der Ball die Linie komplett überquert, ihr Elfmeter war drin, der Shootout gewonnen - und diese Grashalmentscheidung hatte eine weitreichende Wirkung. Sie beendete nicht nur eine Achtelfinalpartie, sondern eine Vormachtstellung: Zum ersten Mal seit 2011 kommen die Weltmeisterinnen im Fußball nicht aus den USA.

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Ein 5:4 im Elfmeterschießen stand am Ende nur deshalb als Ergebnis des Spiels, weil Fußballergebnisse nicht in kleineren Einheiten gemessen werden können als in Toren. Die binäre Logik von Eins und Null kennen die USA nur zu gut, sie hatten selbst von ihr profitiert, im finalen Gruppenspiel, als sie nur deshalb nicht ausschieden, weil Portugal kurz vor Schluss den Pfosten traf. Ein 0:1 wäre fatal, aber verdient gewesen, ein 0:0 hatte gereicht, aber für eine beachtliche Welle der Kritik gesorgt, die auf das amerikanische Team und Trainer Vlatko Andonovski einstürzte.

Die Amerikanerinnen wehrten sich zuerst mit Worten, sie verteidigten sich auf eilig einberufenen Pressekonferenzen gegenseitig, ließen nach außen hin nicht den leisesten Selbstzweifel aufkommen an ihrer Geschlossenheit - und diesmal spielten sie genau so auch Fußball.

Musovic hält einfach alles - die USA verzweifeln

Dem Aus ging die beste Turnierleistung des Titelverteidigers voraus. Von einem "Gangwechsel" sprach Kapitänin Lindsey Horan nachher: "Wir haben alles verändert im Vergleich zur Gruppenphase." Eine Viertelstunde brauchten die Amerikanerinnen, dann fanden sie zu dem Spiel, das sie so berühmt gemacht hat. Über mutige Flügelattacken und gefährliche Schnittstellenpässe versuchten sie, sich der eigenen Unbesiegbarkeit zu vergewissern, und zwangen damit die schwedische Viererkette in die Knie - aber nicht Zecira Musovic.

Schwedens Stammtorhüterin spielte 120 Minuten lang im Stil einer Welttorhüterin. Elf Paraden zeigte Musovic, sie hielt Schüsse und Kopfbälle von Horan, Alex Morgan und Sophia Smith, genau von jenen Spielerinnen also, die in der Offensive der USA die Tore erzielen sollten - und verzweifelten, weil Musovic immer wieder abtauchte und den Ball um den Pfosten lenkte. Auch um jenen, der das Spiel dann letztlich zu Gunsten der Schwedinnen entschied.

Beste Einerkette des Turniers: Zecira Musovic hielt 120 Minuten lang alles und vor allem Schweden im Spiel (Foto: Asanka Brendon Ratnayake/Reuters)

Dem entscheidenden Elfmeter von Hurtig gingen drei Fehlschüsse der USA zuvor, die die Geschichte dieses Teams bei einer WM auf tragisch-pointierte Art und Weise beschrieben. Erst schoss Megan Rapinoe über das Tor, dann Sophia Smith daneben und schließlich Kelley O'Hara - erst zum Elfmeterschießen eingewechselt - an den rechten Pfosten. Und somit fügte sich ein Bild zusammen.

O'Hara, 35, und Rapinoe, 38, sind zwei Mal Weltmeisterinnen geworden, sie sind Teil der besten Fußballteams gewesen, die die USA jemals hatten. Sie sollten den Übergang moderieren zu einer neuen Generation, die vieles verspricht, aber längst nicht alles hält. Niemand beschreibt das besser als Smith, 22, der man ansehen konnte, wie sie unter den schlechten Leistungen der Gruppenphase litt, weil der Druck auf sie immer größer wurde: Es waren nicht nur die Medien und die Zuschauer zu Hause, die den Threepeat (den dritten Titel in Serie) forderten, sondern auch die Spielerinnen, vor allem die aus der älteren Generation, die mit vielleicht sogar ungesund viel Selbstvertrauen anreisten.

Einen Fehlschuss der Jungen, ein Scheitern von Smith hätten sich die USA nämlich leisten können, wenn die Heldinnen von einst alle getroffen hätten. Rapinoe allerdings, die gefeierte beste Spielerin des Turniers von 2019, steht nun zum Ende ihrer großen WM-Karriere als fußballerisch gescheitert da. O'Hara, die vor dem Turnier ihre Rolle noch mit den Worten charakterisiert hatte, dass sie "bereit sein wolle, wenn sie gebraucht werde", ebenfalls.

Rapinoe flüchtet sich in Sarkasmus

Gegen Ende des Spiels flogen erneut Schwärme von Möwen durch das Rectangular Stadium in Melbourne und genau wie in den Tagen zuvor standen sie für einen Abschied, einen Umbruch in einem Team - aber auch einen im Frauenfußball. Vor acht Tagen verließ Kanadas stilprägende Stürmerin Christine Sinclair, 40, bei ihrer sechsten Turnierteilnahme und ihrem 326. Länderspiel die WM-Bühne. Dann folgte vor wenigen Tagen die Brasilianerin Marta.

Nun war es Rapinoe, die stilprägende Figur der USA, die einen Abschied fand, auf ihre ganz eigene Art und Weise. Nach ihrem verschossenen Elfmeter flüchtete sie sich in ein enttäuschtes, sarkastisches Lachen, sie erklärte es später: Ein "kranker Witz, dunkler Humor" sei dieses in Millimetern messbare Ende gewesen.

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